Ich ging zur Seine und wollte an Bord der ›Schwalbe‹, um nach Saint Cloud zu fahren. Ach wie gern hatte ich dies Warten auf das Schiff auf der Brücke, es war, als sollte ich ans Gnde der Welt eilen, neue wundervolle Länder zu schauen.
Da sah ich es kommen das Schiff, fern, fern unter dem Bogen der zweiten Brücke, ganz klein, mit langsam emporsteigenden Rauchwolken; dann ward es größer, immer großer, wuchs immer mehr und in meiner Phantasie ward es beinahe zum Ozeandampfer. Es legte an und ich stieg ein. Leute im Sonntagsstaat saßen schon überall in hellen, auffälligen Kleidern, mit glücklichem Lächeln und dicken, roten Gesichtern.
Ganz vorn blieb ich stehen, sah die Quais an mir vorüberhuschen, die Häuser, die Bäume, die Brücken, und plötzlich gewahrte ich den großen Viadukt des Point-du-jour , der den Fluß durchschneidet.
Hier war Paris zu Ende, das Land fing an, und die Seine verbreiterte sich plötzlich unter der doppelten Bogenreihe, als hätte man ihr Weite und Freiheit wiedergegeben. Sie wurde mit einmal ein schöner, ruhiger Fluß, der durch die Ebene strömt, mitten durch die Felder, an Wäldern vorbei.
Nachdem wir an zwei Inseln vorübergekommen, fuhr die Schwalbe längs eines bewaldeten Höhenrückens, aus dessen Grün weiße Häuser leuchteten, und eine Stimme rief:
– Bas-Meudon!
Dann weiter entfernt:
– Sèvres!
Und noch weiter:
– Saint-Cloud!
Ich stieg aus und ging mit eiligen Schritten durch die kleine Stadt den Weg, der zum Walde führt. Ich hatte eine Karte der Umgegend von Paris mitgenommen, um mich nicht zu verirren auf den Wegen, die nach allen Richtungen hin die Wälder durchkreuzen, wo die Pariser spazieren gehen.
Sobald ich im Schatten war, suchte ich auf meiner Karte nach dem Weg, der mir übrigens ganz einfach erschien: ich mußte rechts abbiegen, dann links, dann noch einmal links und dann kam ich Abends nach Versailles zum Essen.
Und ich ging langsam unter dem jungen Grün dahin, sog jene köstliche, blüten-und keimegeschwängerte Luft ein. Ich ging mit langen Schritten, dachte nicht mehr an die Akten, das Bureau, den Chef, die Kollegen, dachte nur noch an allerlei Glück, das mir begegnen würde, an all das unbekannte Glück der Zukunft.
Tausend Erinnerungen aus der Kindheit kamen mir beim kräftigen Duft des Landes, und ganz gebadet darin schritt ich meines Weges. Ab und zu setzte ich mich hin, blickte mich um, drüben lag der Wald, kleine Blumen wuchsen um mich, deren Namen ich längst kannte, ich erkannte sie alle wieder, als ob es ganz genau dieselben wären, wie früher bei mir zu Haus. Sie waren gelb, rot, violett, auf zierlichen, langen Stielen oder am Boden kriechend, voll von bunten Insekten aller Formen und Farben, gedrungenen oder schlanken, seltsam geformten, riesig erscheinenden oder mikroskopisch kleinen, die die Halme hinaufkletterten, die unter ihrer Last schwankten.
Dann schlief ich ein paar Stunden in einem Graben, ging ausgeruht weiter, gekräftigt durch den Schlummer. Vor mir that sich eine reizende Allee auf, deren ein wenig dünnes Blätterdach überall Sonnentropfen durchließ, die auf den weißen Sternblumen leuchteten.
Die Allee streckte sich unendlich lang hin, leer und still, nur eine große, brummende Hummel flog entlang und hielt von Zeit zu Zeit auf einer Blume, die sich unter ihr bog, Rast, um zu trinken, und setzte dann summend ihren Weg fort, um ein Stück weiter sich wieder auszuruhen. Ihr Riesenleib sah aus, wie brauner, gelbgestreifter Samt, den durchsichtige, kleine Flügel trugen.
Aber plötzlich sah ich am Gnde der Allee zwei Personen, Mann und Frau, die mir entgegenkamen. Ich ärgerte mich, auf meinem ruhigen Spaziergang gestört worden zu sein und trat in das Unterholz; aber da war es mir, als riefe man mich.
In der That bewegte die Frau den Sonnenschirm, und der Mann in Hemdsärmeln, den Überrock auf dem Arm, winkte mit dem anderen Arm ganz verzweifelt. Ich ging ihnen entgegen, sie schritten eilig, beide sehr rot, dahin, sie mit kleinen Schritten, er lang ausgreifend. Man sah ihren Gesichtern schlechte Laune oder Müdigkeit an, und die Frau fragte mich sofort:
– Können Sie mir nicht sagen, wo wir sind? Mein Mann war so dumm, sich zu verirren, er behauptete, er kenne die Gegend ganz genau.
Ich antwortete mit größter Sicherheit:
– Sie gehen nach Saint-Cloud, hinter Ihnen liegt Versailles.
– Sie sagte mit einem wütenden Blick auf ihren Herrn Gemahl:
– Wieso denn, wir drehen also Versailles den Rücken? Und da wollen wir ja gerade zum Essen hin!
– Da gehe ich auch hin!
Sie sagte mehrmals achselzuckend:
– Mein Gott! Mein Gott! Mein Gott!
Mit jenem höchst verächtlichen Ton, den die Frauen anwenden, um ihrer Verzweiflung Luft zu machen. Sie war jung, hübsch, braun, ein Schatten von Schnurrbart auf der Lippe.
Er aber schwitzte und tupfte sich die Stirn. Es waren offenbar kleine Bürger aus Paris; der Mann schien ganz vernichtet, totmüde und verzweifelt, er brummte:
– Aber liebe Freundin, Du – – –
Sie ließ ihn nicht weiter reden:
– Nun ja ich, jetzt bin ich’s natürlich! Bin ich’s! Wollte ich etwa, ohne zu wissen wohin, losziehen? Habe ich behauptet, daß ich den Weg wüßte? Habe ich gesagt, wir wollten rechts auf der Höhe hingehen? Habe ich behauptet, ich kenne den Weg? Habe ich mich um Cachou kümmern wollen?
Sie hatte kaum ihren Satz zu Ende gebracht, als ihr Mann, als ob er verrückt geworden wäre, einen durchdringenden Schrei ausstieß, ein langes Gebrüll wie ein Wilder, in keiner Sprache der Welt wiederzugeben, das etwa klang wie:
– Tititititititi!
Die junge Frau schien weder erstaunt noch erregt zu sein, sondern fuhr fort:
– Nein, es giebt wirklich zu dumme Menschen, die noch behaupten, daß sie recht haben. Bin ich im letzten Jahr in den Zug nach Dieppe gestiegen statt in den nach Havre, sag mal, war ich das? Habe ich etwa behauptet, daß Herr Letourneur Rue des Martyrs wohne? Bin ich’s etwa, die nicht hat glauben wollen, daß Celestine stiehlt?
Und sie fuhr wütend mit erstaunlicher Zungengewandheit fort, Anschuldigungen auf Anschuldigungen zu häufen, die niederträchtigsten und erstaunlichsten, herausgegriffen aus den intimsten Situationen des Ehelebens.
Sie warf ihrem Manne alles vor, was er that, seine Gedanken, sein Benehmen, kurz ihr ganzes gemeinsames Leben seit ihrer Heirat bis heute. Er versuchte, sie zum schweigen zu bringen, sie zu beruhigen, und stammelte:
– Aber liebe Freundin, das ist doch ganz unnütz vor dem Herrn; wir wollen doch hier keine Vorstellung, geben, das interessiert den Herrn gar nicht!
Und er blickte verzweifelt zu den Bäumen auf, als ob er ihre schweigende rätselhafte Tiefe ermessen wollte, um sich hineinzustürzen, zu fliehen, sich vor aller Blicke zu verbergen, und ab und zu stieß er wieder einen Schrei aus, ein langes:
– Titititititititititi!
Ganz scharf und spitz. Ich hielt diese Angewohnheit für eine nervöse Krankheit.
Die junge Frau wendete sich plötzlich zu mir:
– Wenn Sie erlauben, schließen wir uns Ihnen an, daß wir uns wenigstens nicht noch einmal verlaufen und am Ende noch im Walde übernachten müssen!
Ich verbeugte mich; sie nahm meinen Arm und redete tausend Dinge von ihrem Leben, von ihrer Familie, von ihrem Geschäft. Sie hatten einen Handschuhladen in der Rue Saint Lazare.
Ihr Mann schritt neben ihr her und warf immer aufgeregte Blicke in das Waldesdunkel hinaus, indem er ab und zu:
– Titititititi! schrie. Endlich fragte ich ihn:
– Warum schreien Sie eigentlich so?
Er antwortete ganz verstört und verzweifelt:
– Ich habe meinen armen Hund verloren!
– Was, Sie haben Ihren Hund verloren?
– Gewiß, er ist noch nicht ein Jahr alt, und er war noch nie aus dem Laden gekommen; ich wollte ihn mitnehmen, daß er mal im Walde spazieren ginge. Er hatte noch niemals Gras und Laub gesehen, nnd da war er wie verrückt. Er lief bellend davon und ist im Walde verschwunden. Ich muß Ihnen allerdings sagen, daß er auch in der Eisenbahn große Angst hatte, das hat ihn vielleicht um den Verstand gebracht. Ich habe gerufen und gerufen, aber er kommt nicht wieder, und hier muß er ja verhungern.
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