»Voll auf die Zwölf«, erwidere ich. Sie guckt ratlos. Ich fand’s komisch.
Aber ich sehe halt auch nicht komisch aus.
Das hat mir schon mal jemand gesagt: eine junge Hip-Hopperin, die mal mit mir zusammen auf einer kleinen Lesebühne in Schöneberg eingeladen war. Ich kam von der Bühne zurück, und sie sagte mit erschüttertem Gesicht: »Das war komisch. Du siehst gar nicht aus, als ob du komisch bist.«
Grundsätzlich mag ich es sehr gerne, nicht genau in irgendwelche Schubladen zu passen, und kann über solche Sätze dann sehr schmunzeln.
Aber in letzter Zeit wird mir irgendwie ständig gesagt, wie und wonach ich aussehe – oder eben nicht.
Vor ein paar Tagen zum Beispiel habe ich bei Karstadt einen Besteckkasten gekauft. Das Ding war in einem großen Karton verpackt, und nein, ich wollte natürlich keine Tüte. Der Azubi an der Kasse – um die zwanzig, Vollbart, Gangsterrapperblick und tiefe Stimme – sagte: »Na, dann auf Wiedersehen. Und, äh, viel Freude damit.«
Das hatte man ihm wohl so beigebracht, es kam allerdings noch nicht so richtig authentisch rüber. Ich fragte mich auch, was sich ein zwanzigjähriger Mann wohl darunter vorstellt, wenn ich viel Freude habe. Mit einem Besteckkasten.
Ich fragte ihn, ob ich nicht so einen »Bezahlt«-Aufkleber bräuchte, wenn ich jetzt mit dem Ding aus dem Laden spaziere, darauf er: »Ach Quaaatsch. Sie sehen doch nu echt nich’ aus, als ob sie klauen, Mann. Bei mir wär’ das schon anders, aber so …«, dabei machte er eine unbestimmte Handbewegung von oben nach unten, die vermutlich auf mich als Gesamterscheinung hinweisen sollte.
Ich bin mir ganz sicher, er hat das nett gemeint. Dennoch war ich total knurrig, als ich den Laden dann tatsächlich unbehelligt verlassen hatte.
Es ist eine alte Wunde. Seit meiner Grundschulzeit geht mir das so, dass mich alle für harmlos halten. Eine Reißzwecke auf dem Lehrerstuhl, Fenster mit Tusche bemalt oder Stinkmorchel hinter der Tafel versteckt: Selbst wenn ich ein Vergehen beichtete und die Schuld unumwunden auf mich nahm, lächelten die Lehrerinnen und sagten: »Das ist ja lieb, Susanne, dass du den Schuldigen schützen willst, aber so einfach dürfen wir ihn nicht davonkommen lassen.«
Wie gerne würde ich einmal so aussehen, als ob ich klaue.
Aber jetzt spielt allmählich auch noch das Alter gegen mich, scheint mir.
Bei einem Hautarzt letzte Woche gab es auch so einen Moment. Ich zeigte ihm einen kleinen Hautausschlag an den Unterarmen, der mich seit ein paar Tagen plagte, und lauschte doch sehr gebannt, als er spontan von Syphilis und anderen Geschlechtskrankheiten redete, ob ich denn häufig wechselnde Sexualpartner … In diesem Moment sah er zu mir auf, unterbrach sich und sagte milde, während er andeutungsweise meine Hand tätschelte: »Entschuldigung. Geschlechtskrankheiten können wir wohl sicher ausschließen.« – Hallo?!
Nein, ich bin wirklich nicht scharf auf derlei Diagnosen – aber ist es zu viel verlangt, dass ich wenigstens infrage kommen will?!
Ich beginne zu ahnen: Die Diskriminierung des Alters hat viele Gesichter.
Es war nicht mein Tag.
Am Ende musste ich mir dann auch noch Blut abnehmen lassen. Um die Arzthelferin darauf vorzubereiten, dass ich Schwierigkeiten mit Spritzen habe, sagte ich vorneweg: »Ich gehöre zu den Ängstlichen, nicht dass Sie sich wundern.«
Ernst sah sie mich an, betrachtete mich von oben bis unten, zwinkerte mir dann verwegen zu und sagte: »Echt? Sie sehen gar nicht so aus.«
Und dafür hätte ich sie in dem Moment wirklich küssen können.
Wenn jemand einen Föhn kriegt, dann ist das eine umgangssprachliche Formulierung für »verrückt werden, zu viel kriegen«. Hintergrund ist wohl, dass der Föhnwind aus dem Alpenvorland im Ruf steht, wettersensiblen Menschen physisch wie psychisch sehr zuzusetzen.
Ich denke darüber nach, weil ich gerade eben bei Saturn war und einen Mitarbeiter am Eingang fragte: »Entschuldigung, kriege ich bei Ihnen einen Föhn?«
Er hat mit »Ja« geantwortet, und egal wie er die Frage interpretiert hat, in jedem Fall recht behalten, denn in Elektrofachgeschäften kriege ich eigentlich immer einen Föhn. Das ist wie mit Flughäfen, es gibt Orte, die machen mich unter Garantie wahnsinnig.
Ich habe vor vielen Jahren, als ich eine Zeit lang auf Amrum wohnte, mal in einem Supermarkt gestanden und einen jungen Mann, der gerade Regale einräumte, um Auskunft gebeten. Ich erinnere mich noch sehr genau an meinen Satz: »Entschuldigen Sie, wo sind bei Ihnen die Eier?« Und daran, dass ich sofort rot wurde und verzweifelt versuchte, den peinlichen Moment zu überspielen. Auch der Verkäufer wurde rot, aber letztlich schafften wir es beide, so zu tun, als hätte ich eine ganz normale Frage gestellt. Also: »Entschuldigen Sie, wo sind bei Ihnen die Eier?«
Erst als er antwortete: »Hinten …«, war nichts mehr zu retten, und ich musste mich sehr schnell abwenden, um das aufsteigende Glucksen niederzuringen.
Leider ohne Erfolg.
Ich bin dann lange woanders einkaufen gegangen.
Eine echte Herausforderung stellen mitunter auch Bäckereibesuche dar. In Suderburg auf dem Weg zum Bahnhof hörte ich mich neulich sagen: »Ich hätte gerne einen Goldjungen, bitte!« Ich dachte im selben Moment: Wollen wir das nicht alle? Aber so hießen die Schrippen da halt, und »Schrippe« hätte wieder keiner verstanden. Im Kopf wiederholte ich den Satz, er wurde davon nicht weniger grotesk. Damit könntest du auch zu einer Kinderwunschpraxis gehen, dachte ich. Oder ein Inserat aufgeben: »Ich hätte gerne einen Goldjungen, bitte.« Würde mich schon interessieren, wer sich da so meldet.
Noch schwerer fiel es mir jüngst in Warnemünde, bei der Bäckerei meine Brötchenbestellung aufzugeben und um »drei scharfe Segler« zu bitten. Irgendwie erschien mir das so … maßlos .
Und mal ehrlich, warum sind die knackigen Sachen eigentlich immer Kerle? Schusterjungen, Goldjungen, scharfe Segler, Weltmeister … und daneben? Die süße Schnecke und die Sahneschnitte. Wenn wir also schon dabei sind, Gedichte von den Häuserwänden zu kratzen, könnten wir eigentlich auch gleich mal in den Backstuben vorbeischauen.
Aber in letzter Zeit gibt es ja eh den Trend, das Brot selber zu backen, statt es schnöde im Laden zu erstehen. Ich jedenfalls habe solche Freundinnen, solche, die kurz vor der Party, wenn ich mit nassen Haaren und halb geschminkt zwischen Geschirrspüler und Wäsche aufhängen hektisch die Schleife ums Geschenk zurre und nicht weiß, was ich anziehen soll, anrufen und Sätze sagen wie: »Ach, ich bin dann fertig. Und ich hab noch eben ein Brot gebacken, hatte ich irgendwie Lust zu, bring ich fürs Büfett mit.«
Sätze wie dieser machen mich ehrfürchtig. Noch eben ein Brot gebacken. Lust! Ich bin mehr so die, die noch eben im Späti eine Tüte Chips kauft, weil sie mal wieder vergessen hat, dass man was fürs Büfett mitbringen soll.
Ich bin im Moment sowieso derart vergesslich, dass ich schon überlegt habe, mal zu so einer Gedächtnissprechstunde zu gehen und einen Test zu machen. Der kürzeste Dialog zu diesem Thema fand neulich zwischen meiner Freundin Tine und mir statt:
Sie: »Und, hast du inzwischen den Termin in der Gedächtnissprechstunde gemacht?«
Ich: »Nein, habe ich vergessen.«
Aber das ist eine andere Geschichte.
Da man sich den eigenen Dämonen ja hin und wieder stellen muss, bin ich das Brotbackthema mal aktiv angegangen. So schwer kann das nicht sein, dachte ich mir in einer optimistischen Stunde. Also: Feinstes Biovollkorndinkelmehl, Buchweizenmehl, Sonnenblumenkerne, Hefe, ayurvedisches Himalayasalz – alles besorgt. Und gebacken, was das Zeug hielt. Und wofür? Dafür, dass mein Sohn nach dem ersten Bissen beim Frühstück erst lange schwieg und dann fragte: »Sag mal, wie hieß noch mal dieser Terry-Pratchett-Roman mit dem kriegerischen Zwergenvolk?«
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