Anonym - Die Spürnase

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"Versuchungen sollte man nachgeben. Wer weiß, ob sie wiederkommen."
Oscar Wilde
"Versuchungen sollte man nachgeben. Wer weiß, ob sie wiederkommen."
Oscar Wilde

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Die Spürnase

Versuchungen sollte man nachgeben.

Wer weiß, ob sie wiederkommen.

Oscar Wilde

Vorwort In einem Geheimfache tief versteckt in einem Schreibtisch fand ich - фото 1

Vorwort

In einem Geheimfache, tief versteckt in einem Schreibtisch, fand ich dieses Manuskript, welches die Abenteuer meines Onkels, von ihm selbst niedergeschrieben, erzählt. Ich kenne ihn nur als »viense garcon«, aber nach seinen Bildern aus alter Zeit zu schließen, muss er einmal ein blendend schöner Mann gewesen sein. Man kann ihm also ruhig glauben, was er hier erzählt; kann ihm glauben, dass er sich auf den Beruf des Kriminalisten und auf den Beruf des Liebhabers gleich gut verstand. Engherzige Fachsimpel werden ihm vielleicht einen Vorwurf daraus machen, dass er überall da, wo der Liebhaber, und der Kriminalist miteinander in Konflikt gerieten, der Liebhaber recht behielt. Aber die Frauen werden ihm das hoch anrechnen, denn sie lieben ja die heißblütigen, die impulsiven Männer, nicht die Kalten, Berechnenden. Für ihn stand eben der Kuss höher, als der Triumph, einen gewiegten, schweren Jungen einzufangen.

Dabei verdankt er seine größten Erfolge als Kriminalist gerade der Anziehungskraft, welche er auf das weibliche Geschlecht ausübte. Im Wiener Polizeipräsidium war man schlau genug, ihm alle die Affären mitzuteilen, bei denen Frauen die Hauptrollen spielten. Was seiner Gewandtheit als Detektiv nicht glückte, gelang bestimmt seiner Verführungskunst als Kavalier. So kommt es, dass er nicht nur in allen Skandalgeschichten der letzten Dezenion des vorigen Jahrhunderts in der Wiener Gesellschaft mit Erfolg tätig gewesen ist, sondern, dass er auch die berühmtesten Hochstaplerinnen in seinen Händen … und wenn sie schön waren … auch in seinen Armen gehabt hat. Er machte sich gar keine Gewissensbisse daraus, wenn er so einen schönen Vogel im Käfig hatte, ihn gehörig für sich zu rupfen. Im Präsidium kannte man wohl seine Schwächen (!) ganz genau, aber wegen seiner außerordentlichen Befähigung drückte man beide Augen zu. Ja, schützte ihn oft noch, denn seine Dienste waren in mancher Beziehung unschätzbar. Eingeweihte werden sich noch sehr gut daran erinnern, wie er die berühmte Spionagegeschichte aus dem Jahre 1883 aufdeckte und dadurch das Vaterland vor großen Unannehmlichkeiten bewahrte.

So kann er denn vieles erzählen. Und er erzählte frei von der Leber weg. Als er diese Memoiren schrieb war er ein Mann hoch in den Fünfzig … er wollte also wohl die alten Erinnerungen noch einmal genießen, da ihm neue Genüsse versagt waren.

Wien, im Juni 1908

W. von Rhems

Ich bin ein alter Mann. Die Frau, welche ich liebte und die mich liebte, liegt im Grabe und von ihr bleibt mir nichts, als die Erinnerung an die Wonnen, die sie mir geschenkt. In der Einsamkeit meines Alters steigen sie wieder vor mir auf, umgaukeln mich und fachen die Feuer die ich längst erloschen glaubte, wieder an.

Aber ich bin ein alter Mann. Einst habe ich die Frauen geliebt, heute bin ich Philosoph genug, mich ins Unabänderliche zu fügen. Wenn ich noch Derselbe wäre wie früher … ja! Aber es bleibt mir kein Mittel, mit der Glut meiner Erinnerungen fertig zu werden, als sie niederzuschreiben.

Ich will mich nicht besser machen, als ich bin. Mit den Erinnerungen an die Eine … drängt sich noch so mancher blonde, braune und schwarze Kopf an mich heran. Alle die roten Lippen, welche ich geküsst, bieten sich mir wieder dar – ich werde auch von ihren Küssen erzählen. Oh, sie waren alle, alle so süß!

Ich habe mein Leben genossen. Mir ist kein Nektartropfen daneben gegangen. Ich habe oft mit Gewalt genommen, was mir sonst nie gewährt worden wäre, aber es darum nicht schlechter geschmeckt hat, eher besser. Mein Gott, ich bin eben ehrlich. Ob Gelehrter, ob Offizier, Künstler, ob Verbrecher – oder ob Polizei wie ich – wenn uns ein Weib seine Schenkel öffnet oder öffnen muss, pfeifen wir auf alles!

Die Welt hat ja nichts Schöneres als – –

das Weib

– Die Gräfin und die Deserteure –

Von Haus aus war ich Offizier. Stand dort unten in Kronstadt an der rumänischen Grenze in Garnison bei dem …­ten Infanterieregiment. Kronstadt ist bekanntlich eine der schönsten Garnisonen der österreichischen Armee. Reiche und vornehme Familien, ein paar schöne Frauen, im Sommer allerlei Freunde aus dem nahen Rumänien, und im Winter Bälle, Gesellschaften … kurz alles, was sich so ein armer österreichischer Offizier nur wünschen kann. Außerdem eine herrliche Jagd … Herz, was begehrst du mehr?

Ich ließ es mir gutgehen. Mit dreiundzwanzig Jahren Oberleutnant, werde ich Batallionsadjutant und bereitete mich energisch auf die Kriegsschule vor. Mein Major hatte mich sehr gern; auch beim Regimentskommando war ich gut angeschrieben, sodass ich die schönsten Aussichten auf eine schnelle Karriere hatte.

Bis eines Tages ein Moment der Unüberlegtheit mit einem Schlage die Aussichten vernichtete und mich aus meiner Bahn warf. Wenn nicht die Gräfin gewesen wäre, hätte ich mich in einer üblen Lage befunden … Doch ich will der Reihe nach erzählen.

Im Großen und Ganzen hatten wir in unserem Regiment lauter brave Leute. Sie waren ergebene Soldaten, die an dem Offizier, der sie zu behandeln verstand, mit blinder Treue hingen. Selten, dass sich einer gegen die Disziplin verging.

Aber einmal kam doch ein räudiges Schaf in unsere Herde. Nagru hieß der Kerl, halb Zigeuner, halb ein Walach, der sich drei Jahre lang dem Einrücken zu entziehen verstanden hatte.

Endlich gelang es den Gendarmen, den wilden Gesellen in total betrunkenem Zustande in einer Wirtschaft einzufangen und dem Regiment auszuliefern. Nachdem er seine Strafe in Garnisonsarrest abgesessen, wurde er einer Kompanie zugeteilt.

Man kann sich die Freude des mit solchem Rekruten beglückten Hauptmanns vorstellen. So ein Kerl kann ein ganzes Regiment außer Rand und Band bringen, und ich kann mich noch erinnern, wie der dicke Pachinger fluchte, als ihm der Regimentsadjutant den Entschluss des Obersten mitteilte, ihn mit diesem Musterexemplar von Rekruten zu beehren.

Die Wut des armen Pachinger hatte denn auch ihre Berechtigung. Er versuchte es zuerst mit Milde und Nachsicht, sperrte dann, als es nicht anders ging, den Nagru ein, dass diesem die Augen übergingen … aber es half nichts. Eines Tages war der Kerl verschwunden und hatte richtig unter den Kameraden drei gleich gesinnte Seelen gefunden, die sich ihm bei der Desertation anschlossen. Ihre Gewehre nahmen die Schufte mit; und mit Patronen wussten sie sich durch einen kühnen Einbruch ins Kompaniemagazin auch zu versehen. Den alten Feldwebel des Pachinger traf um ein Haar der Schlag, als er den Diebstahl entdeckte.

Ganz Kronstadt war aufgeregt über den unerhörten Fall. Aus Hermannstadt kamen vom Divisions- und Korpskommando die längsten Nasen, die sich auf dem üblichen Dienstwege bis zum armen Pachinger hinunter ins Ungeheuerliche verringerten. Der Pachinger wurde schier tobsüchtig.

Das ganze Regiment wurde den Deserteuren auf Patrouille nachgeschickt. Husaren und Gendarmen waren Tag und Nacht unterwegs. Es war alles umsonst, die Kerle waren nicht einzufangen. Hoch oben in den Klüften des Sehnler und anderer Bergriesen, führten sie ein höchst vergnügtes Räuberdasein. Überfielen einsame Bauernhöfe, einmal sogar die Post; raubten Touristen aus, und wehe den Weibspersonen, die ihnen in die Hände fielen! Diese wurden erbarmungslos vergewaltigt.

Durch ihre Erfolge kühn geworden, wagten sich die Banditen bis an die Stadt heran. In einer Nacht brachen sie beim Richter des Zigeunerdorfes oben ans Ende der Stadt ein, nahmen ihm sein bisschen Geld ab und seinen vierzehn- und dreizehnjährigen Töchtern die Jungfernschaft. Das eine der Mädchen starb sogar im Spital.

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