Er lächelte und streckte seine Arme nach vorne aus. »Ich gängele niemanden mehr, esé?« Davon abgesehen, dass er dieses Slang-Anhängsel verwendete, sprach er mit einem ausgeprägten Akzent, obwohl er ihn freundlich anschaute. Er fuhr in normalem Englisch fort: »Im Ernst, das liegt in der Vergangenheit, genauso wie alles andere auch, nicht wahr?«
»Ja, klar doch.« Cooper nickte, denn der Kerl kam ihm gleich sympathischer vor. »Also, was ist mit Taffer geschehen?«
»Er wurde infiziert«, gestand ihm Ellen mit sorgenvoller Miene.
Cooper machte einen Schritt rückwärts.
»Er bekam Fieber und fing an … du weißt schon … sich übertrieben ausgelassen zu benehmen. Ich mischte ihm mehrere Schlaftabletten in ein Getränk, um ihn zu beruhigen, doch davon wurde er nur schläfrig. Für mich war das Anlass genug, ihn zu fesseln.«
Taffer schwankte auf der Stelle, während Ellen erzählte, dabei stöhnte er leise.
»Um sein Fieber zu senken, legte ich ihm Eisbeutel und kalte Handtücher auf, was auch immer ich finden konnte.«
»Genau«, warf Tom ein. »Ich beschwerte mich ständig darüber, dass wir auf der dritten Ebene hockten, aber genau das hat uns scheinbar gerettet.«
»Jedenfalls halfen Karen und Tom mir dabei, Taffer kühl zu halten, solange das Fieber nicht abklang. Dann brach er plötzlich in Geschrei aus und schlug wild um sich. Wir mussten ihn knebeln und fesseln, aber zuletzt wurde das Fieber immer schlimmer.«
»Außerdem habt ihr ihm den Käfig über den Kopf gestülpt und ihn so herumlaufen lassen?« Cooper zeigte darauf.
In diesem Moment fiel Taffer auf die Knie und sackte zur Seite auf den Betonboden. Ellen kniete sich neben ihn.
»Atmet er noch?« Cooper kauerte ebenfalls nieder. »Wie lange steckt das Ding denn schon in seinem Mund? War er zwischendurch ansprechbar?«
»Nein, er hat sich immer wieder gegen uns gewehrt und sich aggressiv verhalten.«
»Wen wundert's?« Hector lachte. »Fesselt und knebelt doch mal mich und schaut, wie ich reagiere.«
Cooper warf ihm einen amüsierten Blick zu – du hast ja recht – zog sein Messer und machte sich dann daran, die Seile und Tuchfetzen zu durchtrennen, mit denen sie Taffers Arme zusammengebunden hatten. Danach zog er ihm den Käfig vom Kopf und zerschnitt den Textilknebel. Taffers Haare und Bart hatten sich in der Kette verheddert. Er stank widerlich.
»Sag mal, was hattet ihr denn mit ihm vor?« Cooper schaute Ellen und die anderen drei an.
Sie zuckte mit den Achseln. »Ich schätze mal, über kurz oder lang hätte ich … keine Ahnung.«
Cooper hob nun eine seiner Pistolen. »Wenn er infiziert ist, bleibt uns leider keine andere Wahl.«
Ellen erschrak. »Was?« Es kam anscheinend vollkommen unerwartet für sie. »Du willst ihn erschießen?« Sie drückte Coopers Arm zur Seite.
»Es gibt keine Alternative. Da er uns angreift, ist er ganz offensichtlich nicht mehr der alte Taffer. Sollte er nur krank sein, muss er behandelt werden.«
»Hast du ihm mal in die Augen geschaut?«, fragte Hector nun. »Mann, er sieht aus wie ein Monster.«
Cooper kniete sich wieder hin und tätschelte die Wangen des Bewusstlosen. Er ließ ihn dabei keine Sekunde aus den Augen, weil er für den Fall, dass Taffer zu sich kam, vorbereitet sein wollte.
»Ich bin so dankbar dafür, dass es dir gut geht«, sagte er. »Was hast du denn die ganze Zeit über getrieben?«
»Na ja, ich habe mich aufgerafft, um nach dir zu suchen. Tom und Karen haben darauf bestanden, mich zu begleiten. Wir mussten durch Watsonville gehen, weil er nach seinem Bruder sehen wollte.«
Da dieser nicht zugegen war, erübrigte sich für Cooper ein Nachhaken.
»Und was hast du so gemacht?«
Er schaute zu seiner Schwester auf. Eigentlich wollte er ihr später alles in Ruhe erzählen. »Im Grunde nicht viel«, antwortete er geistesabwesend und nahm sich einen Augenblick Zeit, um die Umgebung zu sondieren. Er wunderte sich darüber, wie achtlos die anderen diesbezüglich waren. Wie hatten sie so lange überleben können?, fragte er sich.
Taffer fing jetzt wieder an, zu stöhnen.
Hector fielen beinahe die Augen aus dem Kopf, und er stürzte fast, als er zurückschreckte. »Erschieß ihn!«
»Warte.« Cooper zog beide Pistolen und legte sie auf den Kopf des Kranken an.
»Gleich zwei Kanonen?«, unterbrach ihn Ellen. »Muss das wirklich sein?«
Sie konnte die Augen verdrehen und Cooper das Gefühl vermitteln, ein Trottel zu sein, weil sie einen Nobelpreis erhalten hatte – was wohlgemerkt mittlerweile Schnee von gestern und jetzt vollkommen unerheblich war. Heute fiel es ihm leicht, sie zu ignorieren. Sie war bloß ängstlich und erschöpft, so wie jeder von ihnen, weshalb sie auch in alte Gewohnheiten zurückfiel.
Während Taffer stöhnte, rutschte er hin und her. Cooper trat leicht auf einen seiner Arme, damit er stillhielt.
»Cooper?«
»Taffer, wie geht es dir?«
»Ich verdurste.« Der Liegende schloss erschöpft die Augen.
Cooper schaute Ellen an, als wenn er sie fragen wollte: »Und wer ist hier der Trottel?«
»Mensch, wie hätte ich das denn erkennen können? Sieh dir doch seine Augen an. Er hat sich aufgebäumt, als …«
»… als habe er Hunger und bekomme keine Luft mehr?«, ergänzte Cooper trocken.
»Na gut.« Karen ging zu Taffer. »Wir müssen ihn irgendwohin bringen, wo es sicher ist und er sich erholen kann. Komm her, Tom, und hilf mir mal.«
Ellen fiel auf, dass Karen, die eben noch einen ganz schüchternen Eindruck gemacht hatte, jetzt diejenige war, die Anweisungen gab. Tom fügte sich und packte mit an, um Taffer hochzuheben. Dieser hatte zwar viel Gewicht verloren, war aber trotzdem noch schwer genug. Deshalb gelang es ihnen nur mit vereinten Kräften, ihn in den SUV zu hieven. Ellen nahm außerdem Anstoß daran, dass Tom zur Seite trat und sich von Hector ablösen ließ, um selbst auf der Beifahrerseite einsteigen zu können. Denn so musste sie Taffer allein mit Karen, Cooper und Hector auf die Rückbank legen. Als sie den Latino anschaute, erwiderte er ihren Blick kopfschüttelnd und mit einem abfälligen Gesichtsausdruck.
Sie richteten Taffer vorsichtig hinter dem Beifahrersitz auf, ehe Cooper hinter dem Steuer Platz nahm. Ellen rutschte nun in die Mitte der Rückbank. Karen stieg als Nächstes ein und Hector zuletzt, sodass dieser am Fenster saß. Er konnte die Tür kaum zuziehen, weshalb er sich zur Seite drehen musste. Schließlich hatten sich vier Erwachsene in den hinteren Teil des Wagens gezwängt, wohingegen sich Tom vorne breitmachen konnte, während er durch die Windschutzscheibe schaute.
»Moment noch!«, rief Hector. Er stieg wieder aus und hob die Waffen auf, die das Trio fallen gelassen hatte. »Nur das Gewehr ist geladen. So wie die zwei Flinten aussehen, funktionieren sie vielleicht gar nicht mehr.«
»Was erklären würde, warum die beiden einfach weggerannt sind.« Cooper verließ den Wagen ebenfalls. »Ich schlage vor, wir sehen uns diesen Kerl noch mal genauer an.«
Er bemerkte sofort, dass sich der Mann eingenässt hatte. Als er neben ihm auf die Knie ging, um seinen Puls zu prüfen, musste er würgen. Obwohl der Wind in die entgegengesetzte Richtung wehte, roch er, dass auch Whites Schließmuskel erschlafft war. Cooper fühlte keinen Puls mehr. Die Augen waren halb offen. Er war sich sicher, einen Toten vor sich liegen zu haben.
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