Schreibe zurück, dass ich das auch mal probieren werde. »Grips braucht schließlich keiner«, schreibe ich. »Aber jetzt muss ich schlafen, morgen ruft Spanien wieder.«
Na dann. Gute Nacht, Marie.
Es gibt ja so Sätze, bei denen man einen Moment braucht, bis man weiß, was man darauf erwidern soll. Manchmal fällt es einem auch erst ein, wenn der Betreffende längst schon wieder weg ist, so geht es mir jedenfalls oft.
Letzte Woche beispielsweise habe ich von einem Kollegen eine Blume geschenkt bekommen. Also – fast. Er sagte wörtlich: »Susanne, … ich wollte dir eine Blume zum Abschied schenken. Es wäre eine Calla gewesen, meine Lieblingsblume, … aber dann war es schon so spät.«
Was sagt man da? Danke?! Ich glaube, ich habe »Danke« gesagt.
Ein anderer Kollege erzählte mir ganz unvermittelt von den Vorbereitungen auf seine anstehende Darmspiegelung. Es war noch nicht mal 8 Uhr, ich hatte mir eigentlich nur einen Kaffee holen wollen, seine Tür stand auf, und nun stand ich da in diesem Türrahmen, erwiderte was in der Art von »Ja blöd, dieses ganze Zeug vorher trinken, das macht wirklich keinen Spaß« und wandte mich zum Weitergehen. Doch da hielt er mich zurück. Leise schloss er die Tür hinter uns, sah mir tief in die Augen und sagte nach einer bedeutungsvollen Pause: »Ich habe dann immer solche Schwierigkeiten mit dem Stuhlgang.«
Ich bin Sozialarbeiterin, ich kenne seltsame Gespräche, schon von Berufs wegen – aber Sätze wie dieser überfordern mich. Mein Fluchtinstinkt meldet sich dann, und mir fallen höchstens blödsinnige Antworten ein. In diesem Fall war es: »Na, dann … guten Rutsch!« Was soll man auch sagen?
Erfrischend ist es dann, wenn man statt verstörender Botschaften einfach mal unerwartete Antworten bekommt. Wenn man zum Beispiel eine Kollegin fragt, wie es ihr geht, und sie antwortet mit dem Satz:
»Ich habe ein Perlhuhn getöpfert!«
Meine Kollegin Christa ist aus der Reha zurück und heute den ersten Tag wieder da. Ich freue mich wie Bolle, denn wenn Christa nicht da ist, fehlt mir ihr Lachen, meine Mundwinkel hängen ganz von allein zwei Grad tiefer, auf den Fluren ist es gefühlt zwei Grad kälter und vor allem um einiges langweiliger. Mit niemand anderem berede ich Episoden und Eskapaden, Lokalpolitik und Lotterleben so gerne wie mit Christa. Mit ihr kann man Sorgen teilen, tief schürfen, über Flachwitze lachen und in Sitzungen Grissini rauchen, wenn die nächste Zigarettenpause noch zu lange hin ist.
Christa ist empathisch, bis der Arzt kommt, und die Güte in Person. Wäre die Firma Raumschiff Enterprise , Christa wäre Counselor Troi.
Empathinnen haben es gemeinhin nicht leicht im Leben, deshalb habe ich mich sehr gefreut, als Christa sich die Zeit für eine Reha genommen und sich zur Abwechslung mal ein bisschen um sich selbst gekümmert hat. Nun ist sie zurück, und ich frage:
»Hey Christa, wie geht es dir, hattest du eine gute Zeit?«
Und sie antwortet mit zusammengekniffenen Augen und fester Stimme: »Ich habe ein Perlhuhn getöpfert!«
»Du hast was?«
»Ich habe ein Perlhuhn getöpfert!«
»Du hast ein Perlhuhn getöpfert.«
»Ja. Aus Rache.«
An dieser Stelle ist meine Neugier endgültig geweckt.
Es war rund um den Muttertag, erzählt sie dann, dass sie im Freizeitprogramm der Reha-Klinik das Töpfern für sich entdeckt hat und die folgenden drei Wochen Tag um Tag und voller Freude töpferte, was das Zeug hielt.
»Meine Kinder sind endlich groß, Susanne, verstehst du?«, sagt sie eindringlich und legt eine Hand auf meinen Unterarm: »Es ist an der Zeit!«
Als ich immer noch verwirrt schaue, sagt sie:
»All die Jahre, die ich mich freuen musste über selbst gemalte Bilder und all das getöpferte Zeug, von dem man nicht mal wusste, was es darstellen soll! Und immer musstest du alles geben und dich freuen und sagen: ›O wie toll, das hast du aber ganz schön gemacht, Liebling!‹, und dachtest eigentlich nur: ›Wohin jetzt wieder mit dem Scheiß?‹«
Ich denke nach. Und ja, ich teile diese Erfahrung. In meinem Nachttisch habe ich eine extra Schublade für so was, ganz unten. Hier finden sich laminierte Tuschebilder aus der Kita, mit Autos bestickte Lesezeichen, mit Reis gefüllte Polyestertiere und Schlüsselanhänger aus neonfarbenen Bügelperlen … – die Muttertagsschublade.
»Ich habe für alle Kinder was getöpfert«, sagt Christa, »und sie dann dabei beobachtet, wie sie sich freuen mussten!« Ein Sohn habe einen Stiftebehälter bekommen mit einem modellierten Seestern darauf, der andere eine Art Schale, und Sohn Nr. 3 – da wisse sie auch nicht so genau, was es sein sollte. Während sie erzählt, blitzt es in ihren Augen. »Susanne«, sagt sie und nimmt meine Hand: »Ab heute wird zurückgetöpfert!«
Mich ergreift tiefe Ehrfurcht.
Nur das Perlhuhn – das hat sie behalten. Es steht auf dem Regal in ihrem Büro und soll ihr fortan eine Erinnerungsstütze sein. Und mir eine Mahnung, mich lieber nie, niemals mit Christa anzulegen.
Oh Gott, das kann der Wecker doch nicht ernst meinen. Schwer liegt die Dunkelheit über der Stadt, schwer liegt mein Körper auf der Matratze, schwer liegt mein Kopf auf seinem Kissen und ist in keiner Weise bereit, sich von ihm zu trennen.
Das war aber auch eine blöde Idee reinzufeiern. Mitten in der Woche.
Nur noch mal kurz die Augen zumachen …
»Mum, aufstehen! Wir haben verschlafen!«, ist das nächste, was ich höre. Mist. Ich springe aus dem Bett, ziehe mir schnell irgendwas an, verabschiede Sohn 1 und Sohn 2 und wache eigentlich erst auf, als ich vor dem Kühlschrank stehe und die Zahnpasta suche. Kaffee. Gebt mir Kaffee.
Aber dafür ist jetzt keine Zeit mehr. Hastig greife ich meinen Rucksack und stürze zur Tür hinaus.
Frische Luft ist ein Anfang. An der Bushaltestelle nutze ich die Wartezeit zum Schminken. Bei den Augenringen heute dauert das eine Weile, aber auf den 186er ist Verlass, der kommt nie, wann er soll, da hat man immer genug Zeit zum Schminken. Immer wenn ich den Slogan der BVG lese: »Weil wir Dich lieben«, denke ich: Ach ja, vielleicht kann sie es einfach nicht so zeigen ? Und dann versuche ich, meine Antennen auf empfänglich zu polen, damit ich diese scheue Liebe nicht verpasse.
Gestern vor der Feier bin ich extra noch in der Drogerie gewesen, neue Wimperntusche besorgen. Das Betrachten der Regale dort ist für mich inzwischen wie das Stöbern in einem Satiremagazin. Die neuesten Trends: Unisex-Nude-Make-up. Also Schminke, die einen aussehen lässt, als wäre man einfach blass und ungeschminkt. Toll.
Und dann noch unisex, kann also auch bedenkenlos von Männern genutzt werden. Huh. Wenn da mal nicht ein Hauch von Revolution in der Luft liegt! Wenn das nicht explizit draufstünde, würde vermutlich nie ein Mann wagen, den Puder mal auszuprobieren, weil er Angst hätte, sich sofort in eine Frau zu verwandeln. Das ist wie mit diesen Einmalrasierern. Frauen kaufen lieber die doppelt so teuren mit dem rosa Griff, weil die extra für Frauen sind. Und weil das Unterbewusstsein irgendwie die Vorstellung hat, dass in dem Moment, wo man die blauen benutzt, sofort Bartwuchs einsetzt. Versteh, wer will.
In der Ecke mit der Wimperntusche stand gestern zudem ein riesiges Schild mit dem Schriftzug: »Jetzt neu: mit Shake-Shake-Technologie!« Ich war neugierig. Und im Ernst, es handelt sich um Wimperntusche, bei der man die Flasche schütteln kann, wenn die Farbe ein wenig eingetrocknet ist. Sensationell! Am Ende erfinden sie noch eine Zahnpasta mit Quetsch-Quetsch-Technologie. Aber dafür ist die Zeit vielleicht noch nicht reif.
Als der Bus endlich kommt und sich wenig später mit Schmackes in die Kurve von der Birkbuschstraße zum Wolfensteindamm legt, meldet sich mein Magen. Es war doch ein bisschen viel Sekt gestern. Man könnte sagen, mir steckt noch der Mumm in den Knochen.
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