1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Sie waren erleichtert, dass sie zumindest einen Teil ihrer Herde wieder mit nach Hause nehmen konnten. Es war für alle Beteiligten ein Albtraum gewesen und, wie es aussah, war ich wieder arbeitslos. Ich hatte gar keine Wahl: Als die Schafe gingen, folgte ich ihnen.
Ich packte mein Auto und los ging’s Richtung Norden, doch ich kam nicht sehr weit. Ich hatte mich gegen die Autobahn und für eine landschaftlich schönere Route entschieden, eine Entscheidung, die rückblickend wahrscheinlich mein Leben rettete. Ich fuhr gerade raus aus Bath, als es passierte. Ich fuhr nicht sehr schnell, sah eine scharfe Kurve, bremste etwas – nichts. Sofort trat ich heftiger auf die Bremse, die Räder blockierten. Ich konnte die Reifen quietschen hören, das Auto schoss geradewegs auf eine niedrige Mauer zu. Dann schien die Zeit still zu stehen, das Auto flog über die Mauer, überschlug sich und landete etwa acht Meter weiter auf dem Dach. Ich saß noch immer auf dem Fahrersitz, hing jedoch – vom Gurt festgehalten – kopfüber. Ich war etwas benommen, aber unverletzt. Zu dem Zeitpunkt trug ich eine gesteppte Puffa-Jacke und war so gut gepolstert, dass der Stoß abgefangen wurde. Der zweite glückliche Zufall war, dass ich ein Taschenmesser bei mir hatte. Ich konnte damit den Gurt durchschneiden und mich irgendwie aus dem Autofenster winden. Mein geliebter kleiner Metro war total kaputt und alles, was ich besaß, lag auf dem Feld. BHs, Unterhosen, Bücher, CDs, alles weit verstreut. Ich schämte mich sehr.
Ich krabbelte den Abhang hoch zurück auf die Straße. Damals besaß ich noch kein Handy, doch entweder hatte irgendjemand gesehen, wie ich durch die Luft flog, oder aber die Bremsspuren und die kaputte Mauer bemerkt, denn die Polizei war schon informiert. Ein Polizist mit Motorrad erschien und bestand darauf (so peinlich es mir auch war), mir beim Zusammensuchen der Sachen zu helfen. Während ich ihm noch erzählte, was passiert war, merkte ich erst, dass mein Auto auf dem Dach gelandet war und dass Drähte aus den Rädern herausstanden, sicherlich ein Hinweis darauf, warum ich nicht abbremsen konnte. Der Polizist hielt mir eine Standpauke und brachte mich dann zurück nach Bath, um den AA (Automobile Association, Automobilclub) anzurufen. Schließlich kam ein Abschleppwagen, lud mich mitsamt meinem kaputten Wagen auf und brachte mich zurück nach Huddersfield. Auf dem Weg entsorgten wir das Auto am nächsten Schrottplatz.
Ich blieb eine ganze Woche bei meiner Mutter, bis ich mich wieder erholt und mir einen gebrauchten VW Polo gekauft hatte. Die Farmer aus dem Lake District hatten mir die Telefonnummer eines Mannes namens Bob gegeben, der eine Personalvermittlung für Farmen leitete und junge engagierte Leute für die Ablammsaison suchte. Schon beim ersten Telefongespräch, merkte ich, dass ich an der richtigen Adresse war. Er sagte, wenn ich Schafe liebte, egal ob mit Hund oder ohne, so könne er mir den richtigen Job besorgen.
Es war ein wunderschöner Nachmittag, als ich die Autobahn in Shap verließ. In der Ferne konnte ich die Hügel des Lake Districts sehen, noch immer von einer Schneehaube bedeckt. Hoffnungsvoll und gut gelaunt schlängelte ich mich die einsamen Straßen entlang, die Frühlingssonne wagte sich langsam hervor und auf den Wiesen taten die Lämmer unter dem wachsamen Auge ihrer Mütter ihre ersten vorsichtigen Hüpfer. Ich folgte meiner Wegbeschreibung und erreichte Crosby Ravensworth, wo ich dem Farmer John Wood beim Ablammen helfen sollte. Dieses Mal konnte ich nicht im Farmhaus wohnen, denn beide Söhne lebten noch dort. Ich hatte mein Zimmer draußen auf dem Hof in einem Caravan. Als ich in den Hof einbog, war ich nervös, weil ich überhaupt nicht wusste, was mich erwartete. Ein freundlich lächelnder Mann mit gesunder, roter Gesichtsfarbe empfing mich.
»Hi, Sie müssen Amanda sein, wir haben Sie schon erwartet. Kommen Sie rein, wir trinken mal’n Tee und dann zeig ich Ihnen alles.«
Wir redeten etwas, und dann bekam ich eine Besichtigungstour rund um die Farm. Am Ende standen wir vor dem Caravan in einer Ecke des Hofes.
Es war ein alter Wohnwagen, wahrscheinlich aus den 1950ern, und mein erster Eindruck war … braun. Schokoladebraun außen und Karamelbraun innen, die Größe des Bettes ganz okay. Es gab auch einen Gaskocher, aber da ich mich bei Gas in Verbindung mit Streichhölzern nicht sehr wohl fühle, benutzte ich fast ausschließlich den Wasserkocher.
Einen Wasseranschluss gab es nicht im Caravan, doch auf dem Hof befand sich eine ausgediente Milchkammer mit Kaltwasserhahn und einem großen Plastikwaschbecken, was meinem Grundbedürfnis nach Sauberkeit genügen musste.
Schlimm war allerdings das Haarewaschen. Ich versuchte es im Waschbecken, doch es war schweinekalt. Ich habe immer lange Haare gehabt und ich wollte sie auch auf keinen Fall abschneiden. Kurz nachdem ich angefangen hatte, in Crosby zu arbeiten, entdeckte ich Kendal, den nächstgelegenen Ort von nennenswerter Größe. Aus irgendeinem verrückten Impuls heraus, ging ich dort in einen Tattooladen, ließ mir Rastalocken machen und, um das Bild zu vervollständigen, zwei Nasenpiercings stechen. Wohlgemerkt, ich war erst zwanzig. Die Nasenpiercings hielten nur bis zur Ablammzeit im Juli: Immer wieder verfing sich die Wolle darin, und wem einmal versehentlich die Nase in der Wolle hängengeblieben ist, die noch an einem Schaf dran ist, der weiß, dass er etwas ändern muss. Deswegen entschloss ich mich, die Dinger rauszunehmen, bevor ein Schaf es für mich tat. Die Rastalocken allerdings waren eine gute Lösung für das Haarwaschproblem, das Haarewaschen fiel nämlich dadurch ganz weg – es reichte ein bisschen Talkumpuder auf die Haarwurzeln, wenn die Haare übel aussahen.
Ich mag zu der Zeit ausgesehen haben wie Swampy, der Öko-Aktivist, doch Johnny, der Farmer, gab zu meinem neuen Look keinen Kommentar ab. Er war ein großartiger Mensch. Er hatte sofort erkannt, dass ich zwar engagiert und enthusiastisch bei der Sache war, mir aber die Erfahrung fehlte. So nahm er sich die Zeit, mir in Ruhe alles zu zeigen und zu erklären. Er hatte Swaledale-Schafe, mit Hörnern, schwarzen Gesichtern, weißen Nasen und weißumrandeten Augen. Außerdem noch Cheviots, Schafe mit Stehohren, weißen Gesichtern, kompakt, klein und rundlich. Das Ablammen fand in der Regel draußen statt, auf weiten, sanft gewellten Weiden, mit Rückzugsmöglichkeiten in kleinen Baumgruppen – einfach perfekt für die Mutterschafe, um Schutz zu suchen und neugierigen Blicken zu entgehen. Hatte ein Schaf gesundheitliche Probleme, wurde es sofort auf die Farm gebracht und dort versorgt. In einer kalten, klaren Nacht lag ich auf einem Strohbett in der Scheune und schaute in den Sternenhimmel, ich beobachtete die Sternschnuppen und war erfüllt von einem Glücksgefühl, wie ich es nie zuvor empfunden hatte.
Alle um mich herum waren freundlich, und es herrschte eine liebevolle Familienatmosphäre. Ich war so froh, hier gelandet zu sein, obwohl meine Erfahrungen auf der Farm davor mich fast dazu gebracht hatten, alles hinzuschmeißen, aufzugeben. Diese Familie trat genau zum richtigen Zeitpunkt in mein Leben. Ich hatte eine Menge Theorien und Ideen über Schafzucht im Kopf, die mich begeisterten und Johnny Wood – allgemein Woody genannt – zeigte mir, wie man in der Praxis mit Schafen arbeitete. Teamarbeit wurde großgeschrieben, alle zogen am selben Strang. Ich liebte es, und zum ersten Mal in meinem Leben dachte ich: Danke Gott, dass ich jetzt da bin, wo ich sein möchte.
Aus meinem Caravanfenster konnte ich über ein kleines Tal blicken, und eines frühen Morgens sah ich zwei junge Füchse in der Sonne spielen. Sie taten nichts Böses, spielten einfach wie kleine Kinder. Eine Idylle. Manchmal war diese Idylle aber auch trügerisch, nämlich dann, wenn ein Fuchs wieder einmal ein Lamm holte. Noch schlimmer als die Füchse waren die Krähen, die, wenn sich ihnen die Chance bot, einem ruhenden Lamm oder Mutterschaf die Augen auspickten. Die Natur kann grausam sein.
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