Bo Balderson
Der Staatsminister reist aufs Land
Aus dem Schwedischen
von
Maike Dörries
Saga
Die Personen in der Reihenfolge ihres Auftretens:
Der Staatsminister |
|
Margareta |
seine Frau |
Vilhelm Persson |
pensionierter Studienrat, Erzähler |
Johan Åkerblom |
dritter stellvertretender Reichstagspräsident |
Elvira Elmgren |
Haushälterin |
Gustaf Wallman |
Polizeikommissar a.D. |
Frau Silfverlod |
Eigentümerin von Silfverhus |
Maude Silfverlod |
ihre Tochter |
Michael Körmendi |
Arzt |
Hubert Hallander |
Gemeindepfarrer |
Harriet Hallander |
seine Frau |
Nisse Nord |
Schriftsteller |
Es war eine nicht enden wollende Küsserei und Herzerei.
Der Wagen rollte bereits durchs Tor, aber der Staatsminister hing noch immer aus dem Seitenfenster und rief seiner Frau und den Kindern Abschiedsgrüße und Ermahnungen zu.
»Zähneputzen nicht vergessen! Mit den Hunden rausgehen! Den Rasen mähen! Und nicht traurig sein, in ein paar Tagen bin ich ja wieder da! Ich rufe euch abends an, um zu hören, wie euer Tag war. Und morgens, wie ihr geschlafen habt. Sollten der Ministerpräsident oder das Ministerium anrufen und fragen, wo ich stecke, sagt ihnen nicht, wo ich bin. Außer natürlich, es geht um eine Leiche. Sagt einfach, ich wäre in Norrland unterwegs, um mir ein paar Strafvollzugsanstalten anzusehen ...«
Als wir das Eigenheim und die lärmenden Kinder endlich hinter uns gelassen hatten, sah ich den Staatsminister von der Seite an und fragte ihn ganz direkt, ob er wirklich glaube, das Vertrauen des Ministerpräsidenten und der Regierung zu genießen. Was der Staatsminister entschieden bejahte. Das habe ihm der Regierungschef erst vor sechs, sieben Jahren bestätigt. Na gut, der damalige Regierungschef ...
Die Sonne schien, ein laues Lüftchen wehte; und es hätte ein richtig schöner Tag werden können, hätte ich nicht angeschnallt im Wagen des Staatsministers gesessen, ausgerüstet für einen längeren Ausflug inklusive Übernachtung. Neben dem Staatsminister im Auto zu sitzen, war, wie in einem ausrückenden Einsatzfahrzeug mitzufahren: Man weiß, dass einen Schreckliches erwartet, nur nicht, was.
Aber, dachte ich, vielleicht würde es diesmal ja gar nicht so schlimm werden.
Der Staatsminister wollte sich schließlich nur ein paar Häuser ansehen.
Ich weiß nicht, ob ich es bereits erwähnt habe: Der Staatsminister unterstützt mit seinen Millionen eine Organisation, die sich um Kinder aus Krisengebieten kümmert. Sie werden einige Monate, bis zu einem Jahr, in gut ausgestatteten Pflegeheimen untergebracht, in denen sie behandelt und aufgepäppelt werden, wo sie spielen und wieder Vertrauen lernen können. Solche Heime gibt es überall auf der Welt, in fast allen Ländern.
Keine Frage, das Ganze ist sehr lobenswert. Aber Gedanken kann man sich ja trotzdem machen. Als ich bei irgendeiner Gelegenheit vorsichtig zu bedenken gab, ob es nicht eventuell sinnvoller wäre, das Geld in geburtenkontrollierende Maßnahmen zu investieren, reagierte er mit Unverständnis:
»Aber diese Kinder gibt es bereits!«
Ich führte meine Gedankengänge nicht weiter aus. Der Staatsminister sieht vor lauter Menschen die humanitären Probleme nicht.
Sicher ist es eine gute Sache, Kinder aller Hautfarben und Nationalitäten zusammenzubringen, Juden mit Arabern spielen zu lassen und Weiß mit Schwarz. Auch das habe ich ihm gegenüber angesprochen. Da hat er mich angestarrt und gesagt, dass ihm dieser Gedanke noch nie gekommen sei!
Das ist so typisch für diesen Mann. Da setzt er einen großen und edlen Gedanken in die Tat um, ohne ihn je gedacht zu haben!
Wie auch immer, dieses Projekt war seriös, es stand unter der Schirmherrschaft der UNO und wurde von Fachleuten und Komitees organisiert. Aber der Staatsminister zahlte. Und war für die Auswahl der Häuser in Schweden zuständig.
Weil er glaubte, einen messerscharfen Blick für geeignete Objekte zu haben.
Die Häuser sollten geräumig sein und solide gebaut, sagt er, gern ein wenig in die Jahre gekommen. Sie sollten nicht in der Stadt liegen, aber auch nicht auf dem platten Land. Große Grundstücke waren ein absolutes Plus, gern auch ein Wald und ein See in der Nähe.
Der Staatsminister glaubte nun, ein paar geeignete Objekte gefunden zu haben. In einer Anzeige im Dagbladet hatte er nach einer »gr. Villa m. Parkgrundst., gern renov.bedürftig« gesucht und der erstaunten Hausbesitzerwelt mitgeteilt, dass der Betrag »bar und bei Unterschrift von finanzkräft. Interess.« gezahlt würde.
Jeder, der über noch so geringe Kenntnisse der Immobilienbranche und der menschlichen Natur verfügt, weiß, was für eine Lawine eine solche Anzeige auslöst. Von etwa hundert baufälligen Objekten, die ihm angeboten wurden, schafften es zwei Villen bei Mellanstad in Mälardalen in die engere Auswahl.
Und der Staatsminister, der seine Dummheit oft zu kompensieren versuchte, indem er zwei schlechte Geschäfte abschloss, wo jeder Einfaltspinsel sich mit einem begnügte, hatte enthusiastisch einen Schriftwechsel eingeleitet und seinem Ministerium mitgeteilt, dass er ein paar Tage abwesend sein würde.
In einem Moment kompletter geistiger Umnachtung hatte ich mich bereit erklärt, ihn auf dieser Reise zu begleiten.
Nicht, weil ich mich sonderlich für alte Villen in Mälardalen interessiere. Aber es hat schon einen gewissen Reiz, zu sehen, was einem wohntechnisch erspart geblieben ist. Außerdem wollte ich bei der Gelegenheit meine Bekanntschaft mit Schloss Gripsholm und dem Theater von Gustaf III. auffrischen ...
Wir saßen wieder im Auto.
Das Mittagessen – gedünstete Felchen mit Senf-Ei-Sauce für mich und für den Staatsminister Wiener Schnitzel mit Pommes – war äußerst wohlschmeckend gewesen und Gustafs Turmtheater genauso entzückend, wie ich es in Erinnerung hatte. Welch ein Genuss, es ohne eine Schulklasse im Schlepptau zu besichtigen. Und ohne den Staatsminister, den ich mit seinem Hang zum Makaberen bereits im Schlossgefängnis abgehängt hatte.
»Ich kauf nur schnell die Tageszeitung!«, rief er und bremste vor einem Kiosk. »Wenn du schlau bist, steigst du auch aus und vertrittst dir die Beine!«
Aber ich zog es vor, angeschnallt im Wagen sitzen zu bleiben. Schlagzeilenplakate machen mich nämlich immer ganz nervös. Sie springen einen mit so geballter Wucht an. Und diese hier sahen besonders bedrohlich aus.
Der Grund war wohl, dass ich befürchtete, sie könnten vom Staatsminister handeln.
Es war noch nicht lange her, dass er dort gehangen hatte, in Lettern so groß wie Blutwurstscheiben. Eine unangenehme Geschichte, die eigentlich ganz idyllisch begonnen hatte. Der Staatsminister und seine Frau waren mit der Fähre nach Åland gefahren, um sich einen schönen Maitag lang, weitab von allen beruflichen und familiären Strapazen, zu erholen. Auf der Rückreise hatte der Staatsminister, der ein ausgeprägter Familienmensch ist, für jedes seiner sechzehn Kinder ein Kilo Fazers Geleekonfekt in einer dekorativen Holzschachtel gekauft. Dabei übersah er die kleinliche Zollbestimmung, dass jeder Reisende maximal ein Kilogramm Konfekt einführen darf. Der Zoll winkte seinen Wagen routinemäßig aus der Schlange, der Kofferraum wurde geöffnet, und die sechzehn kleinen Holzkisten kamen ans Tageslicht. Der Staatsminister beteuerte seine Unschuld – was er bekanntermaßen überzeugend zu tun versteht – und bezahlte die Zollgebühren.
Die Angelegenheit wäre damit normalerweise aus der Welt gewesen, hätte der Zollbeamte sich nicht – ob aus Pflichtgefühl oder Geltungsdrang, das ließ sich hinterher nicht mehr klären – an eine der einschlägigen Abendzeitungen gewandt und von seinem Fang berichtet. Der diensttuende Redakteur der Abteilung Menschenhatz rief umgehend den Staatsminister an, um Hintergrundinformation einzuholen. Und der Staatsminister, der ungern schweigt, erzählte ihm so dies und das von seinen und den Essgewohnheiten seiner Kinder. Der Journalist machte sich Notizen, bedankte sich und rief danach den Ministerpräsidenten an, der wiederum nicht so leicht zu erreichen war, da er an einem Kongress der Guttempler in Jönköping teilnahm. Er hatte einen ermüdenden Tag und eine noch viel ermüdendere Tagung hinter sich, mit endlosen Vorträgen über den Teufel Alkohol und das Elend der Welt. Ganz davon abgesehen war es ein Uhr nachts, als er in seinem Hotelzimmer vom Klingeln des Telefons aus dem Schlaf gerissen wurde. Er kriegte nur mit, dass der
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