Anonym
Geschichte und Kochrezepte einer spartakistischen Zelle am Bauhaus Weimar
Aus dem Italienischen von Ambros Waibel
Anonym
Der anonyme Verfasser kaufte im Auftrag
eines Freundes in einer kleinen Tessiner
Galerie ein winziges Aquarell von
Paul Klee, ein Geschenk des Meisters an
seine Schülerin Hannah R. Die Galeristin
ist die Enkelin der Roten Köchin, von
ihr erfuhr er deren Geschichte, die er
niederschrieb.
Copyright der italienischen Originalausgabe:
© DeriveApprodi srl, Rom 2003
Originaltitel: »La cuoca rossa. Storia di una
cellula spartachista al Bauhaus di Weimar.
Con un ricettario di cucina tedesca«
Copyright der Übersetzung:
© Ventil Verlag UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG, Mainz 2012
Alle Rechte vorbehalten.
2. Auflage 2013
print-ISBN 978-3-931555-59-7
e-ISBN 978-3-955755-96-6
Lektorat: Sonja Vogel
Cover: Oliver Schmitt
Ventil Verlag
Boppstraße 25, 55118 Mainz
www.ventil-verlag.de
Weimar, warum nicht? Von Dietmar Dath
Vorgeschichte
Vorrede
Vorspeisen
Heringe nach Art der Kronstädter Matrosen
Forellenfilets à la Braunberger
Terrine von Hering und Hecht
Großer Kartoffelsalat
Grüne Erbsen auf Holsteiner Art
Wirsingrouladen
Salat mit Entenschinken
Brunnenkresse-Creme mit Fröschen
Zwiebelkuchen
Schneehuhnterrine mit Portwein
Königsberger Klopse
Heringswürfel
Gefüllte Zwiebeln
Entenbrust auf Wirsing
Ochsenzunge auf Rosinensauce
Kartoffelpastete mit Räucherlachs
Gemüseartischocken mit Mark
Kraut auf westfälische Art
Geschmorte Salatherzen
Forellenauflauf mit Krabben
Kotlety Rublennye
Karpfenfilets mit Kraut
Leberauflauf
Jan im Sack
Biersuppe
Holundersuppe
Leber-Knyll in Brühe
Zanderrouladen in Mandel-Sahne-Sauce
Aalsuppe
Weichselkirschensuppe
Akaziencreme
Fette Specksuppe
Potée à la Weimar
Hauptgerichte
Schnecken nach Bauernart
Hopfensprossen mit Rührei
Hirnsuppe
Hamburger
Aal mit Speck
Gedünstete Schleie
Donaustör
Karpfen auf sächsische Art
Hecht geschmort
Bachforellen gemehlt
Kabeljau norwegisch
Luthers Schellfisch
Kabeljau mit jungen Kartoffeln und Frühlingszwiebeln
Seehecht italienisch
Bratwurstnester mit Weißwein
Blutsuppe mit Äpfeln
Hühnerfrikassee à la Kiel
Schinken mit Wiesenheu
Wachteln an marinierter Gänseleber
Kraut mit der Laus
Rehkeule mit Maronen und Quitten
Rinderlende mit Zwiebeln
Hasenrücken nach Art des Jagdzirkels
Holzbein mit Bandnudeln auf italienische Art
Rebhuhnkasserolle mit Renette-Äpfeln
Kaiserfasan
Hirschkotelettes mit Linsen
Dessert
Reibekuchen
Faschingskrapfen nach Grazer Art
Kekse der Polnischen Schwestern
Kissel mit Blaubeeren
Spartakistenpudding
Soufflé à la Kirsch
Stachelbeer-Kaltschale
Beignet mit Renette-Äpfeln
Pudding mit Waldbeerensaft
Blaubeerkuchen
Feine Pfannkuchen mit Blaubeeren und Himbeeren
Anisbogen
Gefüllte Orangen
Bayerische Creme mit Himbeeren
Kirschdessert à la Elfriede Petri
Gugelhopf hessische Art
Zabaione mit Kirsch-Ingwer-Sauce
Reistorte mit schwarzen Johannisbeeren
Plum-cake
Liszt-Mokka
Gestürzte Apfeltorte
Kirschflan
Thüringer Charlotte
Glossar
Meistens, wenn ich in Weimar bin, gibt es da zwielichtige Kunst, gutes Essen und kommunistische Streitigkeiten. Das war schon so, als ich noch nicht wusste, wie ölig die Nudeln in der Nähe des Thälmann-Denkmals schmecken und dass man die Pommes, die es unweit des härtesten Goetheviertels gibt, nicht zu dem ganz woanders gelegenen Metalltor mitnimmt, an dem Hammer und Sichel prangen, sondern gefälligst in der Kneipe aus der Schüssel isst, und zwar ohne Soßenmatsch und Ketchup-Kleister, rotgepudert und blitzgesalzen, wie sie eben sind. Die Leute hier machen Radio, Ausstellungen und Flohmärkte. Man hält es gut aus in Weimar.
Früher, sagt das Buch, das gleich anfängt, gab es in Weimar auch kommunistisches Essen, gute Kunst und zwielichtige Streitigkeiten sowie außerdem kommunistische Kunst, zwielichtiges Essen und gute Streitigkeiten.
»Was tun?«, Titel eines netten russischen Romans und einer wertvollen russischen Abhandlung, fragten die Leute, von denen das Buch handelt, in den Zeiten, von denen das Buch spricht, das gleich anfängt, lieber nicht allzu lange, weil sie wussten, dass man sich, wenn man das allzu lange fragt, leicht zwischen den zwei möglichen Deutungen dieses Fragesatzes verläuft, er heißt ja sowohl »was kann man machen?« wie »was sollte man machen?«, das ist weiß Gott nicht dasselbe. Sie machten lieber so was: »Seit einigen Wochen nutzen wir eine aus Moskau stammende Taktik, die Wilhelm erforscht hat: Versteckt auf Dächern und Bäumen vor den Fabriken werden Lautsprecher installiert und Parolen ausgegeben.« Schäm dich, faules Internet!
Die italienische Fassung dieses Buches, von der man mir erzählt, dass sie erfolgreich war und ist, kenne ich nicht. Dass Ambros Waibel, ein rundum hervorragender Mensch, der manchmal bei ganz schrecklichen Zeitungen arbeitet und sowohl erfundene wie wirklich vorgekommene, immer aber wahre Geschichten erzählen kann, das Buch jedenfalls ausgezeichnet übersetzt hat, kann ich aber trotzdem erkennen, denn es schmeckt gut (das liegt am Champagnerpfeffer, mit dem er es gewürzt hat und der natürlich, genau wie der Geschmack des Buches, eine Metapher ist – heute muss man so was ja erklären, sonst versuchen welche, das Ding aufzuessen, und tun sich hinterher mit ihrem Bauchweh dick).
Ob das alles so gewesen ist, wie das Buch nahelegt, weiß ich nicht, aber wer es liest, um sich einen Besuch beim Bauhaus, das Selberkochen, die Lektüre des Paul-Klee-Comics von Christophe Badoux oder eigene kommunistische Praxis zu ersparen, ist sowieso bescheuert. Es geht doch darum, sich daran erinnern zu lassen, dass man vieles, was man machen sollte, auch tatsächlich machen kann.
Darum geht es übrigens in jedem Buch, das man nicht ungelesen wegschmeißen muss.
Aber nicht alle schmecken so gut wie dieses.
Champagnerpfeffer.
Lautsprecher.
Nicht stehenbleiben.
Weiterlesen.
Dietmar Dath
Die Rote Köchin
»Partisan ist und wird jeder sein ,
der die Faschismen bekämpft.«
Pietro Chiodi
Ich habe Ihnen das Bild mitgebracht und noch etwas anderes, das Sie interessieren könnte, sagte sie, und schob mir einen großen Packpapier-Umschlag zu. Er war abgewetzt und mit einer Kordel umwickelt. Das ist alles, was von ihr geblieben ist. Machen Sie etwas Gutes damit. Dann lächelte sie: Einen Kaffee? Sehr gern.
Wir hatten uns ein paar Tage zuvor kennengelernt, in ihrer kleinen Kunstgalerie im Zentrum von Ascona. Sie war spezialisiert auf Nebenwerke der mitteleuropäischen Avantgarde, Stiche und Zeichnungen der großen Meister. Ein Freund aus Mailand, Sammler und Mäzen, hatte mich gebeten, ein kleines Aquarell von Paul Klee zu begutachten und dieses, bei Gefallen, für ihn zu erwerben. Ich habe keine Zeit, sagte er mir, und im Übrigen möchte ich auch nicht, dass man weiß, dass ich der Besitzer bin. Verhandele den Preis, lass es Dir jedenfalls auf keinen Fall entwischen, wenn es echt ist. Gib aus, was Du für angemessen hältst, ich lasse Dir über mein Sekretariat eine Vollmacht zukommen, damit Du das Geld direkt von meinem Schweizer Konto abheben kannst. Das Bild ist klein, leg es in ein Buch und bring es mir, sobald es Dir passt.
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