Meine Farm war zum großen Teil ein Ackerbaubetrieb, für mich eine ganz neue Erfahrung. Stundenlang schaufelte ich Getreide in Silos und Getreidespeicher oder füllte Säcke mit Gerste. Ich musste auch einen Mähdrescher abschmieren, 130 Schmiernippel jeden Morgen während der Erntezeit. Die Maschine, ein museumsreifer, riemengetriebener Mähdrescher, war der ganze Stolz des Alten, und er machte tatsächlich Stichproben, um zu kontrollieren, ob ich alles richtig geschmiert hatte.
Ich wurde auch mit einem Kartoffelsack auf dem Rücken losgeschickt, um vorsichtig den wilden Hafer auszurupfen, der zwischen der Gerste wuchs. Der Farmer betonte, ich solle auf keinen Fall meine Verpflegung vergessen … Beim Blick über die reifen, goldenen Gerstenfelder konnte man den Flughafer gut erkennen, die grünen Rispen überragten alles. Auf den ersten Blick schien es nur eine Handvoll wilder Gräser zu geben, aber als ich in das Feld hineinkroch, entdeckte ich ihre ungeheure Ausbreitung. Jetzt wurde mir klar, warum ich meine Tagesverpflegung mitnehmen sollte. Der Vorteil dieser langen Tage in den Gerstenfeldern war, dass ich eine goldene Bräune bekam, die man in keinem Sonnenstudio hätte kaufen können, leider reichte sie aber wegen der langen Gummistiefel nur bis zu den Oberschenkeln.
Die Erntezeit war unglaublich arbeitsintensiv: Wenn der Wassergehaltsmesser den erforderlichen Trockenheitsgrad des Getreides anzeigte, hieß es ›alle Mann an Deck‹. Flutlicht wurde rund um die Felder installiert und niemand hörte auf zu arbeiten, bevor nicht das gesamte Getreide sicher eingebracht war. Obwohl die Arbeit sehr hart war, merkte ich, dass ich dabei eine ganze Menge praktischer Erfahrung sammeln konnte. Ich lernte, wie man Gülle auf die Felder verteilt – mit einem langen Schleppschlauch und Traktor oder mit einer Scheibenegge – ich lernte, wie man mit einer Zapfwellenegge Erdklumpen aufbricht, um den Boden für die Aussaat bereit zu machen, ich lernte ein Kalb zu enthornen, und ich lernte Traktorfahren. Autofahren konnte ich schon, damit hatte mein Vater mich mit großer Geduld bereits vertraut gemacht. Eine einzige Fahrstunde mit einem professionellen Fahrlehrer genügte, um die Details für die Fahrprüfung zu lernen. Ich bestand beim ersten Versuch.
Während meiner Zeit auf der Farm haben sich meine Eltern oft gewundert, Was in aller Welt tut sie da eigentlich?, besonders dann, wenn ich verdreckt und stinkend nach Hause kam. Die Antwort war ganz einfach, ich war ganz am Ende der Rangordnung, ich war der Handlanger, der Wasserträger, von dem man erwartete, dass er alles ohne Murren tat. Aber ich war glücklich damit, denn ich konnte arbeiten und lernen. Ich musste ja irgendwie anfangen und außerdem gab es zu jener Zeit bei mir zu Hause Ereignisse, die wichtiger waren als meine Karriere.
Ich war damals 18 Jahre alt, als mein Vater starb. Jahrelang hatte er geglaubt, ein Magengeschwür zu haben, und bekam Gaviscon verschrieben, ein Antazidum gegen Verdauungsstörungen. Als die Schmerzen schließlich unerträglich wurden, veranlasste der Arzt weitere Untersuchungen und es wurde Magenkrebs festgestellt. Zu dem Zeitpunkt war er schon sehr krank und konnte nicht mehr arbeiten. Schließlich kam die Zeit, als er noch nicht einmal mehr an seinen geliebten Motorrädern herumbasteln konnte. Das war das Schlimmste für ihn. Es war herzzerreißend zu sehen, wie er die Räder wegräumte und die Ersatzteile katalogisierte, die Garage, Keller und Dachboden füllten. Ich konnte zwar Kurbelwellen von Pleuelstangen unterscheiden, aber er hatte über viele Jahrzehnte Unmengen an Einzelteilen angehäuft und um zu verhindern, dass wir nach seinem Tod von irgendwelchen skrupellosen Händlern übers Ohr gehauen wurden, machte er eine detaillierte Liste davon. Wir mussten ihm versprechen, niemals seinen Kompressor zu verkaufen, alles andere versuchte er bei Motorradfans loszuwerden. Meine Mutter arbeitete zu der Zeit in der Schulkantine und sie musste ihren Job aufgeben, um für ihn zu sorgen. Katie war damals zwölf Jahre alt und es war für uns alle eine sehr schwere Zeit. Ich war bei ihm, als er starb. Er war zu Hause und stand seit Tagen unter Morphium. Mich verfolgt dieser Moment immer noch, es war solch ein irreales Erlebnis, es war, als ob ich es nicht wirklich selbst erlebte: all die Formalitäten und praktischen Dinge, die geregelt werden mussten, den Arzt und den Bestatter anrufen, und dann das Schlimmste, die Großmutter aufsuchen, um ihr zu sagen, dass ihr Sohn gestorben sei. Ich wollte eigentlich nicht zur Beerdigung gehen, aber meine Mutter bestand darauf. Der zweite Konflikt folgte auf dem Fuß:
»Du gehst nicht in deinen Gothic-Sachen dorthin.«
»Vater kennt mich nur so, und alle gehen in Schwarz. Wo ist das Problem?«
Seitdem habe ich Beerdigungen gehasst, und ich gehe auch nur sehr selten hin.
Was meinen Job angeht, so versuchte ich erst mal, keine Pferde scheu zu machen und alle Zukunftssorgen für mich zu behalten. Meine Mutter hatte schon genug am Hals.
Mir wurde klar, dass mein Wunsch, auf einer Farm zu arbeiten, bedeuten würde, Huddersfield verlassen zu müssen. Ich wollte nicht für die kommerziellen, industriellen Farmen arbeiten, kurz, ich wollte mehr Weiden und weniger Ställe. Natürlich könnte man sagen, ich hätte eine sehr romantische Vorstellung von meinem Arbeitsplatz, aber ich war mir sicher, dass es Stellen gab, wo Hund und Stab die Hauptrolle spielten und nicht elektronische Messgeräte und Trockensubstanzen. Es war allerdings noch nicht die passende Zeit, von zu Hause wegzugehen, so kurz nach Vaters Tod.
An einem typischen, grauen, regenverhangenen Tag im Spätherbst kam ich mit dem Bus von der Arbeit und lief, wie gewöhnlich vor mich hin summend, durch das Zentrum von Huddersfield. In der Haupteinkaufsstraße, wo die Leute wie immer einen großen Bogen um mich machten, kam ich am Strawberry Fair vorbei, einem dreistöckigen Porzellan- und Geschenkeladen an der Ecke Byram Arcade. Ich war schon oft dort vorbeigegangen, um eine Etage höher in einem Vintage-Laden vorbeizuschauen, wo zwei Punkerinnen grunge-style Mode verkauften: alte Kleidungsstücke, die sie secondhand gekauft und dann selbst umgearbeitet hatten. Dies war während meiner Gothic-Zeit mein Lieblingsgeschäft, genauso wie nebenan der Plattenladen Dead Wax Records, wo ich viele Regennachmittage damit vertrödelte, die Plastikkisten voller abgegriffener Alben zu durchwühlen. Strawberry Fair war ein Nobelladen und bis dahin nicht auf meinem Schirm. Im Schaufenster standen polierte Silber- und Glaswaren mit zartem Dekor, in der Verkaufshalle hing ein glitzernder Kristallkronleuchter und smarte Verkäufer schwebten zwischen Waren und Kunden hin und her. An der Tür hing ein Schild: VERKÄUFER/IN GESUCHT. IM GESCHÄFT NACHFRAGEN.
Ein Gedankenblitz schoss durch meinen Kopf: Sollte ich mal etwas ganz anderes ausprobieren, eine konventionellere Arbeit? Dieser Gedanke bekam durch die Kombination verschiedener Faktoren Nahrung: den beginnenden Winter, die unbarmherzige Schufterei auf der Farm, sowie das Gefühl, jetzt nach Vaters Tod mehr Verantwortung übernehmen zu müssen.
Bevor ich auch nur die Chance hatte, meine Gedanken richtig zu ordnen, steckte eine Frau ihren Kopf aus der Tür und sagte: »Sind Sie an der Stelle interessiert? Wenn ja, können Sie sich sofort beim Chef vorstellen. Philip ist gerade im Lager.« Überrascht über mich selbst ließ ich mich hereinbitten, zeigte aber auf meine schlammigen Gummistiefel. Betreten nahm ich den beigefarbenen, dicken Plüschteppich wahr, doch mein Vorschlag, die Stiefel vor der Tür stehen zu lassen, stieß auf taube Ohren. Irene, die Verkäuferin, nahm mich mit nach hinten und eine Treppe hinunter. Ich fühlte mich wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen, als ich mir – nach Kuhstall riechend – vorsichtig meinen Weg durch die Glasvitrinen mit Lladró-Schmuckstücken und feinem Keramikservice bahnte. Im Gespräch mit Philip antwortete ich ganz ehrlich, dass ich den Job nur vorübergehend brauchte und Verkäuferin keineswegs mein Berufsziel wäre. Ich glaube, er fand mich etwas merkwürdig, ahnte aber, dass ich zuverlässig und hart arbeiten konnte und, wie es aussah, schien er dringend jemanden zu suchen, denn er sagte: »Wenn Sie den Job möchten, haben Sie ihn.«
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