Zwischen den einzelnen Wettkämpfen hatte es immer wieder artistische Darbietungen — einen wirklich phantastischen Zauberkünstler, radfahrende Braunbären, ein Tanzpaar, das ich langweilig fand, und noch einiges mehr — gegeben. Vor der Entscheidung erschien jetzt noch ein Bauchredner auf der Bühne, der meiner Meinung nach besser als alles andere war, was bisher geboten wurde. Trotzdem konnte ich kaum über die wirklich zauberhaften Späße lachen, die er mit seinen unbeschreiblich komischen und sehr beweglichen kleinen Stofftieren ausführte — mir war, wider alle Vernunft, vor der Entscheidung doch etwas mulmig zumute. Ich blamiere mich nicht gern, selbst im Seminar melde ich mich immer nur dann zu Wort, wenn ich sicher bin, daß meine Antwort richtig ist — und möglicherweise vor Millionen Zuschauern als Trottel dazustehen, war alles andere als eine angenehme Aussicht für mich. Auch unser Haufen — Renate, Peter, Bill und Pützchen — saß heute abend, dessen war ich sicher, im Wirtshaus »Zur krummen Ecke« vor dem Fernsehapparat, und meine Kommilitonen würden mich bis ans Ende meiner Studienzeit aufziehen, wenn ich mich blöd anstellte.
Hans Ullrich Garden bereitete uns drei auf unsere letzte Aufgabe vor und erklärte uns, daß es jetzt darauf ankäme, nicht nur die richtige Lösung zu finden, sondern auch unsere schauspielerischen Qualitäten zu beweisen. Für jede Aufgabe seien im besten Fall vier Punkte zu erreichen — zwei für die richtige Lösung und zwei weitere Punkte für die schauspielerische Leistung, deren Einstufung wieder durch den Beifall des Publikums bestimmt und nach Lautstärke gemessen werden sollte.
Dann warf Hans Ullrich Garden drei zusammengelegte Zettel mit Losnummern in einen Hut. Ich durfte als erste hineinfassen und zog die Nummer drei, kam also als letzte mit meiner Aufgabe dran und durfte erst mal zusehen, wie sich die anderen bewährten.
Der Quizmaster verschwand, seine Assistentin Gaby weihte den ersten Kandidaten, unseren jungen Mann, in seine Aufgabe ein. Er sollte sich in die Rolle eines abgewiesenen Freiers der Prinzessin Turandot versetzen, die ihm noch eine Frage stellen würde, mit der er, wenn er schlau war, sein Leben retten konnte.
Das Orchester Bert Bünger intonierte einige Takte aus Puccinis Oper »Turandot«, der Vorhang vor der Hinterbühne ging auseinander und gab einen prächtigen asiatischen Krönungssaal frei. Auf dem wunderbar vergoldeten Thronsessel in der Mitte saß die verschleierte Prinzessin Turandot, von schönen, wenig bekleideten Sklavinnen umgeben. Zwei athletische Männer in Pumphosen, Schnabelschuhen und kräftigen braungeschminkten Oberkörpern packten unseren jungen Mann und zerrten ihn vor den Thron der Prinzessin. Das Publikum brüllte vor Lachen, denn unter dem weitwallenden Gewand Prinzessin Turandots waren Herrenhosen und Lackschuhe zu sehen — offensichtlich hatte Hans Ullrich Garden es sich nicht nehmen lassen, diese Rolle selbst zu übernehmen nach dem Motto: »Laßt mich den Löwen auch spielen.« Beim Publikum kam diese Idee glänzend an, das Gelächter und Geschrei war so laut, daß es eine Weile dauerte, bevor die Prinzessin sprechen konnte. Sie — oder vielmehr Hans Ullrich Garden — tat es mit einer so komisch verstellten Fistelstimme, daß wieder lauter Jubel losbrach. Ich spürte förmlich, wie diese weitere Verzögerung und das Geschrei des Publikums an den Nerven des jungen Mannes, der sich im kombinierten Sackhüpfen und Eierlaufen hervorgetan hatte, riß.
Endlich hatte sich das Publikum soweit beruhigt, daß Prinzessin Turandot die Frage stellen konnte. »Du weißt, daß du deinen Kopf verwirkt hast, o Jüngling«, lispelte Hans Ullrich Garden in höchsten Tönen, »aber weil du mir gefällst, sollst du eine Chance haben. Rate, wie du sterben wirst. Überlege dir gut, was du sagst, o Jüngling, denn falls du dich irrst, wirst du gehängt, falls du aber die Wahrheit errätst, wirst du nur geköpft.«
Trotz der verwirrenden Fragestellung war die Lösung höchst einfach, und ich wußte sie, kaum daß Prinzessin Turandot ihre Frage ausgesprochen hatte. Der junge Mann mußte natürlich sagen, er würde gehängt, dann konnte man ihn nicht hängen, weil er sonst die Wahrheit gesagt hätte. Köpfen lassen konnte die Prinzessin ihn aber auch nicht, weil er dann die Unwahrheit gesagt hätte und gehängt werden mußte.
Dem jungen Mann fiel die Lösung nicht ein. Prinzessin Turandot stellte ihm noch zweimal dieselbe Frage, er stammelte und versuchte, Zeit zu gewinnen. Der Gong ertönte, unser junger hoffnungsvoller Mann war mit Glanz durchgefallen.
Hans Ullrich Garden sprang von seinem Thronsessel, riß sich den Schleier vom Gesicht, die wallenden Gewänder vom Leib, empfing den brausenden Beifall des Publikums und tröstete den jungen Mann mit ein paar netten Worten. Die Assistentin Gaby maß die Lautstärke des Beifalls, und es stellte sich heraus, daß der junge Mann immerhin noch zwei Punkte bekommen hatte, und zwar mit Recht, denn seine Darstellung hatte so verstört gewirkt, als wäre es wirklich um seinen Kopf gegangen.
Wieder verschwand der Quizmaster, der Vorhang von der Hinterbühne hatte sich geschlossen, die Assistentin Gaby weihte das Publikum in die Aufgabe ein, die dem Senior unserer Gruppe bevorstand. Er bekam einen Tropenhelm auf den Kopf gestülpt, und Gaby erklärte ihm, daß er sich in die Lage eines Mannes versetzen solle, der sich in der Wüste verirrt hätte. Gleich würde er zwei Beduinen begegnen, die ihm den Weg zur nächsten Oase weisen würden, wenn er imstande sei, ihnen den Gefallen zu tun, um den sie ihn bäten.
Der Kandidat schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein. Er zeigte keinerlei Besorgnis, sondern schmunzelte vergnügt in sich hinein, und als der Vorhang aufging und wahrhaftig zwei Männer als Beduinen verkleidet auf zwei lebenden Kamelen langsamen Schrittes in einer Wüstenlandschaft daherkamen, stimmte er in das Gelächter des Publikums ein. Der Auftritt, bei dem man wieder Hans Ullrich Gardens Hosen unter dem Burnus hervorblicken sah, war wirklich ungemein komisch. Das Publikum schien besonders über die lebendigen Kamele ehrlich begeistert, aber ich konnte nicht umhin, mir die Frage zu stellen, ob soviel Aufwand zur Illustrierung einer simplen Scherzfrage nicht doch übertrieben war. All die Spiele, die Hans Ullrich Garden heute abend mit uns Kandidaten für das Publikum angeregt hatte, waren mir noch aus meiner Kinderzeit in guter Erinnerung, als wir an dergleichen Kurzweil, besonders an Geburtstagen, viel Spaß gehabt hatten — ohne daß uns dabei Kamele oder kostbare Dekorationen vonnöten erschienen waren.
Die beiden Beduinen sprachen mit einem höchst albernen und belustigenden Kauderwelsch auf den Kandidaten ein, und es dauerte eine Weile, bis er die Frage, die sie ihm stellten, überhaupt verstand. Die Wüstensöhne gaben vor, miteinander gewettet zu haben, wer das langsamere Kamel besäße, aber bisher hatten sie diese Frage noch nicht lösen können, weil natürlich jeder dem anderen ständig den Vortritt ließ.
Kaum, daß der Kandidat die Frage verstanden hatte, platzte er auch schon wie aus der Pistole geschossen heraus: »Na, dann wechselt doch die Kamele!«
Hans Ullrich Garden sprang vom Kamel, pellte sich aus seiner Beduinentracht, nahm den Beifall des Publikums entgegen und gratulierte zu der richtigen Antwort. Auch der Beifall des Publikums war für unseren Senioren so groß, daß er zwei Punkte dazu, also im ganzen vier Punkte, bekam, obwohl meiner bescheidenen Ansicht nach seine darstellerische Leistung tatsächlich unter dem Nullpunkt gelegen hatte. Aber anscheinend hatte das niemand gestört.
Jetzt also kam ich selbst an die Reihe, und während der Vorhang wieder zufiel und Hans Ullrich Garden sich verzog, erklärte Gaby mir und dem Publikum, um was es ging. Ich sollte mich in die Lage einer jungen Dame versetzen, die mutterseelenallein auf einer Reise durch den Wilden Westen unterwegs wäre. Gaby stülpte mir eine Art Cowboyhut auf und band mir einen breiten Gürtel um die Taille — eine Verkleidung, in der ich, nach dem Gelächter des Publikums zu urteilen, sehr komisch aussehen mußte.
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