Die junge Frau sagte, ohne ihren Mann anzublicken:
– Wenn Du ihn an der Leine behalten hättest, wäre es nicht passiert. Wenn man so dumm ist wie Du, muß man eben keinen Hund halten.
Er sagte ganz bescheiden:
– Aber liebe Freundin, Du – – –
Sie blieb wie angewurzelt stehen und blickte ihm in die Augen, als ob sie ihm die seinen auskratzen wollte, dann warf sie ihm ungezählte Vorwürfe an den Kopf.
Es wurde dunkel, langsam legte sich der Nebelschleier, der bei der Dämmerung von den Wiesen aufsteigt, über das Land, und mit ihm kam jene poetische Stimmung aus der seltsamen köstlichen Frische, die beim Anbruch der Nacht über den Wald niedersinkt. Plötzlich blieb ihr Mann stehen, betastete sich fieberhaft und rief:
– Herrgott, ich glaube, ich habe ……
Sie blickte ihn an:
– Nun, was denn?
– Ja ich habe nicht aufgepaßt, ich hatte doch meinen Überrock auf dem Arm!
– Nun?
– Ja, ich habe meine Brieftasche verloren, all mein Geld ist drin!
Sie zitterte vor Wut und bekam vor Empörung gar keine Luft mehr:
– Nun, das fehlt auch noch! Du bist ja zum Wände einrennen! So ein Ochse! Wie habe ich nur ein solches Rindvieh heiraten können! Jetzt hole sie mal sofort und daß Du sie mir wiederfindest! Ich gehe mit dem Herrn nach Versailles, ich habe keine Lust, hier im Walde zu übernachten!
Er stammelte ganz milde:
– Ja, liebe Freundin, aber wo werde ich Dich wiederfinden?
Man hatte mir ein Restaurant empfohlen, das nannte ich. Der Mann drehte sich um und zur Erde niedergebeugt, über die sein Auge aufmerksam lief, rief er, während er sich entfernte, alle Augenblicke:
– Titititititi!
Es dauerte lange, bis er verschwand; endlich verwischte sich sein Schatten in der Tiefe der Allee. Man sah nur noch die Umrisse seines Körpers, aber man hörte lange noch sein klägliches:
– Titititititi!
Die Nacht brach herein. Ich schritt lebhaft aus, glücklich in der köstlichen Dämmerung mit der kleinen unbekannten Frau, die sich auf meinen Arm stützte. Ich suchte galante Redensarten, ich fand aber keine, ich blieb stumm, verwirrt, entzückt.
Aber plötzlich durchschnitt eine große Chaussee unfern Wald, und ich entdeckte rechts in einem Thälchen eine ganze Stadt. Was war denn das? Ein Mann ging vorüber, ich fragte ihn, er antwortete:
– Bougival!
Ich war ganz erstaunt:
– Was Bougival? Wissen Sie das bestimmt?
– Gewiß, ganz sicher!
Die kleine Frau lachte wie verrückt! Ich schlug ihr vor, einen Wagen zu nehmen, um nach Versailles zu fahren, aber sie antwortete:
– Ach nein, das ist ja zu komisch die Geschichte, und ich habe zu großen Hunger. Übrigens bin ich ganz ruhig, mein Mann wird sich schon nach Hause finden. Ich bin ganz froh, ihn auf ein paar Stunden los zu sein!
Wir gingen also in ein Restaurant, dicht am Wasser, und ich wagte es, ein kleines Zimmer für uns allein zu nehmen.
Sie dudelte sich, weiß der Deubel, einen Schwips an, ganz tüchtig, sang, trank Champagner, machte allerlei Dummheiten ……. und sogar die größte von allen!
Das war mein erster Schritt vom Wege!
Inhaltsverzeichnis
Da er in Batignolles wohnte – er war Beamter im Unterrichts-Ministerium – nahm er jeden Morgen den Omnibus, um zu seinem Bureau zu fahren, und jeden Morgen saß er die ganze Fahrt bis ins Centrum von Paris, einem jungen Mädchen gegenüber, in das er sich bald verliebte.
Sie ging täglich zur gleichen Stunde in ihren Laden. Sie war klein, eine jener Brünetten, deren Augen so schwarz sind, daß sie wie dunkle Flecken aussehen und deren Gesichtsfarbe etwas vom Tone des Elfenbeins besitzt.
Immer sah er sie an derselben Straßenecke auftauchen, und dann lief sie, um den schweren Wagen einzuholen. Sie lief biegsam, graziös, immer etwas eilig, und jedesmal sprang sie, ehe die Pferde ganz hielten, auf den Tritt.
Dann kam sie etwas außer Atem in das Innere des Wagens, und wenn sie sich gesetzt hatte, warf sie einen Blick um sich.
Als Franz Tessier sie das erste Mal gesehen hatte, wußte er sofort, daß dieses Gesicht ihm unendlich gefiel. Man begegnet öfters Frauen, die einen solchen Eindruck machen, daß man sie augenblicklich, ohne sie nur zu kennen, in die Arme schließen möchte. Dies junge Mädchen entsprach seinen stillen Wünschen, seinen geheimen Erwartungen, jenem Liebesideal, das man, ohne es selbst zu wissen im tiefsten Herzen trägt.
Er blickte sie, wider Willen, unausgesetzt an und dies fortwährende Anstarren machte sie verlegen, so daß sie errötete. Er bemerkte es und wollte wo anders hinsehen; aber so große Mühe er sich auch gab, die Augen auf einen andern Gegenstand zu richten sie kehrten immer zu ihr zurück.
Nach ein paar Tagen kannten sie sich, ohne je mit einander gesprochen zu haben. Wenn der Wagen voll war, überließ er ihr seinen Platz und stieg auf das Verdeck hinauf, obgleich er eigentlich sehr traurig darüber war.
Nun begrüßte sie ihn jedesmal mit einem kleinen Lächeln, und obgleich sie bei seinem zu auffallenden Anstarren die Augen niederschlug, schien sie doch nicht mehr böse zu sein, so beobachtet zu werden.
Endlich kamen sie ins Gespräch, eine Art schnelle Intimität bildete sich zwischen ihnen, eine Intimität, die nur täglich eine halbe Stunde dauerte, und das war die schönste halbe Stunde seines Lebens.
Die ganze übrige Zeit des Tages dachte er an sie, und während der langen Bureaustunden erblickte er sie immer vor sich; dies freundliche und doch so beharrliche Bild, das das Antlitz einer geliebten Frau in uns zurückläßt, quälte ihn fortwährend und verließ ihn nicht.
Er meinte: sie ganz zu besitzen, müßte das wahnsinnigste Glück für ihn bedeuten, ein größeres, als je einem Menschen beschieden sein könnte.
Jetzt schüttelte sie ihm jeden Morgen die Hand, und bis zum Abend fühlte er noch die Berührung, und die Erinnerung an den schwachen Druck der kleinen Finger blieb in ihm haften. Es war, als hätte ihre Hand einen Eindruck auf seiner Haut zurückgelassen.
Die ganze übrige Zeit des Tages bangte er ängstlich nach der kurzen Omnibusfahrt, und die Sonntage waren ihm gräßlich. Sie mußte ihn gewiß auch gern haben, denn eines Sonnabends im Frühling nahm sie seine Einladung an, am folgenden Tage mit ihm in Maisons-Laffitte zu frühstücken.
Sie wartete schon auf dem Bahnhof. Er war erstaunt, aber sie sagte:
– Ehe wir fahren, muß ich mit Ihnen sprechen. Wir haben zwanzig Minuten Zeit, das ist mehr als genug.
Sie zitterte, während sie sich auf seinen Arm lehnte und schlug die Augen nieder über die bleichen Wangen, dann sagte sie:
– Ich möchte, daß Sie sich über mich keiner Täuschung hingeben. Ich bin ein anständiges Mädchen, und fahre mit Ihnen nur, wenn Sie mir versprechen, wenn Sie mir schwören, mir nichts zu thun. Nichts was … nicht . . recht . . ist.
Sie war plötzlich dunkelrot geworden und schwieg. Er wußte nicht, was er antworten sollte, glücklich und doch zu gleicher Zeit niedergeschlagen. Im Grunde seines Herzens war es ihm vielleicht lieber, daß es so war und doch … doch …. hatte er diese Nacht Dinge geträumt, die ihm Feuer in die Adern gossen.
Er würde sie gewiß weniger gern haben, wenn er wußte, daß sie ein leichtsinniges Geschöpf war, aber dann wäre es doch so reizend, so köstlich für ihn gewesen. Und alle die selbstsüchtigen Ideen der Männer, im Punkt der Liebe, begannen ihn zu quälen.
Da er nichts antwortete, fing sie mit bewegter Stimme an zu sprechen, wahrend Thränen in ihren Augenwinkeln aufstiegen:
–Wenn Sie mir nicht versprechen, ganz anständig gegen mich zu sein, so kehre ich sofort nach Hause zurück.
Er drückte ihr zärtlich den Arm und antwortete:
–Das verspreche ich Ihnen, Sie sind frei zu thun, was sie wollen.
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