Er hatte den Ball soeben geworfen und ich fing ihn in der Luft ab.
Schnell rannte ich weiter so gut es ging um die gegnerische Mannschaft herum und bereit, den Ball in ihrem Feld abzulegen, als sich plötzlich ein Arm um meinen Hals legte und mich herunterriss.
Der Ball fiel mir aus den Händen und der Gegenspieler und ich landeten im feuchten Gras.
Was war das denn bitte?!
Sein Arm befand sich immer noch um meinen Hals.
Als wir am Boden lagen, löste er sich endlich und ich röchelte nach Sauerstoff. Der Coach blies laut in seine Pfeife.
Ich richtete mich auf und betrachtete den anderen Spieler.
Es war Aaron Dwayne. Bitte nicht.
„Bist du irre?“ krächzte ich, da meine Stimme noch nicht völlig zurückgekehrt war. „Wolltest du mich umbringen, oder was?“ er richtete sich auf und sagte aufgebracht: „Ich habe überhaupt nichts gemacht! Du hast mich einfach gewürgt!“
Ich konnte nicht fassen, wie dreist Aaron log. Er war ein ekelhafter Typ, der schon oft Ärger provoziert hatte.
Bisher war ich nie seine Zielscheibe gewesen und ich hatte keine Ahnung, wieso er beschlossen hatte, dass sich das ändern sollte.
„Du hast sie wohl nicht mehr alle!“ rief ich und hörte wie der Coach sich laut pfeifend seinen Weg durch die Spieler, die um uns standen, bahnte.
„Dwayne! Smith! Auseinander mit Ihnen!“ rief er, doch Aaron griff unauffällig meinen Fuß als ich aufstehen wollte, und sorgte damit dafür, dass ich nochmals hinfiel.
Jetzt reichte es mir und ich warf mich ärgerlich auf ihn.
Er schlug mich zuerst und sorgte mit einer gut platzierten Faust in den Magen dafür, dass sich mein Frühstück nochmal gut durchmischte.
Aber, was er konnte, konnte ich auch.
Der Coach war inzwischen wütend und riss die gaffenden und johlenden Jungs, die uns zuschauten, auseinander und stürmte auf uns zu.
Dann zog er uns mithilfe von Ethan, der mich festhielt, und zwei anderen Jungen, die Aaron zurückhielten, auseinander.
„Sind Sie beide komplett wahnsinnig geworden?“ brüllte er uns an.
„Auf meinem Feld wird sich nicht geprügelt, ist das klar?“ Wir beide nickten widerwillig.
Ich betrachtete Aaron mit blitzenden Augen, aber der brachte es fertig, mit einem Mundwinkel noch zu grinsen.
Das hätte er lieber lassen sollen. Der Coach sah es und das brachte ihn endgültig auf die Palme.
„Sie haben also noch die Frechheit, das Ganze lustig zu finden? Dann wird Ihnen ein Besuch beim Direktor mit Sicherheit auch Spaß machen!“
Ich versuchte ein schadenfrohes Grinsen zu unterdrücken, was mir jedoch offenbar nicht gelang, denn in der nächsten Sekunde verkündete der Coach: „Und Sie begleiten ihn!“
Mit einem Nicken in meine Richtung machte er deutlich, dass er mich meinte. Ich wollte protestieren, riss mich dann aber noch zusammen.
„Mach jetzt lieber nichts.“ raunte Ethan leise und ich machte mich auf den Weg zum Direktor, gemeinsam mit Aaron und dem Coach, der das Training für den restlichen Tag abblies.
Oben im Büro des Direktors standen Aaron und ich vor dem großen Schreibtisch dem Schulleiter gegenüber, während Coach Stevenson die Lage schilderte.
Direktor Taylor blickte ärgerlich zwischen uns hin und her. Ich schaute nahezu unbeteiligt aus den großen Fenstern hinter dem Schreibtisch hinaus.
Ich versuchte mir meinen Ärger nicht anmerken zu lassen, schließlich hatte ich den Streit nicht provoziert.
Zum Glück hatte der Coach das auch erkannt. Nachdem er seine Erklärung beendet hatte, seufzte der Direktor:
„Glauben Sie beide, dass ich im Moment noch mehr Ärger brauche? Es reicht wohl noch nicht, dass Ihre Mitschülerin tot aufgefunden wurde, was?“ erschöpft ließ er sich auf seinen Stuhl fallen.
„Sie sind keine Kinder mehr, die nach Lust und Laune herumtollen können! Begreifen Sie endlich, dass längst der Ernst des Lebens begonnen hat, meine Herren! So etwas möchte ich nicht noch einmal erleben. Aber dieses Mal lass´ ich noch Gnade vor Recht ergehen, da alle unter den gegebenen Umständen etwas aufgewühlt sind.“
So schlimm es auch klingt, aber in dem Moment konnte ich Kellys Tod etwas Gutes abgewinnen. Wir wurden dieses Mal noch verschont.
Am Ende seiner Strafpredigt wurde uns verkündet, dass wir, wenn wir nochmal auffällig werden würden, aus dem Team ausgeschlossen werden müssten.
Danach wurde von uns verlangt, dass wir uns die Hand gaben. Widerwillig und mit zusammengebissenen Zähnen brachte ich es über mich, wobei ich Aaron sein falsches Grinsen am liebsten aus dem Gesicht gewischt hätte.
Als wir endlich gehen durften, kassierte ich noch einmal einen warnenden Blick des Coaches.
„Sie müssen sich zusammenreißen! Haben Sie das verstanden? Wir können es uns nicht leisten, Sie aus unserer Mitte zu verlieren.“
„Ich weiß. Es tut mir leid.“ Ich versuchte, mich nicht nochmal zu rechtfertigen, denn Coach Stevenson wusste, wer schuld war.
Daraufhin folgte er Aaron Dwayne auf den Flur, der sich längst davon gemacht hatte.
Ich überlegte, wohin ich jetzt gehen sollte, schließlich war das Training vorbei.
Als ich mich gerade nach rechts wandte, traute ich kurz meinen Augen nicht.
In der Sekunde sah ich das Mädchen, das mir bei der Versammlung bereits aufgefallen war. Ich erkannte sie an ihrem braunen, geflochtenen Zopf und dem Rock, in dem noch immer diese auffällige Falte war.
Warum sagte ihr das den niemand?
Sie öffnete gerade die Tür, die direkt neben dem Büro des Schulleiters lag, und verschwand heimlich darin.
Die Tür ließ sie hinter sich zu fallen. Perplex blieb ich stehen.
Was machte sie denn da drin?
Kurz wartete ich, ob sie gleich wieder herauskommen würde, doch das geschah nicht.
Als ich mich der Tür näherte, bemerkte ich, dass sie aus hellem Holz war und ziemlich unauffällig. Das musste eine der Besenkammern sein, die früher ganz normal gewesen waren.
Jetzt war es vermutlich mehr ein Abstellraum für Geräte oder Putzmittel, die keiner mehr brauchte.
Das klärte aber noch lange nicht die Frage, was das Mädchen darin zu suchen hatte.
Ohne groß weiter darüber nach zu denken, öffnete ich die Tür und folgte ihr in den engen Raum.
-Liz-
Da war ich nun, um meinen Plan in die Tat umzusetzen.
Vorsichtig schloss ich die Tür zum Abstellraum.
Gestern war mir die Möglichkeit vor die Füße gefallen, endlich ein paar Antworten auf meine Fragen zu bekommen.
Die Antworten, die ich bis jetzt erhalten hatte, reichten mir nicht.
Ich war sicher, dass uns irgendetwas verschwiegen wurde.
Also entweder das oder alle Beteiligten hatten etwas ganz Wichtiges übersehen. Oder ich reagierte über, aber die Möglichkeit ignorierte ich geflissentlich.
Ich hatte den ganzen Tag darauf gewartet, meinen Plan endlich umzusetzen und jetzt am Nachmittag, sobald die Pflichtfächer vorbei waren, hatte ich mich direkt auf den Weg gemacht.
Gestern hatte ich, als ich nach einem kurzen Stopp im Aufenthaltsraum wieder zurück auf unser Zimmer gekommen war, versucht, so wenig wie möglich mit Mary Lou zu reden.
Wenn ihr der Tod eines Menschen nichts ausmachte, dann war das die eine Sache, aber dass sie es auch noch an die große Glocke hängen musste, eine andere.
Außerdem war ich in Gedanken und versuchte zu verarbeiten, was ich bei meinem, zugegeben nicht ganz freiwilligen, Stopp im Aufenthaltsraum gehört hatte.
Ich war gerade auf dem Weg zur großen Treppe gewesen, als zwei Männer in Arbeiterkleidung zwei große Leinwände die Treppe hochschleppten. Vermutlich waren sie auf dem Weg zum Kunstsalon, denn die kleine dicke Französin, die neuerdings an unserer Schule für den Kunstunterricht zuständig war, winkte sie vorwärts.
Leider verursachten die Männer einen Stau, da sie die vier Meter breite Treppe aufgrund der Leinwände komplett einnahmen.
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