Ben Redelings - Fußball ist nicht das Wichtigste im Leben – es ist das Einzige

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Den ganzen Tag nur Fußball! Morgens lässt sich Ben Redelings vom ehemaligen Torschützenkönig Klaus Fischer wecken, mittags schmökert er stundenlang in alten Ausgaben des «Kicker» und der «Sport Bild», und abends erinnert er sich mit Trainer Peter Neururer an die guten alten Zeiten.
Beneidenswert. Doch Redelings darf das. Es ist sein Beruf. Er schreibt, filmt und philosophiert über seinen Sport, ist «Fußball-Kulturschaffender in Vollzeit» (1Live). Sein Leben ist reich an spannenden Begegnungen, kuriosen Situationen und ganz viel Leidenschaft . Mittendrin: ein als Stadionwurst verkleideter Verkehrsrichter, ein fußballverrückter Kabarettist und ein hochsensibler Gladbach-Fan. Von all dem erzählt er in seinem Buch. Es ist eine Art Tagebuch, voller Skurrilitäten, Erinnerungen und Philosophien. «So authentisch, so präzise beobachtet und noch dazu so ungemein witzig hat seit Nick Hornby kaum einer über Fußball geschrieben.» (Frank Goosen, Kabarettist und Buchautor)

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Intelligent sieht das immer noch nicht aus, aber Burgsmüller hat sein Experiment ja auch noch nicht zum – im wahrsten Sinne des Wortes – finalen Schuss geführt. Noch bevor Burgsmüller überhaupt ein Bein an den von der Kamera fixierten Ball bekommt, sprintet Joachim Hopp wie ein gedopter 100-Meter-Läufer dazwischen und läuft einige Schritte weiter. „Mist“, schreit Manni Burgsmüller und rauft sich die Haare. Dann schüttelt er den Kopf. Doch das ist natürlich erneut nur hervorragend gespielt. Schließlich hat Burgsmüller endlich wieder den Bildschirm und die Aufmerksamkeit der Zuschauer ganz für sich alleine: „Wenn das bei nur einem Spieler läuft, wird es auch bei allen anderen funktionieren.“ Werbung kann so einfach sein.

Nadine ist längst im Laden. Vor einem knappen halben Jahr haben wir die irre Idee wahr gemacht und einen Fußballladen mit dem schönen Namen „Der Geist von Malente“ direkt neben dem Bochumer Schauspielhaus eröffnet. Am Anfang haben uns alle für bekloppt erklärt, aber mittlerweile sind die meisten nur noch begeistert. Vor allem Leute, die für einen Männergeburtstag verzweifelt ein Geschenk suchen, kommen in den Laden, legen einen Geldschein auf den Tisch und meinen zu Nadine: „Kannst du mir bitte dafür was Schönes zusammenstellen!“ Schenken leicht gemacht also. Für uns Männer eine echte Lebenshilfe.

Irgendwie habe ich heute keine Lust mehr zu arbeiten. Ich rufe Gerry an und frage, ab wann ich vorbeikommen kann. Ihm ist auch langweilig. Er ist Richter, und nach zwei anstrengenden Jahren zu Beginn seiner Laufbahn hat er es jetzt wohl ziemlich gut getroffen. Häufig meldet er sich schon um 15 Uhr auf der Couch liegend und nervt ein bisschen rum. Wenn ich gerade mit meinen Gedanken mitten in einer Arbeit bin, kann es schon einmal sein, dass ich ein wenig beleidigend werde. Gerry erzählt dann seiner Mutter immer, wir würden ihn wegen seiner geringen Arbeitszeit aufziehen. Was stimmt. Allerdings nur zum Teil. Denn wir ziehen ihn nicht nur wegen seiner geringen Arbeitszeit auf, sondern vor allem wegen der Art und Weise, wie er auf die Sticheleien wegen seiner geringen Arbeitszeit reagiert.

Dafür ist Gerry ein perfekter Gastgeber. Und so hat er neben die eisgekühlte Flasche Bier auch ein paar Schweinereien wie Chips und Schokolade auf den Tisch gepackt. Der andere Kollege, Wolle, ist auch schon da. Und weil es noch recht früh ist, frage ich Gerry, wie viel Bier er denn in den Kühlschrank gelegt habe. „Zwei für jeden“, entgegnet er, und ich schaue ihn entgeistert an. Es sind noch anderthalb Stunden bis zum Spiel. Ich sehe mich bereits in der herrlichen Mittagssonne auf Gerrys Balkon sitzen und an einem Glas Orangensaft nuckeln. Gerry faselt noch was davon, dass wir nachher im Stadion bestimmt wieder so viel pinkeln gehen müssen und dass das doch scheiße wäre, aber da ich ihn immer noch mit hochgezogenen Schultern und einem betroffenen Gesichtsausdruck anblicke, verzieht er sich schließlich doch in den Keller.

Wolle hat währenddessen genüsslich an seiner Zigarette gezogen und dem Gespräch nur grinsend beigewohnt. Bei ihm weiß man nie, was er überhaupt mitkriegt. Wolle ist so ziemlich alles egal. Er ist wahrscheinlich nicht umsonst Gladbach-Fan geworden. Ich meine, er hängt einer Mannschaft an, die ihre größten Erfolge in den fernen siebziger Jahren gefeiert hat. Da war Wolle gerade einmal geboren. Wenn ich ihn darauf anspreche, meint er immer: „Aber auch der Hans-Jörg Criens war nicht so schlecht.“ Nein, natürlich nicht. Aber richtig gut war der auch nie. Wolle macht es einem wirklich nicht leicht. Vor allem, weil er sein eigenes Leben und die Wirren der letzen Jahre so erbarmungslos mit dieser Graupentruppe vom Niederrhein verbindet. Insbesondere die Tiefs der altersschwachen Fohlenelf lassen sich wie tiefe Furchen auch in seinem Lebenslauf nachweisen. Wolle hatte 1999 ein ganz schlimmes Jahr. Gladbach stieg zum ersten Mal aus der Bundesliga ab, und er verlor nicht nur seine Freundin, sondern rasselte auch das zweite Mal durch die Abschlussprüfung seiner Ausbildung zum Bauzeichner. Nach Jahren mit vielen Niederschlägen, aber auch solch mutmachenden Erfolgen wie dem Pokalgewinn von 1995 hat Wolle nun sein inneres Gleichgewicht wiedergefunden. Und im Moment schaut es in seinem Leben und bei den Gladbachern auch ganz erfreulich aus. Im nächsten Frühjahr soll geheiratet werden. Würde mich nicht wundern, wenn Netzers Erben dann auch in die erste Liga aufstiegen.

Im Stadion laufen wir zuerst zum Bierstand und kaufen ausgelassen für 6,40 Euro jeder zwei eiskalte Pils im Plastikbecher. Kein guter Plan. Alle drei müssen wir tatsächlich noch einmal aufs Klo. Mit den Bieren in der rechten Hand öffnen wir schon beim Betreten der Örtlichkeiten mit der linken den Hosenschlitz. Innen sieht es aus wie immer. Der Boden ist klitschenass. Man könnte meinen, hier hätte gerade jemand frisch durchgewischt, und um mich ein wenig zu beruhigen, stelle ich mir auch genau das vor. Leider durchkreuzt der stechende Uringeruch und das laute Auflachen von Gerry meine angenehmen Gedanken: „Herrlich, hier hat einer erst einmal schön reingekotzt. Ich würde sagen: Schnitzel-Pommes zum Mittagessen.“

Mein Gott, wie langweilig kann Fußball sein. Mitten in die größte Tristesse hinein, quatscht mich eine Viertelstunde vor der Halbzeit von der Seite ein etwa vierzigjähriger Typ an, der meine VfL-Dokus gesehen hat. Meine Blase ist schon wieder bis oben hin gefüllt, doch ich will freundlich sein. Aufmerksam versuche ich seinen Sätzen zu folgen, verstehe aber irgendwie nur die Hälfte. Ich merke, dass ich langsam betrunken werde. Der Typ redet weiter. Auch als das 0:1 und kurz darauf das 1:1 fällt. Jubeln kann ich sowieso nicht mehr. Jede Bewegung tut mir weh. Das letzte Mal, als ich ähnliche Schmerzen hatte, war bei einem Schulausflug nach Prag. Ich sehe noch jede einzelne Stufe dieser endlos lang erscheinenden Treppen aus der U-Bahn heraus vor meinen Augen. Irgendwie habe ich es schließlich mit Unterstützung von Gerry nach oben geschafft, aber vor einem Bauzaun war endgültig Schluss gewesen. Dem größten Glücksgefühl meines Lebens folgte jedoch recht schnell die Ernüchterung. Zwei Männer in Uniform machten mich darauf aufmerksam, dass ich direkt vor dem Heiligen Wenzel urinierte. Ein paar D-Mark hatten damals wenigstens ein Teil des verletzten Nationalstolzes wiederherstellen können.

Ums Geld geht es auch bei dem Typen, der mich gerade nervt. Er erzählt, dass er die Schalke-Werbung für Gazprom macht und er am liebsten damit aufhören würde, „weil Blut an seinem Lohn kleben“ würde. Ich zucke zusammen. Scheint ein netter Kerl zu sein, denke ich. Und als er noch anfügt, dass fast täglich ein ehemaliger Nationaltorhüter betrunken in die Agentur käme, weil er mittlerweile für die Russen aktiv sei, vergesse ich für einen Moment fast mein körperliches Problem. Für Gazprom zu arbeiten, ist undenkbar. Aber für Gazprom und Schalke zugleich, das ist schier unvorstellbar.

Das Spiel gegen den 1. FC Nürnberg endet 3:3. Für uns ist aber noch nicht Schluss. Wir haben zugesagt, nachher noch an einem Fußball-Quiz teilzunehmen. Wenn ich so in die Runde schaue, dann kann das lustig werden. Wolle schnauft laut und redet etwas von einem Wasser, das er unbedingt jetzt erst einmal trinken müsse. Gerry hingegen hat Hunger. Wir beschließen, an der nächsten Bude ein Bier auf die Hand zu nehmen und dann Richtung Stadt zu laufen. Mittlerweile hat sich Thomas zu uns gesellt, und da er meint, er müsse ein wenig aufholen, kauft er sich gleich zwei Flaschen und trinkt die erste auf Ex. Ein unappetitlicher Anblick. Mir wird schwindelig, und für einen Moment zieht sich mein Magen zusammen. Ich stoße auf. Gerry findet das lustig.

In der Kneipe sitzen schon die ersten Quizkandidaten an den Tischen. Die meisten waren auch im Stadion und wirken ebenfalls nicht mehr ganz frisch. Ein beruhigendes Gefühl, denke ich und grinse zufrieden in die Runde. Doch schon Sekunden später hat sich das wieder erledigt. Ein junger Kollege, den ich von den Pressekonferenzen beim VfL kenne, klopft mir auf die Schulter: „Na, schon ein bisschen den Punkt gefeiert?“

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