Er wollte mir in den Mantel helfen, aber Hans Ullrich Garden kam ihm zuvor. »Sie wollen doch nicht wirklich so Hals über Kopf davon?« raunte er mir ins Ohr.
»Von Hals über Kopf kann gar keine Rede sein«, sagte ich nüchtern, »ich habe mir von Anfang an vorgenommen, mit diesem Zug zurückzufahren, also …« Ich reichte Hans Ullrich Garden die Hand.
Er hatte sie gerade reichlich verwirrt ergriffen, als die Tür vom Gang her aufgerissen wurde und Gaby, die superblonde Assistentin, hereinstürmte.
»Ha!« rief sie, riß die katzengrünen Augen auf und starrte uns wütend an. »Das hätte ich mir denken können!«
Ich rechnete es Hans Ullrich Garden hoch an, daß er mich in diesem Augenblick nicht etwa losließ, sondern ganz im Gegenteil noch näher an sich zog und den linken Arm um meine Schultern legte.
»Im ganzen Haus hab ich dich gesucht!« rief Gaby außer sich. »Überall bin ich herumgerannt! Wie eine Verrückte habe ich mich benommen, und du, du …«, sie stürzte auf Hans Ullrich Garden los, »du hast nichts Besseres zu tun, als mit dieser Person da herumzuflirten.«
»Nun nimm mal Vernunft an, Mädchen«, sagte Hans Ullrich Garden seelenruhig. »Hast du dir wirklich nicht denken können, daß ich in meinem Büro bin? Wo soll ich denn sonst sein? Und was dieses Mädchen betrifft, so ist es keine Person, sondern eine neue Kollegin von dir. Bitte, Gaby, sei brav, gib Händchen!«
»Ich denke nicht daran«, schrie Gaby und versteckte ihre Hand hinter dem Rücken.
Hans Ullrich Garden ließ mich los und trat drohend auf sie zu. »Nicht?« fragte er. »Und warum nicht, wenn ich bitten darf?«
»Weil sie dich erschießen wollte!«
Hans Ullrich Garden stöhnte auf, ließ sich wieder auf einen der hochmodernen Stühle nieder, vergrub den Kopf in den Händen. »Menschenskind!« sagte er. »Das hat mir gerade noch gefehlt! Eine Verrückte mehr!«
»Erschießen? Wie kommen Sie darauf?« fragte Janos Lewin mit einer Höflichkeit, hinter der, wie immer, Spott zu liegen schien.
»Weil sie — sie hatte doch die Pistole in der Hand! Bestimmt hat sie diese mit auf die Bühne geschmuggelt! Daß ihr dann nachher der Mut gefehlt hat, abzudrücken — finden Sie, daß das für sie spricht? Wenn ich mir vorgenommen hätte, einen Mann zu töten …«
»Liebes Fräulein Gaby«, sagte ich so freundlich und gelassen, wie es mir irgend möglich war, »ich muß Sie leider darüber aufklären, daß Sie sich in einem grundlegenden Irrtum befinden. Ich hatte weder die Absicht, Hans Ullrich Garden zu töten — bitte, lassen Sie mich jetzt ausreden —, noch einen Grund dazu, weil ich ihn vor diesem Abend ja nur einmal, und da sehr flüchtig, gesehen habe. Ich hatte auch keine Gelegenheit, die Pistole mit auf die Bühne zu schmuggeln, denn wie Millionen Zuschauer werden bezeugen können, trug ich ein enganliegendes Kleid ohne Taschen. Außerdem hatte ich nicht die entfernteste Ahnung, daß es zu einer Schießerei auf der Bühne kommen würde. Ihr Verdacht gegen mich ist also völlig unbegründet und läßt sich nur aus einer gewissen Eifersucht heraus motivieren. Lieben Sie Hans Ullrich Garden?«
Der Quizmaster sprang auf und hob beschwörend die Hände. »Kinder! Kinder!« rief er. »Nun ist es doch wohl genug. Schließlich sind wir hier nicht auf der Bühne, kein Mensch bezahlt uns für unsere Darbietung. Macht doch Schluß damit! Hatten Sie nicht einen Zug zu versäumen, Fräulein Horn? Ist er schon weg? Nein? Kommen Sie mit, ich fahre Sie mit meinem Wagen zum Bahnhof! Vielleicht schaffen Sie es noch.« Er wandte sich mit einer unbestimmten Handbewegung den anderen zu. »Tschüs, zusammen!«
Der Ausgang, durch den wir die Straße erreichten, war mir unbekannt. Wenige Schritte weiter, unter einer Laterne, parkte Hans Ullrich Gardens Wagen — nicht die schwere Limousine, in der ich ihn kennengelernt hatte, sondern ein knallrotes, sehr schnittiges Sportkabriolett mit weißen Ledersitzen. Hans Ullrich Garden riß die Tür auf, wartete aber nicht, bis ich eingestiegen war, sondern lief zur anderen Seite des Autos, nahm am Steuer Platz, steckte, kaum daß ich meine Tür zugeknallt hatte, den Zündschlüssel ein und brauste los.
»Wissen Sie, daß Sie mich sehr glücklich gemacht haben, Sonja?« fragte er unvermittelt.
»Ich? Wieso?«
Er tastete nach meiner Hand. »Ich bin sehr, sehr froh, daß ich Sie kennengelernt habe, Sonja.«
»Ich muß immerzu an dieses merkwürdige Attentat denken«, sagte ich. »Wer kann diese Sache eingefädelt haben? Es muß jemand sein, der bei der Sendung mitgewirkt oder geholfen hat, sie vorzubereiten. Anders wäre die Sache zu kompliziert. Wer war diese Dame, die Sie vorhin angerufen hat? Diese Lilo?«
»Eifersüchtig?« fragte er.
»Ach wo. Nur eine Überlegung. War sie auf der Bühne?«
»Ja. Aber Lilo — das ist ganz ausgeschlossen! Lächerlich. Überhaupt, Sonja, bitte schlagen Sie sich doch diese blödsinnige Geschichte endlich aus dem Kopf. Es ist ja noch mal gutgegangen. Sehen Sie, für mich ist es ein Wink des Schicksals, daß gerade Sie mir das Leben gerettet haben.«
»Ich glaube kaum, daß irgendeine andere Frau — selbst die dümmste Gans nicht — diesen Revolver mit einem harmlosen Plastikkinderspielzeug verwechselt hätte, Herr Garden. Der Mörder konnte also eigentlich gar nicht damit gerechnet haben — hören Sie, Herr Garden, finden Sie das eigentlich nicht auch sehr merkwürdig?«
»Wahrscheinlich hat es sich überhaupt nur um einen dummen Witz gehandelt. Es war sicher einer dieser blöden Späße, wie sie unter Kollegen beim Theater üblich sind!«
»Ein ziemlich gefährlicher Spaß«, sagte ich, immer noch nicht überzeugt. »Was ist mit den Drohbriefen, von denen Sie vorhin gesprochen haben? Wird da auch schon auf einen Mord hingedeutet?«
»Sonja! Ich flehe Sie an, hören Sie endlich auf damit! Wozu zerbrechen Sie sich Ihren hübschen Kopf? Freuen Sie sich doch lieber, daß alles gutgegangen ist — freuen wir uns, daß wir auf der Welt sind!« Er faßte, den Blick immer geradeaus auf die Straße gerichtet, meine Hand und drückte sie. »Sie ahnen ja nicht, was Sie mir bedeuten, Sonja. Ich erinnere mich nicht, daß ich je so glücklich gewesen wäre wie in diesem Augenblick. Endlich habe ich einen Menschen gefunden, einen wirklichen Menschen, kein Püppchen, kein Lärvchen, sondern eine Persönlichkeit. Schon damals, als wir uns das erstemal begegneten, spürte ich ganz deutlich: Sie sind die Frau, auf die ich immer gewartet habe. Sonja, Sie lächeln, Sie glauben mir nicht! Ich weiß, meine Erfolge bei Frauen sind sprichwörtlich …«
Dieser eitle Satz riß mich fast schmerzhaft aus der Verzauberung, der ich wider Willen unter dem Einfluß seiner wohlklingenden Stimme verfallen war. Ich riß die Augen auf und sah zum Fenster hinaus, erkannte, daß wir durch einen Villenvorort fuhren.
»Halt!« rief ich aufgebracht. »Halten Sie oder kehren Sie um! Warum bringen Sie mich nicht zum Bahnhof?«
Hans Ullrich Garden stoppte den Wagen gehorsam, wandte sich mir zu, in seinen blauen Augen schimmerte Zärtlichkeit. »Hören Sie, Sonja …«
»Ich will jetzt nichts mehr hören!« rief ich wütend. »Ich will zurück! Sie haben mir doch versprochen, mich zum Bahnhof zu bringen — warum …«
»Darum!« sagte er und riß mich in seine Arme.
Sein Kuß war voll Leidenschaft.
Ich bin ehrlich genug, zuzugeben — Hans Ullrich Gardens leidenschaftliche Küsse überrumpelten mich nicht nur, sondern faszinierten mich beinahe. Es dauerte Sekunden, bis ich den Bann, dem ich wider Willen verfallen war, abschütteln konnte und mein Gehirn klar funktionierte.
Ich gab ihm mit beiden Händen einen Stoß vor die Brust, der um so wirkungsvoller war, als er ganz gewiß nicht damit gerechnet hatte. Er gab mich frei, und ich benutzte seine Schrecksekunde, um die Wagentür aufzureißen und auf die Straße zu springen. Ohne mich auch nur einmal nach dem parkenden Wagen umzusehen, lief ich wie gehetzt davon. Ich rannte die breite, schöngepflasterte Villenstraße hinunter, bog um die Ecke und lehnte mich atemlos gegen einen Zaun. Gerettet! schoß es mir durch den Kopf, aber gleichzeitig wurde mir bewußt, wie unsinnig und verfrüht mein Triumph war.
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