Was kostet so ein Ding? Mir war übel zumute, als ich aufs Rad stieg und heimwärts rollte, während ich so überlegte.
Es war schon ziemlich spät, als ich unser Viertel erreichte. Die andern hatten sicher schon gegessen. Es würde also Krach geben. Ich hatte weder gesagt, wohin ich führe, noch, wann ich wieder da wäre. Außerdem war ich zu lange geblieben. Immer gibt es Spektakel, wenn ich später als halb acht nach Hause komme. Mit achtzehn Jahren noch so als Kind behandelt zu werden!
Bei uns zu Hause ist es unerfreulich. Sicher klingt das undankbar, denn manche haben es noch scheußlicher. Leute, die in Baracken wohnen oder noch nicht aus den Lagern heraus sind, wo viele, viele Menschen in einem Raum zusammenleben. Mir ist schon Vater zu viel. Heidi ist zu gut für ihn und hätte ihn nie nehmen sollen.
Sie hat es um seinetwillen getan. Er war so verstört und hilflos ohne Frau mit dem halbwüchsigen Sohn, daß er sich geradezu an Heidi klammerte wie an einen Rettungsring. Männer, die allein zurückbleiben, sind viel hilfloser als Frauen. Wenn ich mir vorstelle, Heidi und ich lebten für uns allein, hätten zwei hübsche Zimmer, und ich verdiente nun auch bald, das wäre viel schöner. Jetzt sind wir eine ,richtige Familie‘, Vater, Mutter, Sohn und Tochter – vielen Dank. Obwohl ich Axel in einer Art auch gern mag, zugegeben.
Vater nicht. Ich wünschte, er wäre Heidi nie begegnet. Heidi und ich wären uns allein viel näher geblieben.
Heidi ist sehr unternehmend. Sie hat Vater wieder in seinen Beruf gebracht; der Kollege, mit dem Vater jetzt arbeitet, ist ihr Bekannter. Ob Heidi das aus Selbstschutz vermittelte? Männer, die arbeitslos zu Hause sitzen, sind wohl schlimmer als alles andere. Axel hat mal erzählt, daß eine Frau, deren Mann ein paar Wochen Gefängnis bekam, unter Tränen bat, man sollte ihn doch im Winter einsperren. ,Ich habe noch einen Sohn, der ist auch Maurer wie mein Mann. Zwei Männer im Winter daheim zu haben, das ist mehr als eine Frau ertragen kann.‘
Axel lachte, als er das erzählte. Er muß mit anderen Studenten oft zu Verhandlungen und erzählt sehr lustig davon. Eigentlich dürfte man über so etwas nicht lachen.
Nun hat Vater schon wieder so viel Arbeit, daß Heidi ihm abends hilft, weil er es angeblich allein nicht schafft. Ich finde das jämmerlich. Ob er so geworden ist, weil seine Frau so viel tüchtiger und überall auch viel beliebter ist als er? Vater ist auch schrecklich eng in allen Seinen Ansichten.
Ich fuhr immer langsamer, um das Heimkommen so lange wie möglich hinauszuschieben. Ich dachte viel an diesem Abend über uns zu Hause nach.
Was noch nie passiert ist, seit Heidi Vater geheiratet hat: als ich heimkam, waren die beiden zusammen ausgegangen. Für mich lag ein Zettel da. Ich konnte gar nicht fassen, daß ich dieses Mal ungeschoren davonkam.
Dafür kam Axel. Eigentlich ist er jeden Abend auswärts, an diesem aber ausgerechnet nicht. Er fuhr sofort auf mich los.
„Du, meine Mappe ist weg. Hast du sie gehabt?“ Ohne ,Guten Abend‘ zu sagen! Ich war noch von der Angst vor dem verspäteten Heimkommen, von der Abwesenheit der Eltern und meiner Erleichterung darüber so verstört, daß ich keine Ausrede fand.
„Ja, ich habe sie gehabt. Aber. . .“
„Aber?“ fragte er drohend. Er kann etwas unerträglich Scharfes haben. Vielleicht wird er mal Staatsanwalt. So jedenfalls sind die Staatsanwälte immer im Film oder die Untersuchungsrichter. Ich weiß das nicht so genau. In zwei Minuten hatte ich alles zugegeben.
Axel wurde sehr böse. Die Mappe wäre fast neu gewesen, ich müßte sie ihm ersetzen. Wo ich mich denn herumgetrieben hätte?
Ich sagte nicht: an der Rennbahn. Ich wollte nicht. Es war ja nichts dabei, aber mitunter bin ich bockig. So antwortete ich:
„Bei einer aus meiner Klasse. Ich hab das Rad auf der Straße stehen lassen, und als ich wieder herunterkam, war die Mappe weg.“
Es gab einen richtigen Krach. Als er höhnisch fragte, bei welcher Freundin denn, fauchte ich zurück, das ginge ihn nichts an, und rannte in mein Zimmer. Er hörte sofort auf zu toben, und ich merkte, daß Schritte die Treppe heraufkamen: die Eltern. Ich verhielt mich mäuschenstill und merkwürdigerweise er auch. Ich hörte Heidi in die Küche gehen, Vater brauchte vielleicht noch einen Tee. Mit angehaltenem Atem stand ich an der Wand und horchte im Dunkeln. Nein, niemand rief nach mir. Sie nahmen wohl an, ich sei längst im Bett. Das war gut gegangen.
Ich zog mich im Finstern aus und ging ungewaschen zu Bett. Das tu’ ich nicht gern, und einschlafen konnte ich auch nicht. Nachts sieht alles immer viel schlimmer aus. Ich dachte und dachte im Kreis herum.
Das beste wäre, zu Heidi zu gehen und ihr alles zu erzählen. Heidi hat wenig Zeit für mich, aber wenn man sie einmal richtig schüttelt: ,Hör’ zu, ich brauche dich!‘, dann ist sie da. Sie ist handfest, vernünftig, sie kann lachen und weinen wie unsereins. Das können die meisten Erwachsenen nicht mehr. Aber, wie gesagt, es kann Wochen dauern, bis man sie mal allein sprechen kann. Ich wäre lange nicht so bockig und häßlich, wenn sich Heidi manchmal von sich aus etwas Zeit für mich nähme.
Vater ist anders. Er meint, älter sein ist das gleiche wie klüger sein und gibt sich sehr überlegen. Dabei ist er oft sehr unsicher. Ich kann seine Art nicht leiden. Einmal fragten die Bekannten, ob Heidi denn so gern berufstätig wäre, weil sie es auch jetzt noch bliebe, da er doch verdiente. Da setzte er eine hochmütige Miene auf und sagte: ,Adelheid ist gern im Beruf, überhaupt – ich kann nur sagen: Adelheid ist glücklich.‘ ,Durch mich‘, meinte er natürlich. Schon daß er für sie antwortete, fand ich anmaßend. Und dann erst das Wie. . .
All das saß wohl noch in mir, denn sonst wäre es vielleicht zu diesem Krach, der nun folgte, gar nicht gekommen. Es tut mir selbst leid, vor allem für Heidi.
Ich war Axel am Morgen erfolgreich entschlüpft. Gegen Abend suchte ich Heidi. Ich wollte mit ihr sprechen und ihr mein Pech erzählen. Sie war in der Küche, wo sie Kartoffeln in Scheiben schnippelte. Ich nahm ihr das Messer aus der Hånd und sagte:
„Du, Heidi, mir ist was Blödes passiert.“
„Ja? Augenblick mal –“ sie entzündete das Gas und stellte die Pfanne darauf. „In der Schule? Was denn?“
Jetzt oder nie, dachte ich! „Nicht in der Schule. Ich habe – –“
In diesem Augenblick sah Vater zur Tür herein.
„Hier bist du, Adelheid? Kannst du mal einen Augenblick. . .“
„Ja, warte, sofort. Gisa, würdest du bitte die Kartoffeln fertigbraten? Zwiebeln stehen dort links. Ich komme gleich wieder.“ Sie lief. – Immer läuft sie, wenn Vater winkt.
Ich war enttäuscht. Schwer genug war es mir gefallen, anzufangen, denn jeden Augenblick konnte Axel hereinplatzen. Bis dahin sollte Heidi es schon wissen. Ich wollte sie sozusagen bereits auf meiner Seite haben bis Axel nach Hause kam. Ich briet die Kartoffeln und wartete. Heidi kam nicht zurück. Ich drehte das Gas klein und ging in den Flur. Dort stand ich ein paar Minuten. Mit einem Entschluß trat ich an Vaters Zimmertür und klopfte.
Ich hatte das noch nie getan. Sehr erstaunt rief er: „Ja?“ Ich ging hinein. Was ich denn wolle, fragte er ungehalten.
Er und Heidi saßen am Tisch, den eine Menge Papiere bededkten. Nach ,Ich komme gleich wieder‘ sah das nicht aus. Ich wurde giftig.
„Die Bratkartoffeln sind fertig“, sagte ich. Es klang frech, ich gebe das zu. Vaters Gesicht rötete sich.
„Und?“
„Und Heidi wollte gleich wiederkommen. Ich möchte mit ihr sprechen.“
„Im Augenblick habe ich mit ihr zu sprechen,“ er betonte das ,ichʻ so, daß es bei mir einen Kurzschluß gab. Manchmal kann mir das passieren. Ich vergaß jegliche Rücksicht.
Schon wie er dasaß, den Arm auf Heidis Stuhllehne! In mir fing es an zu kochen. Was ich jetzt sagte war natürlich unverschämt, aber es ging mit mir durch.
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