„Wir haben gar nicht mehr über unseren VfL am Freitag geredet. Sollte man am besten kein Wort drüber verlieren, was?!“
„Nein“, sage ich und weise höflich darauf hin, dass wir Besuch haben und ich mich um diesen kümmern müsse. „In dem Sinne“, füge ich leise hinzu und lege auf. Mit dem Hörer noch am Ohr laufe ich an Hermann und Nadine vorbei, deute auf das wichtige Gespräch, das ich angeblich noch nicht beendet habe, und verschwinde im Arbeitszimmer. Bei dem Bürokratenkram kann ich eh nicht helfen.
Ein Kollege vom „Reviersport“ hat eine Mail geschrieben. Vor ein paar Tagen hatte er mich nach der Nummer von Wolf-Dieter Ahlenfelder gefragt. Er soll im Januar bei einem Hallenturnier der alten Recken von einigen Ruhrgebietsvereinen pfeifen. Ich hatte den beliebtesten Schiedsrichter der achtziger Jahre für ein Magazin und meine Dokumentation „Die 11 des VfL“ vor ein paar Monaten interviewt. Eine mehr als seltsame Begegnung war das damals. Bei der ersten Verabredung hatte Ahlenfelder nicht aufgemacht, den zweiten Termin kurzfristig abgesagt, und erst beim dritten Mal war es dann endlich so weit: Die Tür öffnet sich. Vor mir steht eine deutsche Schiedsrichter-Legende – in kurzen Shorts, ausgetretenen Hausschlappen und mit freiem Oberkörper. In dem Moment dachte ich nur: Junge, was für ein herrlicher Vormittag liegt da vor dir. Und es wurden tatsächlich richtig schöne Stunden mit vielen Anekdoten und lustigen Geschichten. Zum Abschied hat Ahlenfelder mir dann noch eines seiner Original-Trikots aus den Achtzigern geschenkt. Ich war selig und dachte, alles wäre gut. Bis mich ein paar Wochen später der Fotograf des Magazins aufgeregt anrief: „Der Ahlenfelder meint, er kenne dich nicht. Du wärest nie bei ihm gewesen. Ich komme da jetzt nicht rein. Am besten du meldest dich mal bei ihm.“
Ahlenfelder wirkte tatsächlich etwas verwirrt. Natürlich kenne er mich, wir hätten ja schon einmal eine Veranstaltung zusammen gemacht (was stimmte, ein paar Monate zuvor bei der Weltmeisterschaft), aber an diesem Vormittag wäre ich nicht bei ihm gewesen: „Du warst doch noch nie hier bei mir zu Hause. Das wüsste ich doch!“ Nachdem ich meine anfängliche Verunsicherung abgelegt und die Einrichtung seiner Wohnung ebenso ausführlich beschrieben hatte wie den Inhalt unseres damaligen Gesprächs, schlussfolgerte ich etwas ernüchtert: „Dann kann ich die Geschichte nicht machen, Wolf-Dieter. Das geht doch nicht, wenn du dich nicht erinnerst.“
„Quatsch“, erwiderte mit fester Stimme am anderen Ende der Leitung einer der besten Schiedsrichter, die je in der Bundesliga gepfiffen haben, „egal was der Ahlenfelder gesagt hat, er steht dazu. Mach die Geschichte, Junge, und fertig!“
Die Haare zwischen den Zähnen eines Bayern-Stars
Drei Flaschen Bier hatte ich gestern Abend, und wie immer hat das schon ausgereicht, meine Nacht gegen vier Uhr quasi zu beenden. Ich leide an einer ganz schweren Krankheit. Keine Ahnung, was es genau ist, aber auf jeden Fall keine Sache, die man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Im Internet finde ich leider nichts darüber. Ansonsten komme ich dort als geborener Hypochonder meist schnell an meine Informationen. Ich vermute ja persönlich etwas mit dem Schlafhormon Melatonin. Das erzähle ich auch überall herum und hoffe auf besorgte Reaktionen meiner Mitmenschen, aber irgendwie ist bisher nur eine Cousine dritten Grades darauf eingegangen. Die ist Apothekerin und meinte, das könnte man auch als künstliche Dosis einnehmen. Wäre in Deutschland zwar nicht legal, weil man die Folgen noch nicht abschließend beurteilen könnte, aber bei Schlafmangel nicht unüblich. Sie könne das Zeug besorgen. Unter der Ladentheke selbstverständlich. Also durchaus mal einen Gedanken wert.
Neulich las ich zudem etwas von Schilddrüsenproblemen, die zu diesem abrupten Schlafabbruch führen könnten. In jedem Fall eine mehr als besorgniserregende Sache und verdammt blöde. Seitdem ich diesen Mist habe, muss ich mir vor dem Konsum von zwei Flaschen Bier nämlich nicht mehr nur im Klaren darüber sein, dass mein Leibesumfang beständig wächst, sondern auch, dass die Nacht bereits nach drei, vier Stunden Schlaf beendet ist. Eine Vorstellung, die ich immer wieder auszublenden versuche. Vor allem an Tagen wie diesen, wo ich übermüdet aufstehe und weiß, dass ich bereits in weniger als sechs Stunden wieder ein Bier in der Hand haben werde.
Als ich so daliege, habe ich genug Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, dass sich der „Kicker“ seit Tagen nicht mehr bei mir gemeldet hat. Anderthalb Monate ist das jetzt schon her, dass ich denen unseren kleinen Pilotfilm von Scudetto als TV-Sendung geschickt habe. Und eigentlich waren sie auch ganz begeistert. Wenigstens hatte der Online-Chef das gesagt. Doch sie müssten sich jetzt erst einmal darum kümmern, die Gesamtplanung für das Thema Video bei ihnen voranzutreiben. Eine schöne siebenstellige Summe müsse man gegenfinanzieren. Das würde sicher etwas dauern, hatte der nette Mann vom „Kicker“ gesagt.
Kein Problem, dachte ich damals. Doch nun bin ich verunsichert. Seit ein paar Tagen meldet sich niemand mehr zurück. Und da ich mittlerweile bereits auf die dritte Mail keine Antwort erhalten habe, ist es eigentlich keine Verunsicherung mehr, sondern zunehmend fast schon Zorn. Es kann nicht wirklich so schwer sein, ein paar Worte zurückzuschreiben, oder? Also was steckt dann hinter der anhaltenden Stille aus Nürnberg? Finden sie die Idee etwa doch nicht so gut? Quatsch. Das Konzept ist klasse. Und jetzt höre ich auf der Stelle damit auf, mir einen Kopf über die Sache zu machen. Der Wecker hat eh schon geklingelt. Zeit also, Nadine durch das Hochstemmen der quietschenden Rollläden und durch offensives Zeitunglesen wachzumachen. Wie erwartet, ist sie wenig begeistert von meinem Aktionismus und zieht demonstrativ die Decke über den Kopf.
Am Rechner checke ich die Mails und wende mich dann meinem Blog zu. Einen Beitrag pro Tag versuche ich möglichst zu veröffentlichen. Ich schaue meine Sammlung an Videos durch und bleibe erneut bei einem Werk des KFC Uerdingen hängen. Ein echter Kracher, aber irgendwie schon eigenartig, dass gerade dieser Verein in letzter Zeit wieder so gehäuft in mein Leben geplatzt ist. In den neunziger Jahren scheinen die ein ganz pfiffiges Werbeteam im Hintergrund gehabt zu haben. Während ich gerade das Video hochlade, ruft Gerry an. Von ihm aus können wir gerne bei diesem herrlichen Wetter schon vor dem Spiel auf seinem Balkon ein Bier trinken. Draußen strahlt die Sonne von einem wolkenlosen Himmel herunter. Von mir aus auch, sage ich und merke, wie ich bei dem Gedanken an ein kühles Bier die Müdigkeit aus meinen Knochen schüttele.
Das Werbevideo des KFC hat es in sich. Manni Burgsmüller, der Mann, der nach Frank Mill in den achtziger Jahren seinen Po am schönsten in die Weichteile des Gegners schieben konnte, hat von seiner blonden Lockenpracht immer noch nichts eingebüßt. Er steht an einem sonnigen Herbsttag vor dem Grotenburg-Stadion und spricht völlig ohne Selbstzweifel folgende Sätze in sein Mikrofon: „Hallo, ich bin der Manni Burgsmüller. Ich werde Ihnen jetzt mal zeigen, warum wir beim KFC einen Sponsor brauchen.“ Von der Seite kommt ein debil dreinblickender junger Mann im Trikot des KFC ins Bild. Es ist der ehemalige Bundesligaprofi Joachim Hopp. „Das ist der Joachim“, sagt Manni Burgsmüller und klopft dem Joachim sehr gutmütig auf die Schulter. „Joachim hat keinen Sponsor.“ Hopp schaut nicht mehr debil, sondern nur noch blöd in die Kamera. Burgsmüller schnappt sich einen Ball, schießt ihn Joachim Hopp durch die Beine und sagt mit einer Leichenmiene: „Schaut euch das mal an!“ Beide wirken frustriert und völlig am Ende. Doch Burgsmüller schaltet schnell und klebt Hopp ein Schild auf sein Trikot: „Und jetzt bekommt der Joachim einen ‚reichen Sponsor’.“ Joachim Hopp strahlt mit der untergehenden Herbstsonne um die Wette.
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