1 ...7 8 9 11 12 13 ...21 „Ah, da sitzen meine Jungens ja und sind wieder so fleißig“, flötete sie in irritierend hohem Ton.
Als sie das Klopfen hörten, hatten sich alle drei rasch wieder über ihre Bücher gebeugt und so getan, als seien sie in die Lektüre vertieft.
„Was steht denn heute auf dem Stundenplan?“, fragte sie. „Sind etwa bald Prüfungen?“
„Stellen Sie den Kaffee bitte einfach dorthin.“ Aksel zeigte auf die kleine Anrichte, auf der Frau Jakobsen das Tablett stets abstellte, nachdem sie hereingekommen war.
„Ah, endlich ein bisschen was, um sich aufzuwärmen“, sagte Petersen. „Ist es wirklich nicht möglich, etwas mehr zu heizen?“
„Aber Herr Petersen, seien Sie doch nicht so streng mit einer Dame. Stramme junge Männer wie sie haben doch nun wirklich andere Möglichkeiten ...“ Was für Möglichkeiten sie meinte, beließ Frau Jakobsen im Ungewissen, jedenfalls ging Christian davon aus, dass es in ihrem Zimmer kaum wärmer werden würde.
„Danke, Frau Jakobsen“, sagte Aksel kurz angebunden.
„Na denn ...“ Sie zog sich zur Tür zurück.
„Aber Herr Petersen, seien Sie doch nicht so streng ...“, sagte Aksel mit theatralischer Stimme, nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, und sie lachten laut.
Beinahe gierig griffen sie nach den dampfenden Kaffeetassen, und Aksel sagte: „Also, was ist da los in Finnland? Die Russen sitzen in Eis und Schnee fest?“
„Ja, genau“, antwortete Petersen und blies auf seinen Kaffee. „Sie wurden vom Winter überrascht. Ich weiß, das klingt ziemlich albern, aber es sind wohl schon eine ganze Menge russischer Soldaten gefallen. Die Finnen kämpfen mit Todesverachtung, sie halten sich verdammt noch mal wacker, und es sieht gar nicht schlecht für sie aus, aber sie brauchen Hilfe.“
„Da kann man mal sehen, ein kleines Land kämpft um seine Eigenständigkeit, und es gelingt ihm tatsächlich, den Russen die Stirn zu bieten. Man sollte ihnen beispringen“, meinte Aksel und sah sie entschlossen an.
„Zuerst haben sie Schweden um Hilfe gebeten, dann aber auch Dänemark und Norwegen und andere Alliierte.“
Christian seufzte und trank nachdenklich von seinem Kaffee. „Ich stimme dir ja zu, man sollte ihnen zu Hilfe kommen“, er hielt kurz inne, „aber kann man als Südjüte in diesen Zeiten sein Land verlassen? Hitler wird immer unberechenbarer, marschiert er vielleicht plötzlich in Dänemark ein? Müssen wir dann nicht hier sein und Südjütland verteidigen? Ist das nicht unsere Pflicht?“
„Was gerade in Finnland passiert, erfordert entschlossenes Handeln, und zwar jetzt. Dass die Deutschen die Grenze überschreiten, ist hypothetisch“, entgegnete Petersen. „Wir sollten ihnen helfen und den Russen zeigen, was eine Harke ist – ich konnte die Kommunisten noch nie ausstehen.“
Christian rümpfte die Nase. „Und ich konnte die Nazis noch nie ausstehen.“
„Einer meiner Vetter ist auch beim Militär. Er hat sich entschieden, nach Finnland zu gehen, zusammen mit zwei Kameraden“, sagte Petersen und stellte seine Tasse auf den Tisch.
Aksel runzelte die Stirn. „Ich glaube, ich muss meine Meinung ändern. Christian hat recht. So, wie die Sache steht, müssen wir hierbleiben und unsere Heimat verteidigen, bis zum letzten Blutstropfen, wenn es sein muss. Die Deutschen können jederzeit hier auftauchen.“
Sønderborg, 8. April 1940
An einem der ersten richtigen Frühlingstage lag Christian in voller Montur in seiner Koje und war ausnahmsweise einmal froh darüber, dass Aksel nichts sagte. Sein Freund lag leise schnarchend in der Koje über ihm, und Christians Körper summte angenehm von der Anstrengung, die hinter ihm lag. Er vermochte kaum, den Arm zu heben, und bei dem Gedanken daran, gleich die Füße über die Kante schwingen und aufstehen zu müssen, bildeten sich tiefe Falten auf seiner Stirn. Zwei schmerzhafte Blasen hatten sich unter den Sohlen gebildet. Na ja, es war nicht das erste Mal und würde sicher auch nicht das letzte Mal sein.
Er schloss die Augen. Warum konnte er nicht schlafen, obwohl sich der seltene Luxus einer langen Mittagspause bot? Obendrein hatte er sich im Speisesaal zweimal Nachschlag geholt! Nach den Strapazen des Vormittags hatte er das unbedingt verdient, wie er fand, sie hatten sich vom Übungsplatz im Sønderskoven förmlich zur Kaserne geschleppt.
Der Kalender zeigte den achten April; nur noch wenige Tage bis zu seiner Ernennung zum Oberfeldwebel. Er musste sich ausruhen, versuchen, ein wenig zu schlafen, bevor der Befehl zum Antreten über den Flur gebrüllt wurde, aber in seinem Kopf kreisten die Gedanken wie kurze Filmaufnahmen, die ineinander übergingen. Abschied von den Kameraden. Ankunft in der Hauptstadt. Er spürte Unbehagen bei dem Gedanken daran, sich auf diesen Weg zu begeben. Er hatte keine Ahnung, was ihn erwartete. Wollte alles von sich wegschieben. Nicht zuletzt, weil ihm seit Kurzem immer wieder Zweifel kamen und seine Zuversicht zersetzten. Hatte er wirklich die richtige Entscheidung getroffen?
Lieber stellte er sich ein Familientreffen bei Oma vor. Alle würden da sein und über seine hervorragenden Prüfungsergebnisse und seinen neuen Dienstgrad staunen. Oberfeldwebel. Er würde ihnen erzählen, dass er vorhatte, die Offizierslaufbahn einzuschlagen, und Oma würde ihn mit ihren runden Augen ansehen und sagen ‚Jesus! Kedde, mein Lieber, wirst du denn nie fertig? Willst du es etwa zu etwas noch Vornehmeren bringen?‘ Alle würden so stolz auf ihn sein. Oma würde zu Nachbar Bjerre laufen und es ihm erzählen. ‚Haben Sie schon gehört, unser Kedde geht nach Kopenhagen, um etwas zu werden, das man Offizier nennt. Er macht eine Ausbildung auf Frederiksberg Slot und Kronborg, direkt bei der königlichen Familie.‘ Und Bjerre würde garantiert sagen: ‚Dewsen i 'et'‘, was man nur in Südjütland verstand und was soviel bedeutete wie ‚Hat man Töne‘. Bjerre sagte es immer, wenn ihn etwas überraschte oder beeindruckte.
Auf irgendeine Weise würde sicher auch Gerda davon hören. Natürlich konnte er auch einfach bei ihr vorbeischauen und es ihr selbst erzählen, ihr Mann hatte ihr ja wohl nicht verboten, sich mit alten Freunden zu unterhalten?
Lächelnd und mit geschlossenen Augen lag er da. Dachte daran, dass es sehr schade war, sich von Aksel und Petersen verabschieden zu müssen.
Dann drangen andere Geräusche in sein Bewusstsein. Es war nicht Aksels Schnarchen, nicht Poulsens Murmeln und erst recht nicht Oves Furzen. Auf dem Flur vor ihrer Tür gab es Unruhe, und es klang, als würde jeden Moment etwas passieren. Christian stützte sich auf den Ellbogen und lauschte, und einige der Kameraden taten es ihm nach, während sie sich müde mit der anderen Hand übers Gesicht fuhren. Allen war klar, dass es gleich mit ihrer Siesta vorbei sein würde.
William gähnte gerade ausgiebig, als auf der anderen Seite der Tür „Alarmbereitschaft!“ gebrüllt wurde. Alle hatten in voller Ausrüstung auf dem Flur anzutreten.
„Was zum Teufel soll das denn?“, fragte Gustav, der in der unteren Koje neben Christian lag. „Versuchen sie jetzt auch noch, witzig zu sein?“
Christian war bereits aufgestanden. „Beim Militär gibt’s keinen Humor.“ Unsanft rüttelte er Aksel aus dem Schlaf.
„Was soll das?“ Mürrisch starrte Aksel ihn an.
„Alarmbereitschaft“, sagte Christian nur und war im nächsten Augenblick bei seinem Spind.
„Das darf doch nicht wahr sein“, knurrte Aksel und kletterte aus seiner Koje.
Alle stolperten wild durcheinander in der Stube herum, aber nur wenige Minuten später standen sie in Stiefeln, Uniform, Mütze und mit vollem Gerödel in Reih' und Glied auf dem Flur. Vor ihnen stand der Kasernenkommandant und sah sie mit ernster Miene an. Es musste irgendetwas Außergewöhnliches vorgefallen sein, wenn der Herr Hauptmann die Meldungen über das vollzählige Antreten der Züge selbst entgegennahm. In militärischer Kürze informierte er sie darüber, die Alarmbereitschaft sei befohlen worden, weil man sechzig Kilometer südlich der Grenze eine starke deutsche Militäreinheit beobachtet habe, die in Richtung Dänemark vorrücke.
Читать дальше