»Du verstehst doch sicher, warum ich diese ganzen Bildchen verbergen musste. Ansonsten hättet ihr mich doch garantiert nie aufgenommen, vor allem du nicht.«
»Natürlich verstehe ich das, du tust mir sogar fast leid.«
»Fast?«
»Ja, fast. Denn dich alleine dort draußen zu behaupten wird schwierig werden, aber dort brauchst du wenigstens nicht ständig dieses dicke Hemd zu tragen.« Dale trat vor, wobei er den alten Biker mit einem finsteren Blick einschüchtern wollte. »Andererseits kenne ich das Leben, das du geführt hast, und kann mir vorstellen, wie du dabei verfahren bist, weshalb ich mich nicht so recht dazu bringen kann, auch nur einen Pfifferling auf dich zu geben. Ich schlage deshalb vor, du verziehst dich sofort.«
»Mich verziehen?« Weed wirkte erheitert. »Leck mich doch, ich bleibe mit dem Arsch genau hier. Glaubst du etwa, Captain Schwarzbrot und Gorilla wollten einen alten Mann in die Wildnis abschieben?«
»Das werden sie, wenn ich sie dazu auffordere.« Dale ahnte jedoch, dass Ron und Sal einfach zu naiv waren, weshalb sie bestimmt doch ein Auge zudrücken würden. Außerdem war der Alte bisher nicht aus der Reihe getanzt, Dale konnte bloß nicht außen vorlassen, was er selbst erlebt und in seiner Ausbildung gelernt hatte. Er erkannte nun einmal, wer da wirklich vor ihm stand und wozu dieser Mensch fähig war.
»Dann nur zu, Bulle, sag's ihnen. Du weißt ja, wo du mich findest.« Weed winkte wegwerfend ab.
»Ich gebe dir zwanzig Minuten. Wenn ich zurückkomme, bist du besser verschwunden.«
Als sich Dale umdrehte und ging, schaute ihm der Alte gelassen und teilnahmslos hinterher, während er in aller Ruhe seine öligen Finger abputzte. Innerlich war er jedoch alles andere als gelassen. Wie gut, dass er den großen Schraubschlüssel gerade nicht in der Hand gehalten hatte, denn dann hätte er dem Cop vielleicht einfach so die Rübe eingeschlagen. Er näherte sich langsam unweigerlich dem Punkt, an dem es kein Halten mehr gab. Entspannt zu bleiben fiel ihm zusehends schwerer.
Verflucht noch mal, Bulle. Geh mir einfach aus der Sonne!, dachte er wütend, während er zu dem Auto zurückkehrte.
Weed hatte die anderen in Aktion beobachtet. Sie konnten sich stundenlang über diesen Scheiß unterhalten. Er werkelte weiter an den Pkws herum, entnahm die Batterien und legte sie auf das Wägelchen. Als es voll war, machte er sich daran, sie in den Stauraum eines Minivans zu legen, dessen Zündung er ebenfalls kurzgeschlossen hatte. Die Dinger waren wirklich verteufelt schwer.
Ein paar Stunden später fuhr er mit dem Kleinbus voller Batterien von der zweiten Ebene aus die Rampen hoch bis auf das Dach. Dale, der Drecksack, hatte sich nicht mehr blicken lassen, was ja klar war. Dennoch sah der alte Francis kommen, dass das Ende der Fahnenstange bald erreicht sein würde. Er spürte es. Der Cop musste seinen Drohungen bald Taten folgen lassen.
Die Batterien wogen eine Menge, insgesamt fast zweitausend Pfund. Darum beschleunigte der Van sehr langsam, und die Federn waren bereits bis zum Gehtnichtmehr gestaucht. Weed schaffte es aber nach oben, wo der junge Technikfreak gerade wieder an irgendetwas herumdokterte. Sie luden die Batterien aus und legten sie nebeneinander auf mehrere lange Bretter. Es stank nach Gummiabrieb, also hätte der Van bestimmt nicht mehr viel länger durchgehalten.
»So, das wär's von meiner Seite aus für heute.« Weed zog sein Hemd aus und trocknete seine Stirn damit ab. Der Junge schaute aber nicht auf.
»Kommt dir nichts ungewöhnlich vor, Sohn?«
Jeff drehte den Kopf zur Seite und dann nach hinten. »Dass du deinen Oberkörper freigemacht hast?«
»Dich stören meine Tätowierungen nicht?«
»Nein, sollten sie?«
»Ach was, ich hatte bloß Bedenken, sie könnten den einen oder anderen von euch erschrecken, aber es ist so elend heiß hier, dass ich es nicht mehr anbehalten kann.«
Die Arbeit nahm Jeff derart in Beschlag, dass er gar keine Antwort gab.
»Nun, dann tippe ich mal darauf, dass du schon mal nichts dagegen hast«, schob Weed leise hinterher nach.
»Oh, sicher. Klar, tut mir leid.« Jeff zwang sich, auf den Mann einzugehen, und bemühte sich, umgänglicher zu wirken.
Mary hatte ihm geholfen, sich etwas besser in die Gruppe einzugliedern, denn die anderen mochten ihn, ohne ihn aber verbiegen zu wollen. Jeff wiederum half ihr über die Misshandlungen hinweg, die sie erlitten hatte. Ihm war es viel schlechter ergangen als ihr, wobei er selbst noch begreifen lernen musste, dass dies nicht mit seinem eigenen Verschulden zusammenhing. Er hatte weder irgendetwas getan, dass es gerechtfertigt hätte, noch darum gebeten, schikaniert zu werden. Darüber zu sprechen tat Mary anscheinend unheimlich gut.
»Gut dann.« Weed zog sich nachdenklich wieder zurück. Der Bulle und der Neger diskutierten bestimmt noch immer über die Situation. Er beschloss, nun Klartext mit den Ladys zu sprechen, falls sie sich noch nicht an der Debatte beteiligten. Schaffte er es, dem Tribunal entgegenzuwirken, das ihm mit Dale als Richter blühen würde, gelang es ihm vielleicht auch, das Urteil abzuschwächen oder sogar gänzlich aufzuheben.
Jeff widmete sich unterdessen weiter seiner Arbeit. Er traute dem alten Mann kein bisschen und beobachtete ihn schon seit seiner Aufnahme. Denn er hatte genug Erfahrung mit ausgemachten Arschlöchern gesammelt, um sofort zu erkennen, wenn er mit einem sprach. Außerdem gab er viel auf Dales Einschätzung.
Weed fand die Frauen auf der vierten Ebene, wo sie Lebensmittel und sogenannte Bedarfsartikel zählten und sortierten.
Das ist eines der Dinge, die man diesen Leuten lassen muss, dachte er. Sie verstehen wirklich eine Menge vom Hamstern. Sie hatten bereits eine beeindruckende Menge von Vorräten jeglicher Art angehäuft – Sanitärreiniger und Tampons sowie alles Weitere dazwischen. Die zweite Ebene nahmen schon erstaunlich viele »langlebige Güter« ein, noch dazu Baumaterialien, Chemikalien und vieles mehr, während Nahrungsmittel und persönliche Artikel auf die vierte Ebene gekarrt wurden. Seit er hier lebte, waren ständig mindestens zwei Personen draußen unterwegs und sammelten all diese Dinge, aber auch sonst hatte jeder immer irgendetwas zu tun. Keiner hockte einfach nur herum, betrank oder bekiffte sich beziehungsweise machte auf andere Weise ein Fass auf, wenngleich sie sich auch ab und zu trotz allem den einen oder anderen lauschigen Abend gönnten. Dann bereiteten sie eine aufwendige Mahlzeit zu, plauderten ungezwungen und relaxten – das volle Kuschelprogramm, aber Weed fand ehrlich gesagt allmählich Gefallen daran. Fuck, Francis, du wirst auf deine alten Tage echt noch weibisch, schalt er sich und grinste dabei.
Und dann der junge Tüftler … Er hatte das halbe Dach mit Solarzellen ausgelegt, die zunehmend mehr Autobatterien speisten, um den Gemeinschaftsbereich und seine Werkstatt mit Strom zu füttern. Auch mehrere Windräder waren bereit zum Aufbauen, aber da man sich einig war, vorerst weiter unauffällig bleiben zu wollen, war er darum gebeten worden, mit der Installation zu warten. In einer Ecke lagen außerdem bereits unzählige Satellitenschüsseln. Vier davon hatte Jeff in je eine Himmelsrichtung zeigend aufgestellt und hortete nebenbei auch noch an jedem freien Fleck irgendwelchen anderen Krempel. Solange dieser nicht über die vier Fuß hohe Betonbrüstung ragte, durfte er aber walten, wie es ihm beliebte.
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