Auf der Stadtmauer zu Babylon aber stand Istar und lächelte.
Und ihr Lächeln ward die Sonne vieler Jahrtausende. — —
*
Es gibt heute so viele Gischdubarras, die die Liebe aus dem Lande weisen wollen.
Es gibt so viele, die die Liebe nicht verstehen.
Wir klammern uns an das goldschimmernde „Evoe“ der Alten, das wie eine Fanfare aus fremden, herrlichen Ländern in unsere Zeit klingt. Und doch ist dieses Evoe tot, keine Sehnsucht mehr im Stande, es zu neuem Leben zu erwecken.
Gnädige Frau! Ich tadelte Sie, weil Sie schrieben, Sie liebten die Sensation in der Liebe. Und heute suchen Sie mir zu erklären, Sensation sei Ihnen Evoe!
Evoe ist aber keine Sensation! Evoe ist ein Evangelium, ein Glaube, eine Weltanschauung. Ein Thermometer der Menschlichkeit, meinetwegen. Sensation ist Steigerung der Unnatur. Evoe ist das Normalste vom Natürlichsten.
Aber ich glaube nicht daran. Nicht an das Evoe von heute und nicht an das, welches Sie mir als Liebesgruss senden, den Sünder in venere zu bekehren, den Tannhäuser, der als armseliger Philosoph zwischen Rom und dem Hörselberg sitzt.
Ach, die Glocken von Rom! Gnädige Frau, warum hat der Hörselberg keine solchen Glocken, keine Jungfrauen in weissen, fliessenden Gewanden, keine Klostergänge und kein heiliges Ave? Ich glaube nicht an das Evoe.
Können Sie sich vorstellen, gnädige Frau, dass Alkibiades am barbarischen Pontus hellenische Kultur hätte treiben können? Wo blieb Ovids augusteische Lebenskraft am Schwarzen Meer? Haben Sie seine Klagelieder gelesen, diese Seufzer einer verpflanzten Seele, diese orgiastischen Flüche eines Verdammten? Und wissen Sie nicht, gnädige Frau, dass wir am Pontus wohnen und das Schwarze Meer der Quell ist, aus dem wir unsere Kultur schöpfen?
Evoe, Madame — — mit wem? Wo? Wie? —
Wo ist das Meer, an dem Phryne, die grosse Courtisane, sich nackt zeigte, dass ein Griechenvolk erschauernd im Sande betete und wie ein Mund begeistert schrie: Evoe — — ja, wo ist solch ein Meer? Wo sind die Liebestafeln der Akropolis?
An den Frauentürmen? Auf der Siegessäule im Tiergarten? Wo ist der Altar, den Kinyras der Schaumgeborenen gestiftet hat? In der Odeonbar? Im Metropol — Palais de Danse?
Wo ist Ra, der Griechengott, der auf goldener Barke durch die Fluten des Himmels gesegelt ist?
Wo ist die Zeit, da Anakreon und Juvenal die Aphrodite in Versen, Phydias und Praxiteles in Marmor verewigten, ohne konfisziert zu werden? (Doch das wäre nicht das Schlimmste. Aber wann wäre es in Griechenland Jemandem eingefallen, Sachverständige über die Grenzen des Anstössigen zu vernehmen? Gibt es einen Verstand, der diese Diskussionsfrage deutscher Sittlichkeitsvereine zu beurteilen vermag? Ist das nicht eine Frage des Zeit- und Volksgefühls?) Wo ist die Zeit, da Lucian seine gottlosen Göttergespräche schrieb, ohne nach Stadelheim oder Plötzensee zu wandern (mindestens „wegen groben Unfugs, begangen durch die Presse“, Höchststrafe sechs Wochen)?
Wo ist Glycera? Wo atmet eine Courtisane solchen Stils, die ein Horaz geliebt hat? Wo ist ein Weib solcher Art, an der Tibull gestorben ist? Wo ist die Wunderbare, mit der Properz den Sarg zu teilen wünschte? (Und mo, sagen Sie mir, gnädige Frau — — Evoe! — — wo ist der Friedhof, wo die geschätzte Geistlichkeit einen erotischen Dichter und eine Dirne in ein Grab zusammen legen würde? Wo ist die Behörde, die gleichfalls schätzbare, die das dulden möchte? Und wo sind die Jünger Abälards, die daran kein Aergernis nähmen?)
Verstehen Sie mich recht, gnädige Frau: Ihr Evoe hat mir weh getan. Das war ein Schrei aus toter Zeit, der ein heisses Echo in mir weckte. Nicht, dass ich Sie unterschätze. Ich weiss, Sie zittern in dem Sinnefluss Hellas, Sie dürsten dem perikleischen Zeitalter nach und haben den sinnlichen Ehrgeiz, Aspasia zu sein — — aber: wo?
Die Frage reisst die Verschalung von dem Misthaufen unserer Liebeskultur.
Wir suchen beide die Schönheit. Ach, wie würde ich es bedauern, wenn aus unserer Idylle im Namen des Eros Pornographie entstünde! Wie würde ich das bedauern!
Seit zweitausend Jahren ist die Freiheit der Liebe (nicht die „freie Liebe“ — schmutzverzerrtes Wort! — —) tot, leblos, und nur Ahasverus und Ahasvera ziehen heimatlos durch Wüsteneien. Glauben Sie im Ernst, liebe Frau, dass das Reichstagsgebäude in Berlin die Akropolis vortäuschen könnte, und dass es zu übersehen sei, dass Sie Gummischuhe aus Russland tragen, weil dieser Himmel ein ewiges Putzschaff ist, aus dem göttliche Mägde schöpfen, um den Olymp mit antiseptischen Mitteln zu reinigen?
Gibt es eine Illusion, die stark genug wäre, zwei Jahrtausende zurückzuschrauben?
Evoe! Nein, das ist kein Lebens- und Glaubensbekenntnis mehr für uns. Das Christentum und die Revolution — — die Inquisition und Maria Magdalena — — Himmel, diese Dinge sind nicht spurlos, an uns vorübergegangen.
Wir haben eine andere Sehnsucht als sie Alten, und das Kreuz auf Golgatha sendet seine Strahlen über alle Teile der Erde und pflanzt den Gram des Gottsuchers in die Herzen der verstocktesten Atheisten, sie wissen es nur nicht.
Wir haben eine andere Sehnsucht, gnädige Frau, als die, welche Evoe riefen, wenn Phryne nackt aus dem Meere stieg. Dagegen nützt alle Kraft des Leibes und der Seele nicht, und aller Mut zur Sünde nicht, von dem Sie mir schrieben.
Aber haben Sie schon bedacht, wie deplaciert es ist, von dem „Mut zur Sünde“ zu reden? Haben Sie das schon bedacht?
Glauben Sie, dass Aspasia, wenn sie Perikles mit Evoe begrüsste, den Mut zur Sünde hatte?
Dass sie wusste, was Sünde war?
Sie wissen es, sonst würden Sie nicht davon sprechen. Dann aber können Sie unmöglich wissen, was in dem „Evoe!“, liegt, denn dieses und Sünde sind wie Feuer und Wasser.
Ach, liebe Frau, Sie sind auch nur Lats nach zweitausend Jahren Inkarnation — — und Sie suchen die Liebe.
Sprechen Sie nicht von Sünde, gnädige Frau, und rufen Sie mir nimmer Evoe.
Ich kenne die Liebe nicht, Sie kennen die Liebe nicht. Aber wir suchen sie. Und wer weiss, ob wir sie, die wir reinen Herzens sind, nicht endlich finden?
Wer weiss?
Denn nimmer würde ich zu behaupten wagen, ich kenne die Liebe. Das vermögen nur die sexuellen Hochstapler, arme Narren, die Surrogate schlürfen und denen Sie, gnädige Frau, mit dem Mut zur Sünde mächtig imponieren würden.
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Unsere Liebe ist eine Illusion. Eine bis zu einem gewissen Grade reale Illusion, doch nimmer ein sicher festzustellender Wert. Denn nur, was sie dem Einzelnen darstellt, ist Liebe. Was sie der Gesamtheit ist, lässt sich nimmer mit einem Begriff abtun. Man müsste sonst die Liebe in hunderttausend Einheiten, gute und schlechte, logische und sinnlose, konsequente und immer wechselnde, zerlegen.
Das Paradies hat auch nicht zwischen Euphrat und Tigris gelegen, und kein Erzengel hat uns daraus vertrieben. Der Garten Eden und die Erbsünde sind in uns selbst begründet.
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„Jeder Mensch ist ein Adam, und jeder wird einmal aus dem Paradiese — — der warmen Gefühle — vertrieben.“
Goethe.
„In unseren Tagen nun ist man mit Nachdruck auf die Fragen der Liebe zurückgekommen. Geniale Schriftsteller haben sie teils in unsterblichen Romanen, teils in schematischer, beredter, scharfer und strenger Form mächtig angeregt. Die Diskussion dauert fort, ohne dass man weiss, dass sie sich um mehr als einen Punkt dreht, den die höchste Autorität, die der Tatsachen, für immer entschieden hat. Die Liebe ist keine Krisis, kein Drama, sondern ein Spos. Wäre sie nur das eine oder andere, so verlohnte sich ein so flüchtiges Ereignis kaum der Aufmerksamkeit. Wenn man die Liebe eine Krisis nennt, so kann man die Loire auch eine Ueberschwemmung nennen.
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