„Und durch den Übergang dieser ehemals ungarischen Waldungen in Jugoslawien sind wohl auch manche Schwierigkeiten entstanden?” forschte nach kurzem Schweigen unvermittelt der Agent.
„Herrgott — ja freilich!” Der junge Mann wurde ärgerlich. „Warum fragen Sie mir denn heut’ eigentlich ein Loch in den Leib, Baron? Lassen Sie doch die faden Hölzer! Was geht denn das Sie an! . . . Aha . . .” Er machte halt. „Da ist’s beim Simmerl! . . . Ah — da schau her! Das lass ich mir schon gefallen!”
Die beiden standen zwischen Herbstfäden und den letzten Astern und verrotteten Dungstücken auf der leeren Wiese vor dem Gütl und musterten es prüfend. Die Bauersleut’ waren drinnen im Haus. Der Simmerl-Vater warf durch das kleine Fenster einen unheimlichen Blick auf die zwei Schildwachen draussen vor seinem Hab und Gut, murmelte etwas in die zahnlosen Kiefer, rappelte sich von der Ofenbank und winkte dem Beni, ihm zu folgen. Er humpelte ihm voraus in die Holzlege hinter dem Anwesen. Dort standen die mächtigen, viereckigen Grabscheite, die man zum Abstechen des Torfs brauchte. Mit ihnen bewaffneten sich Vater und Sohn und traten vor das Haus. Der Alte schwang den Spaten mit einer Kraft in den Armmuskeln, die der verhutzelte und bucklige, kleine Körper infolge jahrzehntelanger Gewohnheit noch hergab.
„Fort, ihr Sauköpf’!” keuchte er. „Ich sag’s mit allem Anstand, eh’ dass ich deutlich werd’!”
Im nächsten Augenblick flüchtete der Güteragent, auf den es der Beni abgesehen hatte, keuchend über die Wiesen. Er kümmerte sich nicht darum, dass ihm eine Galosche in einem Sumpfloch stecken blieb. Er legte hundert Laufschritte zwischen sich und Vater und Sohn dort drüben. Der Wind wehte ihm um die Ohren, und im Rauschen vernahm er von fern die laute, phlegmatische Stimme seines Kunden, des Herrn Liborius Kürbl, Privatmann aus München.
„Wohin denn, Baron? Schenken’s uns doch weiter die Ehr’!”
Der nervöse, ältliche, vom Leben schon hart mitgenommene Herr von Pfeidt wagte es, sich umzudrehen. Gleich darauf klemmte er sich, ungläubig den Zwicker in das scharfgeschnittene, aristokratische Gesicht.
Der Beni drüben — hatte, nach seiner Gemütsart, nachdem sein Widersacher vertrieben war, den Grabstichel an die Hauswand gelehnt. Aber sein Vater, der Filzensimmerl, stand, den riesigen Spaten, dessen Wucht durch den Filzhut hindurch die Kopfschwarte bis auf die Knochenhaut und tiefer spalten konnte, in den erhobenen, mächtigen Arbeitsfäusten, und vor ihm befand sich völlig gleichgültig, die Hände in den Manteltaschen, die Zigarre schief im Mundwinkel, der aus München.
Auf seinem verwöhnten, weichlichen Gesicht regte sich nichts. Nur in den kleinen, dunklen Augen war ein kalter, fast grausamer Schein, mit dem er den alten Gütler vor sich richtig lähmte.
„Benehmen Sie sich nicht so deliktisch, Herr Nachbar!” sagte er zu ihm. „Was schaffen’s denn auf Ihre alten Täg’ im Zuchthaus? Und wie wollen Sie sich einmal vorm Herrgott rechtfertigen, dass Sie einen guten, christkatholischen Mitmenschen für nix und wieder nix umgebracht haben? Das wär’ im Jenseits schon inkommod für Sie! Also seien’s stad!”
Langsam, hilflos liess der Alte den Spaten sinken. Es zitterte wie ein Greinen um seine eingefallenen Lippen. Der andere betrachtete ihn kaltblütig.
„Also ich steiger’ morgen das Häusel ein”, rief er laut und seelenruhig zu dem Agenten hinüber. „Gleich, was es kostet! Gute Nacht beisammen, ihr Leut’! . . . Was machen Sie denn für ein Gesicht, Baron?”
„. . . wo Sie eben knapp dem Tod entgangen sind!” Herr von Pfeidt schluckte noch in der Erinnerung.
„Dass ich nicht lach’!” Der Liborius Kürbl aus München blieb stehen und zündete sich eine neue Zigarre an. „Man muss bloss dem anderen in die Augen sehen. Da spannt man leicht, ob so ein ungeübter Mensch wirklich zuschlagen will. Hätt’ ich immer noch ihn anspringen können, und der Schlag wäre über mich weg hinten ’raus gegangen. Aber jetzt dürfen wir schauen, dass wir nach Stoissham kommen. Ich hab’ einen Mordshunger!”
Die Dorfschenke „Zum Alten Wirt” war eine rechte ländliche. Schon ganz einfach. Die schwarze, junge Wirtsmarei wollte den beiden Herrischen aus München einen Tisch in der einzigen Gaststube richten. Da schlurfte der Ägid, der Wirt, selbst heran. Er raunte:
„Ich hab’ ja Stuben oben! Lassen’s Ihnen lieber von der Marei die Kalbshaxen und ’s Bier da ’nauf bringen! Warum? Ja schauen’s doch, wie die Leut’ von allen Tischen auf Sie hergucken! Da hockt der Kreuzpointner mit seinem Anhang — und da drüben der Bacherlvater — hat weisse Haar’ — aber trau’ einer dem alten Haberer — und dort — wissen’s: Sie haben schon am Nachmittag im Dorf gesagt, morgen um die Zeit gehörte das Simmerl-Anwesen unter allen Umständen Ihnen!”
„Wird es auch!” sprach Liborius Kürbl. „Da schaut’s her!”
Er zog eine Brieftasche heraus und klappte sie auf. Da staken die Tausendmarkscheine nur so übereinander. Es war ein tiefes Schweigen in der Gaststube, während der dicke, junge Herr aus München seinen Schatz wieder in der Brusttasche verstaute. Die hübsche Wirtsmarei glotzte, die Hände über der Schürze gefaltet, mit offenem Mund und grossen, schwarzen Augen, und der Ägid, der Wirt, murmelte erschrocken:
„Ja — sind’s dann narrisch, so viel Geld zu zeigen — hier in der Öd?”
„. . . gerad’, damit ein jeder hier weiss, mit wem er es zu tun hat!” sagte der Herr Kürbl. Der Wirt wandte sich an den Tisch voll verwetterter, gebräunter Bauernköpfe in der Ecke.
„Der Herr hat recht, dass er zeigt, wie dick dass er wattiert ist! Der bringt Geld ins Dorf! Dös is an seltener Herr!”
Aber die stummen Blicke drüben blieben gefährlich. Der Güteragent, der seine Bauern kannte, zog behutsam seinen Kunden die steile, wurmstichige Treppe hinauf in die Fremdenstube oben, in der auf den Holzdielen die Äpfel ausgebreitet lagen und in dem muffigen Himmelbett eine schwarze Katze ihre Jungen betreute.
„Es ist mir auch offengestanden lieber, wenn wir ungestört sind!” sagte er. „Sie wissen, Herr Kürbl: ich geniesse seit so manchen Jahren den Ruf eines ungewöhnlich gewissenhaften Grundstücksvermittlers . . .”
„. . . da feit sie nix!” nickte Liborius Kürbl gönnerhaft.
„. . . und ich möchte noch einmal mit Ihnen ein paar Worte im Vertrauen sprechen!”
Das Gespräch dauerte eine halbe Stunde. Dann ging der Agent zur Tür.
„Gut also! Sie haben mich beruhigt, Herr Kürbl! Unten steht mein Wagen. Wir wollen schauen, dass wir vor Abend nach Pfaffing in ein halbwegs menschliches Quartier kommen!”
„Ich bleib’ hier!” Der Münchner streichelte die Katze im Himmelbett.
„Sie wollen doch nicht hier in der Flohkiste übernachten?”
„Warum nicht? Flöh’, Wanzen und Läus’ — das sind für mich Haustiere — vom Balkan her!”
„Aber bei der feindseligen Stimmung der Bevölkerung . . .”
„Ja gerad’, Baron! Wissen’s: ich bin ein Phlegmatikus und reg’ mich nicht leicht auf. Aber Furcht — nein — das gibt’s bei mir nicht!”
„Das hab’ ich schon gemerkt!”
„Und das sollen hier die Leute auch gleich im voraus von mir wissen, wenn ich künftig zeitweis’ in ihrer Mitte leben will! Mir fährt keiner an den Wagen!”
„Na schön!” Der Agent zuckte die Achseln. „Um zehn Uhr ist morgen der Termin. Ich hole Sie gegen neun mit meinem Auto hier ab!”
„Ist nicht nötig! Ich geh’ die halbe Stunde von dem Rammelnest hier bis Pfaffing leicht zu Fuss!”
„Durch den Wald? Kein Mensch jetzt draussen in der Nähe? Wo Sie eben das Sündengeld gezeigt haben? Das spricht sich ja ’rum wie ein Lauffeuer!”
„Wissen’s, Baron — Sie sind ein guter Kerl, aber einen Fehler haben Sie!” sprach Liborius Kürbl. „Man muss Ihnen alles dreimal sagen. Jetzt eben hab’ ich Ihnen erzählt, dass ich mich nicht fürcht’, und da sangen’s schon wieder an! Sie: das ist fad! Das mag ich nicht!”
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