Wieder brach Beifall los, und Hans Ullrich Garden verstummte, er verbeugte sich leicht, mit bescheidener Miene, als wenn er sagen wollte: Aber wirklich — das ist zuviel der Ehre! Viel zuviel der Ehre! Womit habe ich das verdient? Aber um seine Mundwinkel spielte ein eitles Lächeln, das verriet, wie wohl ihm die Anerkennung tat.
Endlich konnte er fortfahren. »Meine Damen und Herren, Sie sind wieder einmal — zum siebentenmal — in unserer Sendung ‚Lachen ist gesund’ bei uns im großen Sendesaal des Funkhauses erschienen, und ich hoffe von ganzem Herzen, daß wir auch heute wieder unser gestecktes Ziel erreichen! Was wollen wir denn? Nichts weiter als von ganzem Herzen lachen, lachen und noch einmal lachen! Das Leben ist ernst, und heiter die Kunst — das beliebte Orchester Bert Bünger beginnt jetzt mit dem Paso doble ‚Andalusische Nächte’!« Hans Ullrich Garden zog sich mit einer Verbeugung aus dem Scheinwerferlicht zurück, während noch der Beifall prasselte, der von den heißen Rhythmen des Tanzorchesters übertönt wurde.
Hans Ullrich Garden, so schien mir, wirkte auf der Bühne bei weitem attraktiver als im Privatleben. Mich stieß die Clownerie seines Auftretens ab. Was war das für ein Beruf für einen ausgewachsenen Mann, sich vor Millionen Zuschauern zum Narren zu machen!
Aber gleichzeitig mußte ich wider Willen anerkennen, daß er seine Aufgabe glänzend löste. Bestimmt war es alles andere als einfach, diese Menschenmassen zu verzaubern, ihnen ihre Individualität zu nehmen und sie zu einem riesigen Publikum zusammenzuschweißen.
Mir blieb keine Zeit, weiter über das Problem »Technisierung der Freizeitgestaltung« nachzudenken, denn schon klang der Paso doble aus, und Hans Ullrich Garden eilte mit elastischen Schritten auf den Vordergrund der jetzt von den riesigen Scheinwerfern völlig ausgeleuchteten Bühne.
»Und nun, meine Damen und Herren», trompetete er, »geht’s wieder einmal darum, die Kandidaten für unsere Sendung auszuwählen — wer von Ihnen, meine Herrschaften, hat Mut? Wer wagt sich hier herauf? Wer kann Spaß verstehen?«
Schon flogen die ersten Hände im Zuschauerraum in die Höhe — anscheinend war ein Teil des Publikums nur deshalb zur Sendung ins Funkhaus gekommen, um selbst einmal vor der Fernsehkamera auftreten zu dürfen.
Hans Ullrich Garden überflog den Zuschauerraum und begann mit souveräner Schnelligkeit auszuwählen. »Ja, dort hinten der Herr — wenn Sie bitte zu mir kommen würden, und die Dame in dem roten Kleid — ja, Sie, gnädige Frau — und der junge Herr ganz rechts — danke.«
Ich duckte mich in meinem Sitz zusammen und heftete meine Augen auf meine Schuhspitzen — ein alter Trick aus meiner Schulzeit: Wenn man der Aufmerksamkeit des Lehrers entgehen wollte, durfte man ihn um keinen Preis ansehen.
Hans Ullrich Gardens Worte prasselten förmlich auf mein Trommelfell. »Ja, der junge Mann dort — bitte, Sie, mein Herr — das wäre sehr nett von Ihnen — wenn ich die reizende junge Dame dort drüben bitten darf.« An seiner Stimme, die durch Mikrofon und Lautsprecher verstärkt wurde, war keine Veränderung wahrzunehmen, und doch hatte ich den Eindruck, daß er die Bühne verlassen hatte und sich jetzt im Zuschauerraum befand. Ich preßte die Hände gegeneinander und starrte unentwegt vor mich auf den Boden. Mein Gott, dachte ich, hat er denn immer noch nicht genug?
»So«, hörte ich Hans Ullrich Garden sagen, »jetzt brauchen wir noch eine Dame, ja, wie wäre es denn mit Ihnen — ja, Sie meine ich, die Dame mit dem moosgrünen Kleid!«
Im selben Augenblick spürte ich seine Hand auf meiner Schulter. Jetzt half kein Verstecken mehr. Ich hob die Augen und sah ihm gerade in das gleichmütig lächelnde Gesicht. Noch glaubte ich, entrinnen zu können — es war doch unmöglich, daß dieser Mensch mich vor Millionen Zuschauern zu etwas zwang, was ich selbst nicht wollte!
Ich holte tief Luft und machte schon den Mund auf, um zu protestieren, als ich sah, daß die große Kamera im Mittelgang gerade auf mich und den Quizmaster gerichtet war. Plötzlich verließ mich aller Mut und alle Kraft. Ich fühlte mich hypnotisiert wie ein Kaninchen, brachte kein Wort mehr hervor.
In Hans Ullrich Gardens Augen blitzte ein Triumph auf, für den ich ihn hätte ohrfeigen mögen. Aber ich tat nichts dergleichen, sondern stand verlegen auf, hatte das Gefühl, mit hängenden Armen oder einem törichten Gesichtsausdruck eine sehr alberne Figur zu machen.
Hans Ullrich Garden nahm mich bei der Hand und zog mich mit zur Bühne hinauf. »Bitte, mein Fräulein, rasch, damit wir beginnen können«, sagte er laut, dann verdeckte er das Mikrofon, das er in der Hand trug, und fügte leise, nur für mich hörbar, hinzu: »Ich wußte, daß Sie kommen würden.«
Die nächsten neunzig Minuten vergingen in einem rasanten Wirbel. Fünfzehn Mitspieler hatte der Quizmaster auf die Bühne geholt, die er rasch in fünf Gruppen aufteilte. Jede der Gruppen bestand aus einem älteren, einem jüngeren Herrn und einer Dame — diese Gruppen mußten nun gegeneinander kämpfen, manchmal alle zusammen, und manchmal wurde auch nur ein Vertreter jeder Gruppe herausgeholt.
Ich hatte befürchtet, daß Hans Ullrich Garden die Gelegenheit nutzen würde, um mich tüchtig zu zwiebeln. Aber in diesem Punkt hatte ich ihn, das muß ich ehrlich zugeben, völlig falsch eingeschätzt. Er behandelte jeden der Mitspieler ausgesprochen charmant — mich vielleicht noch ein wenig charmanter als die anderen. Schon als er mich dem Publikum vorstellte, hatte ich das Gefühl, daß er mir die Bälle zuwarf, und auch später, als es darum ging, die einzelnen Aufgaben zu lösen, hatte er eine Art zu sagen: »Und jetzt ist wieder einmal unsere kleine Studentin an der Reihe!«, die mir die Herzen des Publikums zufliegen ließ.
Die Aufgaben selbst waren nicht schwer. Wir Frauen mußten jede eine Scherzfrage beantworten, meine hieß: »Wer ist der größte Eisenfresser?«, und ich brauchte wirklich nicht zu überlegen, um auf die Lösung »Rost« zu kommen. Trotzdem tat ich dem Publikum den Gefallen, ein nachdenkliches Gesicht zu machen und mit der Lösung erst im letzten Augenblick herauszuplatzen — die Leute freuten sich, und das tat mir wohl. Ich schwamm sozusagen auf den Wogen der Publikumssympathie, die der Quizmaster für mich erweckt hatte — ein berauschendes und ein wenig unheimliches Gefühl.
Die jungen Herren mußten einen Wettkampf in einer Art kombinierten Sackhüpfens mit Eierlaufen ausüben, bei der nur ein einziger — der junge Herr meiner Gruppe — unbeschadet zum Ziel kam. Für jeden der älteren Herrn wurde eigens eine bombastische Bühnendekoration aufgebaut, und es galt zu raten, aus welchem Stück die stumme Szene, die in dieser Dekoration agiert wurde, stammte. Diese Aufgabe war die schwerste, und ich muß sagen, daß ich froh war, daß sie nicht mir gestellt wurde — ich fand nur drei der Lösungen heraus. Der Senior unserer Gruppe löste diese Aufgabe mit meisterhafter Fixigkeit.
Nachher mußten wir Damen noch jede einen Schlager zum besten geben. Text und Noten drückte uns Hans Ullrich Garden in die Hand. Wenn man mir vorher gesagt hätte, daß mir solch eine Aufgabe bevorstünde, wäre ich sicher vor Schreck fast gestorben. Meine Liebe zur Musik muß nämlich als eine sehr unglückliche bezeichnet werden. Ich singe zwar gern, aber — wie schon mein Musiklehrer mit Schaudern feststellte — leider völlig falsch. Zum Glück aber wurden unsere Darbietungen nicht etwa von Bert Bünger oder einer anderen musikalischen Kapazität beurteilt, sondern vom Publikum, das sich über meine falschen Töne vor Vergnügen förmlich kugelte. Gaby, die Assistentin des Quizmasters, maß bei meiner Darbietung siebenundneunzig Phon, und damit hatte ich drei Punkte, die höchstmögliche Zahl, errungen. Unsere Gruppe war eindeutig als Sieger aus den Wettkämpfen hervorgegangen. Alle anderen wurden mit Trostpreisen entlassen. Jetzt mußten nur noch wir drei um den Einzelsieg miteinander streiten.
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