Möglich machte das die Hilfe von James R. Dee, einem erfolgreichen Geschäftsmann aus Houghton, der seit Jahren als Fan zu den Spielen des Portage Lake Hockey Clubs ging. Dee wollte aber nicht mehr nur gutes Eishockey in seiner Heimatstadt sehen, er wollte auch daran verdienen. Also ließ er die größte und modernste Eishalle Amerikas errichten, das Amphidrome, ein protziger Bau, der mit seinen Türmen nicht zufällig an ein Schloss erinnerte. 5.000 Zuschauer fanden dort rund um die Eisfläche Platz.
Dee und Gibson – die „Väter des professionellen Eis hockeys“
Was noch fehlte, waren die passenden Gegner in einer reinen Profiliga. Also verhandelte Dee mit den Teams der WPHL aus Pittsburgh sowie mit potenziellen Mitstreitern aus anderen Städten, die durch ihre Kupferminen zu Reichtum gekommen waren. Zunächst standen sogar Teams aus Montreal, Detroit, Chicago und anderen Großstädten zur Diskussion, doch daraus wurde nichts. Dee fand trotzdem genügend Mitstreiter für seine ehrgeizigen Pläne. 1904 war er am Ziel, als neben seiner Lieblingsmannschaft aus Portage Lake auch welche aus den Kupferstädten Calumet und Sault Ste. Marie in Kanada sowie aus Pittsburgh und Sault Ste. Marie in Michigan einstiegen. Sie gründeten die International Hockey League, die erste reine Eishockey-Profiliga der Welt. Bis heute gelten Dee und Gibson deswegen als „Väter des professionellen Eishockeys“.
Nun fehlten nur noch die passenden Spieler für die fünf Teams. Immerhin wollte der Geschäftsmann dem Publikum „das beste Eishockey bieten, das man für Geld bekommen kann“, erzählt Laine Drewery in einer CBC-Dokumentation im Jahr 2006. Also beauftragte Dee seinen alten Bekannten „Doc“ Gibson. Der Zahnarzt sollte nach Kanada reisen und die besten Spieler des Landes davon überzeugen, in Michigan für Geld zu spielen. Schwer war das nicht. Denn die IPHL war die Chance, auf die viele Spieler seit Jahren gewartet hatten. In den Wochen vor dem Saisonstart entschied sich fast täglich ein weiterer Topspieler für einen Wechsel in den Süden, was die örtlichen Zeitungen immer euphorischer verkündeten.
Cyclone Taylor, der erste Eishockey-Superstar, verdiente bereits mehr Geld als der Premierminister.
Die neue Liga wurde schnell ein Erfolg. Die Fans kamen in Strömen und fuhren sogar zu Auswärtsspielen ihrer Teams, die Bahn setzte erste Sonderzüge ein. Die Zeitungen waren voll von Spielberichten und Geschichten über die Teams und ihre Spieler. Und in den Salons wurde fleißig auf die Spiele gewettet.
Obwohl die Vereine fast ausschließlich in kleinen und eher wenig attraktiven Arbeiterstädten zu Hause waren, verließen selbst absolute Topspieler ihre kanadische Heimat, um in der neuen Liga Geld zu verdienen. 15 bis 40 Dollar gab es mindestens pro Woche. In nur zehn Wochen konnte ein Eishockey-Spieler das verdienen, was ein Industriearbeiter im ganzen Jahr bekam (knapp 375 Dollar). Selbst Gehälter von mehr als 1000 Dollar waren keine Seltenheit. Das bekam man im normalen Berufsleben nicht mal als Vorarbeiter oder gehobene Bürokraft. Nicht selten gab es darüber hinaus gutbezahlte Jobs für die spielfreie Zeit. Möglich machten das die lokalen Minenbesitzer. Als in der zweiten Saison auch Frederick „Cyclone“ Taylor, der beste Spieler seiner Zeit und ein Superstar in Kanada, in die IPHL wechselte, wähnten sich die Macher am Ziel. Taylor verdiente stolze 3000 Dollar für die Saison, mehr als der kanadische Premierminister.
In Kanada wurden sie derweil zunehmend nervös. So gut wie jeder Topspieler wollte nun weg, was den heimischen Fans und den Kommentatoren in den Zeitungen gar nicht gefiel. Doch anstatt dem Problem mit einer Öffnung zu begegnen und selbst ProfiEishockey zuzulassen, versuchte es der Verband aus Ontario mit Härte: Er erließ eine neue Regel, nach der jeder Spieler, der in der IPHL spielte, für sämtliche Vereine in Kanada gesperrt wurde. Es blieb beim Versuch. Jeder Spieler, der etwas auf sich hielt, wollte nun einen Platz in der neuen US-Liga haben.
Der Traum vom dauerhaften Reichtum war trotzdem schnell vorbei, nach nur drei Jahren war Schluss mit der IPHL, die von sich aus stets funktioniert hatte. Doch die Wirtschaftskrise hatte den Kupfermarkt im Norden Michigans hart getroffen. Zahlreiche Minen mussten schließen, die Arbeiter zogen weiter, so taten es auch die Eishockey-Spieler. Aus den eben noch boomenden Bergarbeiter- wurden binnen weniger Monate Geisterstädte. Investor James Dee wandte sich dem Filmgeschäft zu. Und als hätte es noch eines Symbols für das Ende des ProfiEishockeys in Michigans Kleinstädten bedurft, brannte das mächtige Amphidrome nur wenige Jahre später bis auf die Grundmauern nieder.
Für das professionelle Eishockey war das Aus der ersten Liga allerdings weniger dramatisch. Im Gegenteil: Die IPHL hatte bewiesen, dass die Zeit der reinen Amateurligen vorbei war. Auch die konservativen Kanadier konnten sich nicht mehr gegen die Professionalisierung wehren, wie der Historiker Jack Falla sagt: „Die Liga war wichtig, denn zum ersten Mal war der Sport offen für Professionalität. Nun gab es keine Heuchelei mehr wie: ,Oh nein, wir sind nur Amateure, ignoriere bitte, dass du nach dem Spiel einen 20-Dollar-Schein in deinem Schlittschuh finden wirst.‘ Jetzt hieß es: ,Es ist Showbusiness, es ist Unterhaltung, lasst sie uns bezahlen und die Show genießen.‘“
Ein Showbusiness, beste Unterhaltung lieferten fortan diverse Ligen, auch in Kanada. Die Teams waren nun längst keine Ansammlungen sportbegeisterter Freunde mehr. Wer in den immer neuen Profiligen mitspielte, der verstand sich auch nicht mehr als gemeinnütziger Klub mit Jugendteams, Vereinsleben und sozialen Projekten. Die Vereine verstanden sich als das, was Profisport-Teams bis heute sind: profitorientierte Unternehmen der Unterhaltungsindustrie. Mit Besitzern, professionellen Managern, hauptamtlichen Trainern und bezahlten Spielern. Wollte ein neues Team in eine Liga, musste es sich nicht etwa sportlich qualifizieren, sondern sich schlicht einkaufen. Einen Auf- und Abstieg kannten die Ligen ebenso wenig wie heute. Wer drin war, war drin, wer nicht, der nicht. Und wer Geld verdiente, blieb auch drin. Wer nicht, der suchte schnell das Weite, versuchte sich in einer anderen Liga oder stieg aus dem neuen Business wieder aus.
Weil es weltweit mittlerweile Dutzende professionelle Sportligen gab, die Millionen Fans anlockten und viele reiche Männer noch reicher machten, versuchten im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts auch diverse Eishockey-Ligen ihr Glück. Doch nichts war von Dauer, sie alle scheiterten recht schnell. Immer wieder zogen windige Geschäftsleute mit übergroßen Egos die Fäden und gingen im Streit auseinander. Meistens ging es ums Geld.
Das floss nun in Strömen. Vor allem in den Ballungszentren Toronto, Ottawa und Montreal. Kleinstädte oder ländliche Regionen konnten kaum oder gar nicht mehr mithalten, das Zeitalter der Metropolen war angebrochen. Die hatten auch gern mal zwei oder drei Teams in einer Liga und bildeten erste regionale Rivalitäten, die die Begeisterung für die Liga noch weiter anheizte.
Das galt vor allem für Montreal, wo es für die englisch- und französischsprachigen Bevölkerungsteile jeweils eigene Teams gab. Das galt aber auch für Toronto, das mit seinen Vororten bereits um 1900 fast eine halbe Million Einwohner hatte. Mit ihren großen Hallen, ihren vielen potenziellen Zuschauern und Sponsoren, mit ihrem Medienaufkommen sowie ihren Verdienstmöglichkeiten für die spielfreie Zeit hatten die Großstädte unschlagbare Vorteile gegenüber der Provinz.
Der Westen wacht auf
Die Welle der Professionalisierung schwappte langsam auch in den Westen Kanadas, der in der bisherigen Entwicklung des neuen Nationalsports eine eher untergeordnete Rolle einnahm. Möglich machten das Joe Patrick und seine Söhne Lester und Frank, die selbst seit Jahren als Profispieler unterwegs waren. Ursprünglich kamen auch die Patricks aus dem östlichen Bundesstaat Québec, doch 1907 brachen sie ihre Zelte in der alten Heimat ab, verkauften ihr kleines Geschäft und nutzten das Geld, um in den weitestgehend unberührten Wäldern von British Columbia eine Holzfabrik zu gründen. Die entwickelte sich schnell zur Goldgrube, nur vier Jahre später verkauften sie die Firma, angeblich für eine Million Dollar, so jedenfalls berichtete es Laine Drewery.
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