„Also das ist die Geschichte?“ meinte Adele, als Ginevra in ihrem Bericht innehielt und stirnrunzelnd ihren kaltgewordenen Tee mit dem Löffel umrührte.
„Ja, das ist die Geschichte!“ bestätigte Ginevra in einem Ton, dessen Zwielicht weitere Fragen ebensosehr offenzulassen wie abzuschneiden schien.
„Ich finde, die Geschichte hat keine Pointe!“ sagte die Schauspielerin nach einer Pause mit einer ziemlich entschiedenen Gebärde. „Auf der Bühne dürfte man so etwas nicht bringen. Das fiele durch. Du hast die Geschichte entweder noch nicht zu Ende erzählt oder noch nicht zu Ende gelebt! Eins oder das andere! Ich nehme beinahe das letztere an!“
Um Ginevras Lippen spielte ein Lächeln, von dem sich nicht sagen ließ, ob es Spott über sich selbst oder über die andere war.
„Ist dir auch so kühl wie mir?“ fragte sie unvermittelt und zog die Schultern hoch. „Mich fröstelt! Wollen wir nicht hineingehen? Es ist doch eigentlich noch ziemlich früh im Jahr. Der erste schöne Maitag! Und wir sind erstens hoch auf dem Dach und zweitens hoch im Norden!“
„Schade! Ich sitze leidenschaftlich gern hier oben! Diese phantastische Dächerwelt! Und das Stückchen Blau dort hinten am Horizont, das ist die See! Wer weiß, ob es morgen nicht wieder aus Gießkannen regnet.“
„Dann erlaube, daß ich mir meinen Pelz hole! Und deinen bringe ich dir auch gleich mit. Ich kann es nicht verantworten, daß die Luise Millerin des Landestheaters sich auf meinem Dach einen Schnupfen holt!“
„Du hast recht, ich bin leichtsinnig wie immer!“
Ginevra war mit einem Satz in der Ateliertür.
„Kasimir Wladimirowitsch sollte dich mal etwas in Zucht nehmen!“ rief sie Adele zu. „Als alter Balkantyrann weiß er doch sicher mit der Peitsche umzugehen!“
Sie lachte kurz auf und verschwand. Als sie gleich darauf mit dem Nerzpelz über der Schulter wieder erschien und schon von der Ateliertüre aus Adele den ihren zugeworfen hatte, sagte diese:
„Du hast doch gewiß noch ein Bild von deinem weizenblonden Besuch?“
„Gerstenblond! Ich muß sehr bitten!“
„Weizenblond oder gerstenblond! Toute la même chose!“
„Im Gegenteil! Ein himmelweiter Unterschied! Man sieht, daß du eine Großstadtpflanze bist!“
„Du nicht?“
„Nur in der letzten Generation! Alle meine Vorfahren haben als eigene Herren auf der Scholle gesessen! Ich bilde mir etwas darauf ein.“
Adele hatte ein etwas überlegenes Lächeln, anders, als es sonst ihre Art war.
„Warum nicht! ... Ich lasse es dir! Du weißt, ich stehe links!“
„Die Favoritin des Balkanpotentaten!“
„Deshalb bleibe ich doch, was ich bin! ... Aber wir kommen vom Bild ab!“
„Interessiert es dich also?“
Ginevras Frage klang fremd und kühl. Adele lachte.
„Ich wußte ja, daß deine Geschichte noch nicht zu Ende ist!“
Ginevra kreuzte die Arme in einer Art von Verschlossenheit und saß kerzengerade auf ihrem Stuhl.
„Ich werde es dir zeigen, wenn wir nachher im Atelier sind,“ sagte sie mit gleichgültigem Achselzucken. „Du wirst nicht viel daran sehen. Ein blonder Zeitgenosse, wie tausend andere, dem irgendwo der Krieg im Gesicht geschrieben steht. Es ist wirklich nicht so interessant!“
„Und zu Anfang schien es doch so?“
Ginevra starrte vor sich hin. Wieder war dieses Maskenhafte über ihrem Gesicht.
„Ja, zu Anfang schien es so,“ wiederholte sie mit einem leeren Ton. „Man kann sich eben täuschen.“
„Ist das vielleicht die Pointe?“ fragte Adele nach einer Pause.
Ginevra antwortete nicht. Beide Mädchen schwiegen.
„Ich will dir etwas sagen, meine Gute,“ begann sie nach einem Weilchen wieder, „du hast natürlich recht, die Geschichte ist noch nicht zu Ende, irgendwie. Aber das Wie steht in den Sternen geschrieben, und da ich keine Astrologin bin, so kann ich es leider nicht entziffern.“
„Seit wann hast du ihn nicht gesehen?“
„Genau seit drei Wochen.“
„Und bis dahin?“
„Kam er mehrmals wöchentlich!“
„Immer um Aufnahmen machen zu lassen?“
Ginevra warf Adele mit einer jähen Handbewegung die gefaltete Teeserviette ins Gesicht.
„Du bist frech mit deiner Fragerei! ... Wir unterhielten uns! Wir unterhielten uns über Malerei und tranken Tee dazu. Er hat einen steinreichen Onkel, dessen drittes Wort Arbeiten heißt. Arbeiten! Arbeiten! Es muß ein komischer Kauz sein!“
„Und du hast keine Ahnung, warum er plötzlich nicht mehr kommt?“
„Ich weiß es sogar ganz genau!“
Adele beugte sich neugierig über den Teetisch.
„Und warum nicht?“
„Weil ich nicht blond bin!“
Die Schauspielerin schlug mit der flachen Hand auf den Teetisch, daß die Tassen klirrten.
„Das nenne ich in der Tat eine Pointe! ... Aber das hat er doch von allem Anfang an gewußt!“
„Man sollte es meinen! Vielleicht war er zuerst farbenblind!“
„Ach geh!“ rief Adele und lachte laut auf. „Also wie erklärst du dir das? Ihr müßt doch darüber gesprochen haben?“
Ginevra schien die Antwort schwerzufallen. Sie rang sichtlich mit sich, als sei sie schon allzu weit gegangen, könne aber auch nicht mehr zurück. So kam es denn stückweise heraus. Er sei auf dem besten Wege, sich in sie zu verlieben. So ungefähr habe er sich ausgedrückt. Auf dem besten Wege, sich zu verlieben! Aber das könne und dürfe er nicht, da er grundsätzlich entschlossen sei, sich nur in Blondinen zu verlieben!
Die Schauspielerin lachte von neuem auf und schüttelte den Kopf.
„In der Tat ein Original! ... Aber er hatte sich doch offenbar schon in dich verliebt! Also war das doch alles Unsinn!“
Ginevra zog die Stirn hoch. Es war plötzlich die sorgenvolle Miene eines Clowns geworden.
„Kann schon sein!“ meinte sie. „Aber so ist er! So sind sie doch alle, unsere junge Männerwelt von heute! Habe ich also nicht recht, wenn ich von Minderwertigkeit spreche?“
„So ganz minderwertig scheint er mir doch nicht zu sein, dein allerdings ziemlich verdrehter Freund!“ bemerkte die Schauspielerin nach einer Pause des Schweigens.
„So?“
„Erstens spricht sein Faible für Blondinen in meinen Augen sehr für ihn. Und zweitens hat er doch immerhin den Weg herauf in dein Atelier gefunden. So etwas kann doch nur einem Menschen von Geschmack einfallen.“
Ginevra hatte sich mit ihrem Stuhl etwas abgekehrt und machte eine spöttische Kopfbewegung über die Schulter weg zu ihrem Gegenüber.
„Danke für das Kompliment! ... Also paßt er vielleicht zu dir! Oder du zu ihm! Bediene dich! Er heißt Jan Wilhelm Köhler, Gutsverwalter in Willomin, falls du seine Adresse brauchst!“
Die Maske über ihrem Gesicht war unzugänglich und wie von Stein. Adele achtete nicht darauf.
„Ich werde sie mir vormerken,“ gab sie ironisch zurück. „Man kann nie wissen, wozu es gut ist.“
Sie schwieg etwas, fuhr dann, einen andern Ton anschlagend, fort: „Du kannst doch nicht leugnen, liebste Ginevra, daß Kasimir Wladimirowitsch und ich auch nur zu dir heraufgekommen sind, damals das erstemal, weil wir eben Menschen von Geschmack sind und mein hoher Herr, gerade wie ich, nur wirklich künstlerische Aufnahmen schätzt. Und die sahen wir unten in deiner Auslage. Also kletterten wir herauf. Schließlich datiert doch unser ganzer Freundschaftsbund daher. Willst du das vielleicht leugnen, meine Beste?“
Ginevra wäre eigentlich in der Laune gewesen, es zu leugnen. Aber da das doch nicht recht anging, so begnügte sie sich mit einer halb zustimmenden, halb abwinkenden Handbewegung.
„Schon gut! Bye-bye!“
„Weißt du, wie es Kasimir Wladimirowitsch nennt, unser Freundschaftsdreieck? Die baltische Tripleallianz! Er kommt von seinem alten Metier nicht los! ... Aber wäre es nicht entzückend, wenn wir einen Vierbund daraus machten?“
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