Wir Sklaven von Suriname ist zum Teil ein politischer Kommentar zur Geschichte Surinames und zum Teil ein Schrei nach Gerechtigkeit. Das Buch ist, und das ist vielleicht das Wichtigste, von einem Landsmann geschrieben, der aufgrund seiner abweichenden Auffassungen die koloniale Unterdrückung am eigenen Leib erfahren musste.
Anton de Kom wird 1898 in Paramaribo geboren.
»Er war ein ruhiges Kind. Als Junge ein regelrechter Bücherwurm«, erzählen Verwandte.
Sein Vater ist Goldsucher. Nach dem Rückgang der Goldgewinnung wendet er sich der Landwirtschaft zu. Die Familie besteht aus sechs Kindern, drei Jungen und drei Mädchen. Anton ist der älteste Sohn. Er besucht die Paulusschool in Paramaribo, eine Grund- und Sekundarschule, was damals, 1910, eine Ausnahme ist.
Zeugnisse besagen, dass er ab 1916 als Büroangestellter bei dem Gerichtsvollzieher H.C. Cooke und drei Jahre bei den Balata Compagnieën Suriname en Guyana angestellt ist.
Letztgenannte Arbeitsstelle bringt ihn in Kontakt mit den Balata-Bleeders . Dies ist auch seine erste Konfrontation mit der Ausbeutung. Ein Arbeiter, der ihn gekannt hat, sagt: »Er saß im Büro und kämpfte für uns. Er sorgte dafür, dass wir den Lohn erhielten, der uns zustand.«
Im Juni 1920 fährt de Kom in die Niederlande und tritt freiwillig in den Dienst des 2. Husarenregiments ein. Nach nur einem Jahr verlässt er das Militär und findet eine Stelle als Büroangestellter. Im Januar 1926 heiratet de Kom Petronella C. Borsboom. Dieser Ehe entstammen drei Söhne und eine Tochter.
Als einer der wenigen Schwarzen in den Niederlanden kommt er in den 1920er-Jahren mit den nationalistischen Studenten aus dem heutigen Indonesien in Berührung, wie Mohammed Hatta, der später bei der politischen Bewusstwerdung und Befreiung Indonesiens eine so wichtige Rolle spielen wird. Auch durch sie entwickelt sich de Koms politisches Bewusstsein. Der Aufstieg der Black-Power-Bewegung in Amerika, unter anderem mit dem Auftreten Marcus Garveys, trägt ebenfalls dazu bei. Er kommt in Kontakt mit linken niederländischen Schriftstellern und entwickelt sich zu einem guten Redner. Er hält Vorträge über Suriname, sein Land, und gegen den Kolonialismus.
»Ein sozial engagierter Mann, still und bescheiden, der aber heftig auf Unrecht und Ausbeutung reagierte«, sagen Menschen, die ihn gekannt haben.
Im Dezember 1932 kehrt de Kom aus familiären Gründen in sein Vaterland zurück.
Die soziale Situation dort ist menschenunwürdig. Seit 1920 hat sich nichts geändert: hohe Kindersterblichkeit, Unterernährung, Arbeitslosigkeit, Baracken, schlechtes Gesundheitswesen. De Kom gründet eine Beratungsstelle. Er hört sich die Klagen der Menschen an und spornt sie an, solidarisch zu sein und sich zu organisieren.
Dies alles wird von der Kolonialmacht als Bedrohung gesehen. Sie greift ein und verhaftet de Kom.
Am 7. Februar 1933 ziehen hunderte Kreolen, Hindustani und Javaner zum Generalanwalt, um die Freilassung des Mannes zu fordern, der für ihre Rechte eintritt. Unerwartet eröffnet die Polizei das Feuer. Es gibt zwei Tote und viele Verletzte.
Nach drei Monaten Haft ohne Verurteilung wird de Kom im Mai 1933 auf ein Schiff zurück in die Niederlande gesetzt. Die Ausweisung, sein politisches Engagement und die Krisenjahre machen das Leben für ihn und seine Familie alles andere als leicht.
Im Krieg widersetzt er sich heftig dem Faschismus. Er schreibt für die illegale Presse. In der Folge wird er im August 1944 von den Deutschen verhaftet und in ein Konzentrationslager nach Deutschland deportiert, wo er im April 1945 stirbt. Mitgefangene erzählen später, wie mutig de Kom die Demütigungen seiner Gefangenschaft ertrug. Unablässig sprach er über sein geliebtes Suriname.
Seine Grundüberzeugung, die absolute Ablehnung von Armut, Unterdrückung und Ausbeutung, ist in seinem Buch Wir Sklaven von Suriname stets präsent.
Seine Lebensgeschichte enthält trotz aller Traurigkeit eine positive, optimistische Botschaft.
De Kom ist es für kurze Zeit gelungen, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen im Kampf für ein menschenwürdiges Dasein zu vereinen!
Mögen die Surinamer daraus bleibende Inspiration und Hoffnung schöpfen.
Judith de Kom,
im Namen der Familie de Kom,
März 1981
Anton de Kom
»SRANAN«, UNSER VATERLAND
Vom 2. bis zum 6. Grad südlicher Breite und vom 54. bis 58. Grad westlicher Länge, zwischen dem Blau des atlantischen Ozeans und der Unwegsamkeit des Tumuk-Humak-Gebirges, das die Wasserscheide mit dem Amazonasbecken bildet, begrenzt durch die breiten Ströme Corantijn und Marowijne, die uns von Britisch- und Französisch-Guyana trennen, reich an ausgedehnten Wäldern, in denen der Grünherz, der Barlak, der Kapokbaum und der edle Braunherz wachsen, reich an breiten Flüssen, an denen Reiher, Wieswiesies, Ibisse und Flamingos ihre Brutplätze finden, reich an Naturschätzen, an Gold und Bauxit, an Kautschuk, Zucker, Bananen und Kaffee … arm an Menschen, ärmer noch an Menschlichkeit.
Sranan – unser Vaterland.
Suriname, wie die Holländer es nennen.
Die zwölfte und reichste … nein, ärmste Provinz der Niederlande.
Zwischen der Küste und den Bergen schlummert unsere Mutter, Sranan, seit Tausenden und Abertausenden von Jahren. In ihrem unbekannten Binnenland hat sich in den dichten Wäldern seit damals nichts verändert.
Die Urwälder im Hochland scheinen in ewigem Schweigen erstarrt, erst bei Einbruch der Nacht erwacht ihre verborgene Musik, gespielt von tausenden summenden Insekten. Romantischer, doch zugleich auch wilder, ist die Landschaft in den Savannen und entlang der Ufer der Flüsse. Die Schlingen der Lianen, die wie Draperien von den Bäumen hängen, versperren den Weg, wilde Orchideen blühen, hier leben die scheuen Patjieras, Kapuzineraffen balancieren auf den Ästen, Papageien stoßen ihre schrillen Schreie aus, der Jaguar lauert. Mit spitzer Zunge sucht ein Gürteltier nach Ameisen.
Seit tausenden Jahren waren Mutter Sranans dunkle Wälder unberührt und unerforscht. Sonderbare Tiere, deren Namen man im Westen kaum kennt, leben hier: Kleine Ameisenbären, Baumstachler, die Vireos, die Tanagras, die Tiegrinmans und die Blaudachse, Pfefferfresser sitzen oben in den Palmenkronen und Tagfalter schwirren umher, die glitzernd blauen Morphos, die gelben und orangefarbenen Callidryas erheben sich bis hoch in die Wipfel der Bäume.
Menschen?
Menschen, die sich an dieser Schönheit erfreuen können, gibt es kaum.
Landeinwärts leben die Warans, die Arawaks und die Kariben, schwache, vom Aussterben bedrohte Indianerstämme, machtlose Nachkommen der Urvölker, die von den Weißen aus den schönsten Orten verdrängt wurden. Im Hochland fertigen die Trios und die Ojanas Perlenketten und kunstvolles Flechtwerk, ihr feiner Tanzschmuck zeugt von einem angeborenen Sinn für Schönheit.
Ungefähr 2450 Indianer und ungefähr 17 000 Marrons, die Buschneger, über die wir später noch sprechen werden, leben hier.
Also höchstens zwanzigtausend Menschen bevölkern Sranans Landesinnere, das knapp fünf Mal so groß ist wie die Niederlande. Ansonsten tummeln sich in den Wäldern nur Agustis und Faultiere, Mandrillen, Tapire und Wasserschweine, Brüllaffen, Ameisenbären und Anakondas.
An Mutter Sranan ist die Geschichte vorübergezogen. Drei Jahrhunderte holländische Kolonisation haben ihr Binnenland unberührt gelassen, die Stromschnellen ihrer Flüsse treiben keine Turbinen an, die fruchtbaren Böden sind nicht besät, die reichen Schätze der Wälder nicht abgebaut. In bitterster Armut und in jämmerlicher Unwissenheit leben die wilden Stämme inmitten einer Natur, in der der Überfluss ungenutzt verlorengeht.
Weiße wagen sich selten in diese Wildnis, in der nur die Indianer und Marrons die Wege kennen. Entlang der Flussläufe dringt manchmal ein französischer Libéré , ein britischer Rowdy , ein holländischer Forscher ins Landesinnere vor. Sie setzen ihr Messer an die blanke Rinde der Bolletries und lassen den kostbaren Milchsaft fließen. Doch der Libéré kehrt zur Küste zurück, in seinem Whiskyrausch trinkt sich der Rowdy an einem einsamen Lagerfeuer zu Tode, der Holländer lässt sich von den Marrons in einem Kanu den Fluss hinabfahren. Die Wildnis bleibt zurück, die Wunden des Kautschukbaums verheilen, das verlassene Lager wird von Schlingpflanzen überwuchert.
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