Um Unauffälligkeit bemühte sich die Gruppe ebenfalls aktiv: Was von außerhalb sichtbar war, wurde schwarz bemalt, mit schwarzem Stoff zugedeckt oder wie auf der zweiten Ebene auf den Parkflächen in der Mitte zusammengetragen, umgeben von Sperrholzwänden mit entsprechend mattschwarzem Anstrich, um die hervorstechenden Umrisse und Farben zu verbergen. Dies klappte ganz gut, weil man aus der Ferne, selbst wenn man danach suchte, zwar Anzeichen dafür ausmachen könnte, dass jemand in dem Parkhaus wohnte, doch aller Wahrscheinlichkeit nach hegte niemand den Verdacht, dass sich die Gruppe dort verschanzt hatte.
Logischerweise war es im vierten Stock, wo fast alle wohnten, am engsten, und im dritten war, abgesehen von der Casa Weed noch am meisten Platz, während den zweiten Autos und Vorräte einnahmen. Sie hatten extra darauf geachtet, die unterste Ebene nach Möglichkeit freizuhalten, sodass dort nur ein paar Fahrzeuge standen, die sie bevorzugt für ihre Besorgungen nahmen.
Als Weed die Auffahrt vom Dach hinunter in den vierten Stock kam, stieß er plötzlich auf Lederhaut, Pummelchen und Tittenmaus, die Sachen ordneten.
Wo ist die Schwarze?, fragte er sich und war verdutzt, weil ihn ihre Abwesenheit irgendwie enttäuschte. Tja, die Schokoschnitte trieb sich offenbar woanders herum, während die Schlampe mit Gorilla gerade auf Beutezug war. Francis hatte ziemlich Mühe damit, sich ihre richtigen Namen zu merken, weil sie ihm vollkommen schnuppe waren, aber diese Gedächtnislücken machten andererseits seinen Auftritt als Tattergreis umso authentischer. Die Schlampe hatte übrigens weitaus schönere Brüste als Tittenmaus, aber deren Oberweite war wiederum das Einzige, was sie auszeichnete. Die Schlampe benahm sich unterdessen eben genau wie eine. Sie und Tittenmaus standen ganz offensichtlich auf Gorilla – das munkelten die anderen zumindest – was auch erklärte, warum sich Letztere gerade ärgerte, weil Erstere mit ihm abgedampft war, um Sachen zu beschaffen.
Lederhaut und Pummelchen waren ganz dicke miteinander, wobei Weed gern gewusst hätte, ob zwischen ihnen irgendetwas Lesbisches lief. Denn Lederhaut war eine rassige, kleine Latina und Pummelchen … nun ja, sie war ein gewaltiger Fleischberg von Frau. Sie stank auch so wie viele Übergewichtige – nach einer Mischung aus Babypuder und der Pofalte eines Obdachlosen.
Obwohl er den stark Pigmentierten generell abgeneigt war, ertappte er sich dabei, die schwarze Frau und ihren Mann fast zu mögen. Denn mit ihr unterhielt er sich ausgesprochen gern, da sie schnell auf den Punkt kam, nicht falsch vor sich hinlächelte oder anderweitig herumheuchelte. Wenn sie ihn anstrahlte, wusste er genau, dass sie es ehrlich meinte. Und sie schaute ihn immer schief von der Seite an, so als hielt sie ihn zweifellos für eine saublöde Weißstulle. Zu wissen, wie er in der Gunst anderer stand, wusste er stets zu schätzen.
»Verzeihung, die Damen.« Alle hielten nun inne und blickten zu ihm auf.
»Mir ist klar, dass es bestimmt schönere Aussichten gibt, aber ich bin es leid, diese Zwangsjacke aus Flanell tragen zu müssen, damit ihr keinen Schiss vor mir habt. Darum bin ich zu dem Schluss gekommen, mich eurer Gnade zu unterwerfen.«
Daraufhin hob Weed die Arme, drehte sich um und ließ seine Oberkörpermuskeln spielen. Keine der Frauen machte einen ungehaltenen oder skeptischen Eindruck, was andererseits aber auch verständlich war, denn sie wussten ja nicht, was die einzelnen Tattoos bedeuteten. Als sie seinen Rücken und die Narben sahen, schluchzten sie allerdings erschrocken auf.
»Sollten wir denn jetzt Schiss vor dir haben?«, fragte Lisa.
»Nö, ich habe nur zunächst befürchtet, dass ihr mich nun nicht mehr bei euch haben wollt. Dann habe ich mir immer mehr Sorgen gemacht, weil ihr mich ja ausstoßen könntet, sodass ich mich fortan alleine durchkämpfen müsste.« Er schwenkte einen Arm im weiten Bogen. »Da draußen. Schon mir das vorzustellen, war entsetzlich, und die Androhungen wurden langsam sehr konkret. Hoffentlich kennt ihr mich mittlerweile gut genug, um …«
»Welche Androhungen denn?«, fragte Lisa verwirrt. Sie hatte Weeds Köder offenbar geschluckt.
Also Pummelchen, folgendermaßen: »Die von Dale. Er scheint mich für einen schlechten Menschen zu halten. Ich weiß nicht, was ich verbrochen habe, aber ich möchte alles tun, damit …«
»Nein, mach dir mal keinen Kopf«, erwiderte Mary. »Dale meint es nur gut, aber er wittert hinter jeder Ecke einen Verbrecher. Ich glaube, das ist einfach seine Art, sich selbst das Gefühl zu geben, wichtig zu sein. Eventuell liegt es auch einfach nur an seiner beruflichen Ausbildung.«
Na, besten Dank, Tittenmaus.
Ana lächelte. »Also, ich habe nichts gegen deine Tätowierungen und ich denke nicht, dass du rausgeworfen werden könntest, nur weil eine Person das möchte. Würde das funktionieren, wäre Lisa schon längst nicht mehr hier.«
Das brachte auch Lisa zum Schmunzeln, und Ana bekam einen scherzhaften Klaps von ihr.
Niedliches Herzchen, dachte Weed. Ich würde Sie definitiv gern mal untenrum kitzeln, Ma'am.
»Sie erinnern mich stets daran, dass ich ganz früher ein dummer Junge war, der einen äußerst schlechten Umgang hatte. Ich saß auch eine Zeit lang in Haft, doch jetzt sind das alles nur noch Symbole für Fehler, die ich in grauer Vergangenheit gemacht habe und nun jeden Tag als Mahnmale dafür sehe, wie glücklich ich mich schätzen kann, eine so finstere Phase überstanden zu haben.«
»Was hat es denn mit den Narben auf sich?«, bohrte Mary nach, ruderte dann aber gleich wieder zurück: »Nein, sorry. Danach sollte ich dich nicht fragen.«
»Meinst du diese hier?« Nun lächelte Weed. »Die sind zurückgeblieben, nachdem ich mir im Laufe der Jahre zu oft selbst auf den Rücken geklopft habe.«
Daraufhin lachten die Frauen laut. Sie deuteten seine humorvolle Antwort anscheinend als Auflockerung, wohingegen er eigentlich darauf abzielte, den Eindruck zu erwecken, die Erinnerung an die Wunde wühle ihn zu sehr auf, denn andernfalls hätte er getrieben von Weißglut – es erzürnte ihn nämlich bis zum heutigen Tag – eine Tirade losgelassen. Er musste sich schließlich anhören wie ein reumütiger, alter Narr und nicht wie ein gefährlicher, eingefleischter Psychopath.
Weed wurde nun andächtig. Ausnahmsweise sagte er jetzt einmal die Wahrheit: »Im Gefängnis wurde ich von einem richtig üblen Kriminellen belästigt. Niemand half mir und ich hätte sterben können …« Daraufhin fiel er allerdings wieder auf eine Lüge zurück: »Das brachte mich damals endgültig von diesem Lebensstil weg. Die Wege des Herrn sind mitunter wirklich rätselhaft.«
Weed verzog sein Gesicht beim Gedanken an jene Zeit und versuchte, den nach wie vor schwelenden Zorn in sich zu unterdrücken. Er war noch jung gewesen und kaum ein Jahr zuvor eingeweiht worden, als er den Kopf für ein anderes Mitglied hatte hinhalten müssen und deshalb eine Freiheitsstrafe abgebüßt hatte. Am ersten Abend im Knast wusch er gerade sein bestes Stück unter der Dusche, als ihn die Latinos plötzlich packten. Er wehrte sich vehement gegen sie, vor allem weil er zunächst dachte, sie wollten ihn in den Arsch ficken, der bei ihm als Neuling natürlich noch nicht ausgeleiert war. Dann jedoch wurde er mit einem Gürtel um die Handgelenke an eine Brause gehängt, und er ahnte schnell, was folgen würde: Sie geißelten ihn zwanzig Minuten lang mit einem Verlängerungskabel, dessen Isolierung sie abgezogen hatten. Allerdings fanden diese Gewürzprüfer daraufhin alle innerhalb von vierundzwanzig Stunden den Tod, und aufgrund der Misshandlung setzte man Weeds Strafmaß sogar herab. Am meisten aber bedeutete ihm, auch heute noch hörbar furzen zu können.
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