Es ging alles gut. Am nächsten Tag hatte die Sache schon den Reiz des Ungewöhnlichen verloren, und Elschen tat ihren Dienst, als habe sie nie etwas anderes gemacht. Sie rief die Strassen aus und half den Fahrgästen beim An - und Aussteigen, sie hob, wenn der Wagen überfüllt war, mit der Würde eines Feldherrn den Arm und rief:
„Besetzt.“ Und sie sagte denen, die keine amtliche Überlegenheit anerkennen wollten, mit einem Temperament ihre Meinung und stellte sich dabei in Positur, dass man meinen konnte, sie habe die Schlacht in Masuren gewonnen. Ihr Stumpfnäschen stieg dann noch etwas höher in die blaue Luft, und die Herren guckten dieses Näschen an, ein Genuss, für den sie nichts zu bezahlen brauchten. Indessen wusste Herr Hinrichsen nichts von dem, was sich zugetragen.
Zu sehr mit seinem Fettherzen beschäftigt, hatte er für die grösseren Ereignisse augenblicklich keine Zeit. Denn da er sich die Heirat mit Elschen nicht aus dem Kopfe schlagen wollte, so hielt er es — schon der Rassenhygiene wegen — für seine Pflicht — zunächst zu einem Professor zu gehen und sich eine Diagnose über sein Fettherz zu holen. Daran sollte sich ein Gesundungsaufenthalt in einem Sanatorium schliessen, fern der Grossstadt, und dann wollte Herr Hinrichsen in den Zivildienst treten. Geschmückt mit diesem neuen Beruf und womöglich dem Kreuz für Zivildienste wollte er seine Werbung erneuern, und wenn dann immer noch kein Erfolg blühte, dann — nun doch, dann stand die Welt einfach Kopp!
Also Herr Hinrichsen kam zu Professor Heinemann. Der war siebzehn Monate draussen im Felde gewesen, hatte schwer Verwundete behandelt und war noch erfüllt von all dem Jammer und Leid, das er gesehen, aber auch von dem Heroismus der Feldgrauen, von der tapferen, zähen Energie, dem Heldenmut all derer, die durchhielten und wenn gleich wochenlang der Himmel Feuer und Eisen spie.
„Wo fehlts?“ fragte er seinen neuen Patienten kurz, der mit einem Bückling — aber keinem zu zwei Mark, sondern einem, der gratis war — eintrat. Er schloss die Stores, denn draussen stiebte noch immer der Schnee und wuchs in den Strassen.
„Fettherz, Herr Professor. Rheuma, Atembeschwerden, Müdigkeit, Unlust zu allem, trockener Hals, Kurzsichtigkeit und so weiter.“
„Schön, ziehen Sie sich aus!“
Professor Heinemann untersuchte seinen Patienten, stellte Fettherz fest, fand, dass die Sache gar nicht so schlimm sei und Patient durch sitzende Lebensweise an sich selber sündigte.
„Haben Sie einen Beruf?“
„Früher, ja, in Trikot, jetzt nicht mehr.“
„Hm!“
„Ich muss wohl nach Karlsbad, Herr Professor?“
Professor Heinemann schob die Unterlippe spöttisch vor.
„Karlsbad? Aber wer wird sich denn in heutiger Zeit so ne Bagatelle so teuer machen! Schneeschippen, Herr Hinrichsen. Zivildienst! Das ist billig und hilft der Leber von der Galle.“
Herr Hinrichsen stand sprachlos, verneigte sich und zahlte für diese Aufforderung, dem Reich zu helfen, 20 Mark — was Herr Hinrichsen billiger hätte haben können, wenn er nur die Bekanntmachung des Generalkommandos in den Zeitungen gelesen hätte.
Aber bei näherer Überlegung fand Herr Hinrichsen dass Professor Heinemann gar nicht Unrecht hatte. Denn es handelte sich doch in der Hauptsache darum, das Fettherz zu verlieren, und wenn das mit Schneeschippen erreicht wurde, wozu brauchte man dann nach dem teueren Karlsbad?
Herr Hinrichsen berechnete, dass er mindestens tausend Mark sparte, und er dachte weiter — da er im Grunde seines Herzens ein anständiger Mensch war — dass er damit den Hinterbliebenen der gefallenen Krieger nützen könnte.
Herr Hinrichsen also überwies der Zentralstelle für diese Fürsorge tausend Mark und machte sich tags darauf mit dem frohen Gefühl eines Menschen, der seine Pflicht tut, an das Schneeschippen.
Er wählte als Schauplatz seiner ersten Tätigkeit im Zivildienst das Haus, das er selber besass und ging seinen Mietern mit gutem Beispiel voran; da der Schnee hoch lag und die Kohlenfuhrwerke stecken blieben, so war es wirklich höchste Zeit, dass alle Arme mobil gemacht wurden, und kaum hiess es:
„Wisst Ihr das Neueste? Hinrichsen schippt Schnee!“ — Da kamen sie alle herbei und staunten das Wunder an.
Und dann griffen sie selber mit zu. Und die ganze Strasse auf und ab tönte es in die Ohren des braven Hausherrn:
Hinrichsen schippt! Was sagt Ihr dazu! Hinrichsen als Schneeschipper! So was! Es gibt auch noch Männer, auch wenn sie „d. u.“ sind.
Kurz und gut, Hinrichsen machte sich ehrliche Freunde, und wie er abends todmüde in sein Bett kroch, da war es ihm bereits viel leichter ums Herz — sowohl in seelischer als in leiblicher Hinsicht.
Und das hielt an. Das Fettherz ging zurück, und als es nichts mehr zu schippen gab, weil die Sonne allmählich immer fröhlicher ihre Frühlingsstrahlen auf die Erde sandte und im Grunewald schon die Veilchen und Primeln geblüht hätten, wenn es eben im Grunewald so was gäbe, da meldete sich Hinrichsen beim Kommando und erhielt einen Posten als Aktenträger beim stellvertretenden Generalstab. Denn Hinrichsen war in seiner Jugendzeit Soldat gewesen und da konnte man ihm so etwas schon anvertrauen.
Also nun war Hinrichsens Traum erfüllt. Das Fettherz war zusammengeschrumpft. Freilich, die Liebe zu Elschen blieb immer noch zwischen den Falten der Herzkammer hängen und war nicht wegzukriegen. Hinrichsen ging täglich mit seiner Mappe durch die Strassen und trug sein schwarzweissrotes Armband mit der Aufschrift „Zivildienst“ stolzer spazieren, als ein Unterseebootskommandant seine Prise einbringt.
Leider fand Hinrichsen ausser der inneren Befriedigung nicht die volle Belohnung für seine Tat. Denn wenn er sich auch dachte: Nun bin ich fettherzlos, zivildienstpflichtig und überdies Hausbesitzer und Rentier — nun muss mich doch das hilflose, stille Gretchen — Elseken heiraten! — Wenn er sich auch das nach menschlichem Ermessen so dachte —, es kam doch anders.
Und das Unglück erreichte den nichtsahnenden Hinrichsen an so einem strahlenden Tage, an dem die Spatzen noch viel frecher sind und die Liebe ihre Blüten aus allen Herzen treibt.
Es war Sonntag
Hinrichsen hatte sich den Tag ausgesucht, an dem er dienstfrei war, um den letzten, entscheidenden Sturm auf das Herz des schönen Elseken zu unternehmen.
In aller Frühe stand er auf und putzte sich. Ja, Herr Hinrichsen hatte sich unter den Einflüssen des Zivildienstes verjüngt. Er zog seinen Gehrock an und schlüpfte in die wildledernen Handschuhe dann machte er sich auf den Weg nach einem Blumengeschäft.
Dort kaufte er ein Bündel Maiglöckchen, denn erstens waren die billig, zweitens sahen sie gut aus, und dann setzte er seinen Weg fort.
Der war weit.
Und da Herr Hinrichsen seinen Bezugschein auf Stiefel sparen wollte, so stieg er kurz entschlossen in die Elektrische, Linie 16, mit der er in die Nähe des Hauses Ohnesorgs fahren konnte.
Es war ziemlich voll in der Elektrischen, und kaum stand er in drangvoll fürchterlicher Enge in dem Wageninnern und war einem cholerischen Herrn auf die Füsse getreten, da flötete eine sanfte Stimme in einem Tone, der keinen Widerspruch duldete:
„Der Herr mit den Maiblumen bitte weiter Vorgehen!“
Der Herr mit den Maiblumen wurde der Gegenstand eines vielseitigen Lächelns verschiedener Fahrgäste, denn er überhörte die Aufforderung, weil seine Gedanken weit weg bei Elschen Ohnesorg weilten.
Aber die Schaffnerin wurde ärgerlich und flötete nicht mehr, sondern rief mit Nachdruck:
„Der Herr mit den Maiblumen weitergehen.“
Er ging nicht weiter.
„Der Herr mit den Maiblumen — zum Donnerwetter!“
Da sagte eine Dame neben Hinrichsen:
„Etwas mehr Rücksicht gegen die armen Schaffnerinnen wäre schon angebracht, mein Herr! Sie sollen weiter gehen.“
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