Nachts, wenn die Jazzband verstummt und der Seewind wieder zu hören ist, wenn aus dem Rauchsalon nur noch das heisere Gezeter einiger betrunkener Plantagenbesitzer zu ihm dringt, erwacht in seinem Herzen der Wahnsinn von El Dorado.
Nachts vergisst er sein adrettes Hemd, seinen Smoking, seinen Stand.
Dann fühlt er sich seinen Vorfahren nahe, den wilden Räubern, die in den Schiffsräumen Gold stapelten, den Abenteurern, den Pfundskerlen, den Sklavenjägern.
Unter der grauen Asche des alltäglichen Trotts glüht im Herzen eines jeden jungen Weißen der Wahnsinn, das fiebrige Verlangen nach El Dorado.
1499 erreichten Alonzo de Hojeda und Juan de la Coasa die Küste von Guyana. Etwa zur selben Zeit entdeckte Pinzon die Mündung des Amazonas und den östlichen Teil Guyanas. Das Gerücht verbreitete sich, dass es tief im Inneren ein Land mit unermesslichen Reichtümern an Gold und Edelsteinen geben soll, und dass der Ufersand eines unendlich großen Sees, Parima genannt, gänzlich aus Goldstaub bestehe.
Angelockt von diesen Gerüchten unternahm Domingo de Vera 1593 eine Fahrt nach Guyana, das er am 23. April 1594 mit einem feierlichen Festakt für Spanien in Besitz nahm. Anführer und Soldaten knieten vor einem Kreuz nieder und sandten ein Dankgebet zum Himmel. »Dann nahm Domingo de Vera eine Tasse Wasser und trank sie aus, er nahm eine zweite und goss sie über den Boden aus, so weit er nur konnte, zog sein Schwert und schnitt das Gras um sich herum sowie einige Baumzweige, während er sprach: Im Namen Gottes nehme ich dieses Land in Besitz für Seine Majestät Don Philipp, unseren legitimen Herrscher!« 4
Dies nur als ein erstes Beispiel für den Missbrauch des Namen Gottes im kolonialen Trauerspiel. Später wurde in christlichen Büchern oft behauptet, der Neger sei kein Mensch, weil der Mensch nach Gottes Ebenbild geschaffen wurde, und Gott diesen Schriftgelehrten zufolge nicht schwarz sei …
Lasst uns an dieser Stelle, als Neger, versichern, dass auch wir nicht glauben, nach dem Abbild eines Gottes geschaffen zu sein, dessen Segen von den Weißen jener Tage immer dann erbeten wurde, wenn sie sich Land, Leib und Gut von den farbigen Völkern aneigneten.
Die hohen Erwartungen der spanischen Goldsucher haben sich nicht erfüllt. In der Annahme, dass in den Küstengebieten kein Gold zu finden sei, weil es die Eingeborenen im Landesinnern versteckt hätten, zogen die Weißen mit gezückten Waffen durch das Binnenland und ließen dort, wo sie auf Widerstand trafen, Bluthunde los, deren Namen in die Geschichte eingegangen sind.
Doch El Dorado haben sie nicht entdeckt.
Dafür rächten sich die Abenteurer bitterlich an den Eingeborenen, beraubten sie ihrer Freiheit und legten sie in Ketten, zwangen sie zur Arbeit, geißelten und misshandelten sie.
Und als sich die eingeborene Rasse als zu schwach erwies, die Schätze heranzuschaffen, von denen die Weißen in ihrem Wahn gemeint hatten, sie seien zum Greifen nahe, als sie zu Tausenden unter den Schlägen und Misshandlungen starben, da erinnerte man sich auch in Suriname an den Rat von Las Casas 5, lieber aus Afrika eine stärkere Rasse als die indianische zu holen.
In dieser Zeit entstand der Sklavenhandel.
In diesen Tagen wurden die ersten unserer Vorfahren nach Suriname verschifft.
In diesen Tagen nahm die Sklaverei in Suriname ihren Anfang. Der eine Herrscher verjagte den anderen – doch jeder neue Herrscher, der den Besitz der Niederlassungen anderer Europäer mit Gewalt an sich nahm, begann mit der feierlichen Erklärung, dass auch unter der neuen Herrschaft das Recht auf Eigentum, also das Recht auf den Gebrauch und Missbrauch des lebendigen Besitzes, auf den Kauf und Verkauf unserer Väter und Mütter, von Gottes Gnaden sei und beibehalten werde.
Trotz der feierlichen Inbesitznahme durch die Spanier ist von ihrer Macht wenig geblieben. Sie wurden bald von den ständigen Überfällen der erbitterten Indianer aus Guyana vertrieben. Doch längst nahmen Franzosen und auch Holländer und Zeeländer regelmäßig Kurs auf die Küste von Guyana. Mit dem niederländischen Generalpatent von 1614 erhielt jeder, der fortan einen neuen Hafen, eine Passage oder einen Ort entdeckte, das Recht, dieses für vier Jahre unter Ausschluss anderer zu verwalten. Dauerhafte Niederlassungen gab es damals aber noch nicht. Erst Mitte des 17. Jahrhunderts fassten die Europäer in Guyana Fuß. Kapitän Maréchal, begleitet von 60 Engländern, siedelte sich 1630 am Suriname-Fluss an. Von dieser Landnahme ist historisch nichts weiter überliefert. 1643 gründete man in Rouaan eine Gesellschaft zur Kolonisierung von Suriname. Ein gewisser Poncet Brétigny setzte sich an die Spitze einiger Glücksritter und ließ sich an der Küste nieder. Doch sie machten sich so vieler Gräueltaten an den Indianern schuldig, dass sie schließlich vertrieben oder getötet wurden. Den nächsten Versuch wagte einige Jahre später eine andere französische Gesellschaft mit dem Aussenden von 800 Kolonisten. Doch auch dieses Mal führte es zu keiner dauerhaften Besiedlung.
Auf die Franzosen folgten die Briten. Lord Willoughby, der Baron von Parham, rüstete 1650 auf eigene Kosten ein Schiff mit dem Bestimmungsziel Guyana aus. Die Eingeborenen empfingen die Engländer freundlich, weil sie als friedfertige Kaufleute auftraten. Doch recht bald zeigte sich, dass diese vorgeblichen Pazifisten in Wahrheit hartherzige Soldaten waren, die die Indianer dank besserer Waffen in die Wälder trieben. Zügig errichteten sie wehrhafte Forts, um sich vor den Überfällen der verbitterten und betrogenen Eingeborenen zu schützen. Baron von Parham selbst kam 1652 nach Suriname, um die Leitung der neuen Kolonie zu übernehmen. Lange blieb er nicht, weil er zum Generalgouverneur der Westindischen Inseln ernannt wurde. Nach seiner Abreise nach Barbados wurde ein Mann namens Ruff mit der Verwaltung von Suriname betraut. So hatte Europa in Suriname Fuß gefasst, die Herrschaft war gefestigt und das Leben dort für immer ein anderes.
Dieser Zustand wurde 1662 zudem per Gesetz mit einer Schenkungsurkunde von Karl II. bekräftigt. Land und Küste von Suriname wurden Sir Charles Willoughby, Baron von Parham, und Laurens Hide, Graf van Clarendon, und deren Nachkommen und Rechtsnachfolger übereignet.
Unter der englischen Verwaltung wuchs die Zahl der Weißen in Suriname rasch. Vor allem Juden aus Cayenne ließen sich 1664 unter der Führung von David Nassy in Suriname nieder. Willoughby stellte sie in Recht und Freiheit mit den Briten gleich. Unter der Knute der Engländer legten rote und schwarze Sklaven in kürzester Zeit über 60 Zucker- und Tabakplantagen an. Die schwere Arbeit in der tropischen Hitze war unbeschreiblich anstrengend und kostete vielen Sklaven das Leben. Andere trösteten sich in ihrem Elend mit Feuerwasser, das in jenen Tagen von den Weißen zum ersten Mal eingeführt wurde. Die Anzahl der gebürtigen Surinamer nahm rapide ab, manche zogen sich in die Wälder zurück und versuchten ab und an vergeblich, die Fremden zu vertreiben. Auch die schwarzen Sklaven wurden von Krankheiten heimgesucht oder starben an Erschöpfung. Doch keine Sorge. Die Sklavenhändler sorgten für regelmäßigen Nachschub. Der Menschenhandel blühte!
DIE HOLLÄNDISCHE HERRSCHAFT
Die ersten Entdeckungsreisen unternahmen die Spanier, Franzosen wagten den Versuch einer ersten Kolonialisierung, Briten eroberten das Land, bauten Festungen, legten Plantagen an und schafften es, durch ihre verhältnismäßig liberale Politik anderen Weißen gegenüber fähige Juden in ihre Kolonie zu locken. Die Holländer erschienen erst auf der Bühne, als das Bett schon gemacht war. Haben sie der Kolonie ein neues zivilisatorisches Antlitz gegeben?
Seit 1661 führte die Republik der Vereinigten Niederlande Krieg gegen England. Um dem Feind möglichst stark zu schaden, rüsteten die Staaten von Zeeland drei Kriegsschiffe aus und bemannten sie unter dem Befehl von Abraham Crijnsen, Julius Lichtenberg und Maurits de Rama mit 300 Soldaten. Am 26. Februar 1667 fuhr dieses Geschwader unter englischer Flagge den Suriname-Fluss hinauf. Unter englischer Flagge näherten sich die Holländer also zum ersten Mal ihren künftigen Besitztümern. Zwar misslang diese Kriegslist aus Unkenntnis der britischen Signale, doch weil die Festung kaum auf einen Angriff vorbereitet war, fiel sie nach einem kurzen Gefecht schließlich doch in die Hände der Holländer. Den meisten Kolonisten wurde eine Beibehaltung ihrer von den Engländern verliehenen Vorrechte zugesichert. Aber weil auch ein Pferd seinen Hafer braucht, konfiszierte man die Güter des Gouverneurs William Biam und nötigte den Einwohnern als Lösegeld 100 000 Pfund Zucker ab. 6Der Gesamtertrag dieser Beschlagnahmung betrug für die Zeeländer etwa 400 000 Gulden, ein Beweis dafür, dass Suriname in jener Zeit bereits eine wohlhabende Kolonie war.
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