Gerd Mjøen Brantenberg - Augusta und ihr Dichter

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Zwischen Liebe und Vernunft. 'Augusta und ihr Dichter' ist eine wunderbare Liebesgeschichte im Norwegen der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der biografische Roman erzählt die ergreifende und wahre Geschichte einer unmöglichen Liebe zwischen Augusta, Kind wohlhabender Bauern, und dem unsteten, an Broterwerb ganz und gar uninteressiertes Björnstjerne. Augusta Eltern untersagen die Beziehung und zwingen ihre Tochter in ein Vernunftehe. Ihre schauspielerische und musikalische Begabung soll sie aufs Haus beschränken, denn öffentlich aufzutreten, schickt sie nicht für eine anständige junge Frau. Aus dem wilden Björnstjerne wird Norwegens Nationaldichter Björnstjerne Björnson, der auf der Bühne den Realismus einführt und die norwegische Sprache, bis dahin die Sprache der Bauern und der Armen, kulturfähig macht. 'Augusta und ihr Dichter' ist eine poetisch-genaue Beschreibung des Lebens in der Stadt un auf dem Land und des politischen und kulturellen Hintergrunds der Zeit: Kampf um Meinungsfreiheit und Bürgerrechte, Modernisierung eines rückständigen Agrastaats, Entstehung der norwegischen Nation. Augusta Mjøen ist die Urgroßmutter der Autorin. AUTORENPORTRÄT Gerd Brantenberg, geboren 1941 in Oslo, wuchs in der norwegischen Kleinstadt Fredrikstad auf. Sie studierte Englisch, Geschichte und Staatswissenschaft und arbeitete ab 1971 als Lehrerin.

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Gerd Mjø­en Branten­berg

1. Kapitel

Sie hieß Augusta und dachte mit den Augen: Warum sind die Berge in der Ferne blau? Sie saß bei ihrer Großmutter in Waslæggen auf der Fensterbank und schaute. Der kleine Pachthof lag an einem grünen Hang, und sie hatte freie Sicht nach allen Seiten. Die Schafe grasten zwischen den überall aufragenden Steinen. Die Großmutter wollte unten vom Fluß Wasser holen, und Augusta freute sich auf ihre Rückkehr, denn dann würde sie sich zu ihr setzen und erzählen.

Und nun kam sie. Der Hang, die Schafe und die Berge in der Ferne sahen ganz anders aus, denn nun kam die Großmutter, mit den beiden Eimern am Joch, mit ihren weißen Haaren, sie tauchte unten unter den Weiden auf, kam den Hang herauf, wurde immer größer, winkte Augusta zu, lächelte, rief ihren Namen. Augusta sprang von der Fensterbank und lief ihr entgegen. „Du hast aber lange gebraucht!“

Augusta durfte nämlich nie mitkommen, wenn die Großmutter Wasser holen ging. In diesem Sommer hatte es so wenig geregnet, daß der Bach weiter oben ausgetrocknet war und sie ihr Wasser aus dem Fluß holen mußten. Der Fluß war tief und reißend, es gab Wasserfälle und Stromschnellen, das Wasser wirbelte und brauste. Vassleia hieß der Fluß, dem der Hof den Namen verdankte, er hätte Augusta verschlingen und sie nie wieder hergeben können. Deshalb mußte sie auf der Fensterbank warten.

Jetzt holte sie die süßen Fladen und die Schmalzringe und stellte alles draußen auf den Tisch, sie liefen hin und her und plauderten, es war so heiß, die Großmutter füllte im Eimer eine Kelle und trank. „Ahhhh! Wasser!“ stöhnte sie erleichtert. „Es gibt einfach nichts Besseres!“ Augusta zupfte sie ungeduldig am Blusenärmel. „Jetzt erzähl schon, Großmutter!“

Sie setzten sich in die Sonne. Die Gemeinde, in der der Hof lag, hieß Oppdal. Dort gehörten sie hin, der Großvater und seine Familie lebten hier seit dem Tag, an dem die ersten Bewohner über den Gletscher geschaut hatten. Sie hatten sich Höfe gebaut und den Boden urbar gemacht.

Die Großmutter erzählte. Augusta lauschte gespannt. Denn nun kam es bald – das Schreckliche, die Stimme der Großmutter war rauh und fest und ein wenig heller als sonst, und sie erzählte die Geschichte in immer denselben Worten.

Eine große Pest war über das Land gekommen. Sie wurde „der Schwarze Tod“ genannt, sie jagte durch das Land und machte den Kranken blauschwarze Beulen, in dieser Minute war man noch gesund, in der nächsten fiel man um. Es war vorgekommen, daß ein bloßes Niesen ausgereicht hatte, um jemanden zu töten. Damals sagten die Menschen, wenn sie Gäste hatten: „Ich bringe dich noch heil hinaus!“ und begleiteten sie bis zur Türschwelle, denn es konnte durchaus vorkommen, daß die Gäste vor der Tür tot zusammenbrachen.

Als der Schwarze Tod damals das Land verwüstete und zwei Drittel aller Menschen mit sich riß, gehörte Oppland zu den am schlimmsten betroffenen Gemeinden. Es lag sicher daran, daß es so hoch lag, daß sich hier alle Wege begegneten. Reisende aus der Hauptstadt, von der Westküste oder aus Nidaros – alle kamen sie nach Oppland, kehrten in der Herberge ein, wechselten die Pferde, erzählten ihre Geschichten und verbreiteten die Krankheit. So erbarmungslos hatte der Tod in der Gemeinde gewütet, daß am Ende nur noch von drei Dächern Rauch aufgestiegen war. Vom Hof Bø, vom Hof Ørstad und von der Kätnerstelle Vognhildsplassen. Die Menschen, die überlebt hatten, waren das alte Ehepaar auf Bø mit seiner Tochter, einige Landfahrer mit einem neugeborenen kleinen Jungen auf Ørstad und eine Witwe mit ihrem Sohn auf Vognhildsplassen.

Die Großmutter und Augusta konnten diese Höfe sehen, und die Geschichte legte sich zusammen mit dem Sonnenschein über sie und ließ sie aufleuchten.

In der ganzen Gegend gab es nur zwei junge Menschen, und die strebten zueinander und verliebten sich. Aber die Eltern auf Bø wollten nichts davon hören. Obwohl es nur noch fünf Menschen aus der Gemeinde und eine Schar von Umherstreifern gab, hielten sie wie früher auf Sitte und Ordnung, und es schickte sich nun einmal nicht, daß eine Hoferbin einen Kätnersjungen heiratete. Die beiden bettelten und flehten, aber es half alles nichts, und eines Tages waren die beiden jungen Liebenden verschwunden.

Die Eltern auf Bø und die Witwe auf Vognhild machten sich zwar Sorgen, dachten aber, die beiden würden bald zurückkehren. Sie suchten nach ihnen, wachten und horchten, aber die jungen Leute blieben verschwunden. Wochen und Monate vergingen, der Herbst und dann der Winter stellten sich ein, der Schnee machte die Bergpässe unwegsam, und jeden Tag sah die Hausfrau auf Bø übers Tal hinweg.

Nun fürchteten alle, daß die beiden im Gebirge ums Leben gekommen sein könnten, und sie bereuten ihre Unbeugsamkeit und flehten Gott um Erbarmen an.

So vergingen viele Jahre.

Aber eines Tages entdeckte die Hausfrau auf Bø, daß aus einer Almhütte auf dem Almannberg Rauch aufstieg. Offenbar waren dort neue Leute eingezogen. Und nach einigen Tagen konnte sie ihre Neugier nicht länger beherrschen, sie machte sich auf den Weg. Es war ein heißer Sommertag, die Sonne brannte zwischen den Felswänden, die Frau war erschöpft und in Schweiß gebadet, als sie endlich die Hütte erreichte und anklopfte. Eine junge, schöne Frau, die auf dem Arm ein kleines Mädchen und am Rockzipfel einen Jungen hatte, trat in die Türöffnung.

Die Hausfrau wollte ihren Augen nicht trauen. Die junge Frau war ihre Tochter. Die Mutter war so glücklich, daß sie keine Worte fand, die beiden starrten sich schweigend an. Dann öffnete die Tochter die Tür und bat die Mutter ins Haus, sie holte eine Schale mit Wasser. „Etwas anderes kann ich dir nicht anbieten, Mutter.“, sagte sie.

Die Mutter trank das gute, frische Wasser aus dem Gebirgsbach mit großem Genuß und sagte dann: „Etwas Besseres hättest du mir gar nicht geben können. Dieses Wasser schmeckt wie Met!“

Das Wasser stammte aus dem Bach, der direkt aus dem Almannberg entspringt und zu allen Jahreszeiten gleich stark dahinsprudelt. Die Quelle lag oberhalb der Almhütte, deshalb hatten die jungen Leute sich dort niedergelassen. Seither wurde der Bach Mjøakilden, „Metquelle“, genannt, und die Menschen, die hier wohnten, trugen den Namen „Mjøen“.

Augusta seufzte vor Erleichterung und Freude tief auf. Sie sah alles genau vor sich, was die Großmutter erzählt hatte: als habe sie auch hinter ihrer Stirn Augen, die denken konnten. Es war einfach wunderschön. Immer wieder freute Augusta sich auf den Moment, wo die Großmutter diese Worte sagen würde. Und die ganze Zeit sah sie beim Zuhören zum Almannberg hinüber. Manchmal glaubte sie, für eine Sekunde das junge Paar auf der Flucht sehen zu können.

Wenn die Sage erzählt war, blieben sie ein Weilchen schweigend sitzen. Da lag der Almannberg, düster und groß, im Gesicht hatte er deutliche Narben von den großen Lawinen. Die Almhütte war verschwunden. Manchmal ballten sich über seinem Gipfel die Wolken zusammen, und plötzlich war der ganze Berg verschwunden. Bald darauf tauchte er dann wieder auf und funkelte grünlich im Sonnenschein.

Es machte Spaß, einfach nur dazusitzen und Ausschau zu halten. Die blauen Berge hießen Troldtindene, „Trollzinnen“. Warum sie so blau waren? Die Großmutter sagte, weil sie fast bis in den Himmel reichten. Und darüber wohnte Gott. Es war ganz deutlich zu sehen, daß die Großmutter recht haben mußte. Aber seltsam war es trotzdem. Im Norden, Richtung Trondheim, waren die Berge dunkel und bewaldet, in Richtung Ørstadgrenda, wo die Großmutter herstammte, war alles grün an grün. Dort hatten sich nach der Pest die Landfahrer niedergelassen, und später sollten Zigeuner dazugekommen sein, deshalb hatte die Großmutter so weißes Haar und so braune Augen und war eine so gute Erzählerin.

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