Wie bei seiner Vernehmung am 8. November, als eine Speichelprobe von ihm genommen worden war, reagierte er auch jetzt ruhig und kontrolliert, was vielleicht darauf zurückzuführen war, dass er mit dem Erscheinen der Polizei aufgrund der Probe gerechnet hatte. Möglicherweise war er nicht davon ausgegangen, ein Ergebnis der Analyse werde bereits nach vier Tagen vorliegen. Normalerweise haben DNA-Analysen eine Bearbeitungszeit von drei bis vier Wochen, worüber er bei Abnahme der Speichelprobe auch in Kenntnis gesetzt worden war.
Nach der Festnahme wurde der leitende Ermittler telefonisch über den erfolgreichen Zugriff unterrichtet. Absprachegemäß war er bei der Festnahme nicht dabei, da unmittelbar danach die Opfer beziehungsweise die Hinterbliebenen darüber informiert werden mussten, dass der mutmaßliche Täter in Gewahrsam genommen worden war, denn man konnte mit Sicherheit annehmen, dass die Presse sehr schnell davon erfahren würde.
Die Berichterstattung in den Medien war zu dieser Zeit überwältigend, und der Polizei erschien es wichtig, dass die Opfer von der Festnahme erfuhren, bevor Zeitungen, TV und Radio die Öffentlichkeit informierten.
Noch während der Anwesenheit der Polizei in der Wohnung waren Marcel Lychau Hansens Söhne dort erschienen und freiwillig mit ins Präsidium gekommen, wo sie verhört wurden.
Nach der Durchsuchung der Wohnung wurde der leitende Ermittler im Präsidium telefonisch darüber informiert, dass die Beamten vor Ort davon ausgingen, die Gegenstände gefunden zu haben, die Marcel Lychau Hansen mit der Vergewaltigung im Kongelundsvej in Verbindung brachten.
Man hatte mehrere schwarze Strickmützen, eine Jacke mit besagtem Reißverschluss und außerdem mehrere Päckchen Kondome gefunden, unter anderem der Marke RFSU Thin – ein Päckchen war geöffnet worden und die ursprüngliche Anzahl Kondome nicht mehr vorhanden.
Die Polizisten, die die Festnahme vorgenommen hatten, brachten Marcel Lychau Hansen zur gerichtsmedizinischen Untersuchung ins Reichskrankenhaus. Mit Blick auf die beiden Altfälle, mit denen die Polizei Marcel Lychau Hansen konfrontieren würde, erschien das zwar nicht notwendig, aber was die Vergewaltigung im Kongelundsvej zirka eineinhalb Monate zuvor betraf, konnte die Untersuchung relevant sein.
In diesem Fall verfügte die Polizei über das Ergebnis der gerichtsmedizinischen Untersuchung des 17-jährigen Opfers, die belegte, dass unter ihren Fingernägeln DNA-Spuren sichergestellt worden waren, die mit der DNA des Spermas aus dem gefundenen Kondom übereinstimmten. Sie hatte den Täter gekratzt, und vielleicht waren Spuren auf der Haut von Marcel Lychau Hansen nachweisbar. Später sollte sich allerdings zeigen, dass es keine Kratzspuren von Fingernägeln oder sonstige Verletzungen gab, die zweifelsfrei mit der letzten Vergewaltigung in Verbindung gebracht werden konnten.
Nach der gerichtsmedizinischen Untersuchung wurde Marcel Lychau Hansen ins Polizeipräsidium gebracht, aber das Gerücht seiner Verhaftung hatte sich offensichtlich schon verbreitet. Die drei Beamten, die bei der Untersuchung zugegen waren, mussten feststellen, dass vor dem Institut bereits Pressefotografen warteten.
Um zu vermeiden, dass der Festgenommene in den öffentlichen Medien wiederzuerkennen war, wurde ihm seine schwarze Lederjacke über den Kopf gezogen, als man ihn zum Polizeifahrzeug brachte. Die Fotos von Marcel Lychau Hansen mit der Lederjacke über dem Kopf waren danach ein wesentlicher Bestandteil der weiterhin massiven Berichterstattung zu dem Fall.
Wenige Tage nach der Verhaftung nannten im Großen und Ganzen sämtliche Medien den Festgenommen „den Amager-Mann“.
Auf einem der Fotos waren Marcel Lychau Hansens Schuhe deutlich zu sehen. Es handelte sich um ein besonderes Paar der Marke Adidas – ein Detail, das im weiteren Verlauf der Ermittlungen noch von Bedeutung sein sollte.
Die telefonischen Mitteilungen vom Ort der Festnahme ließen Ermittler Tonny Holck vermuten, dass Marcel Lychau Hansen sich im Fall der Vergewaltigung am Kongelundsvej schuldig bekennen würde. Die Vermutung war auf die Tatsache zurückzuführen, dass Marcel Lychau Hansen ja vom Erscheinen der Polizei hatte ausgehen müssen, nachdem man die Speichelprobe genommen hatte. Daher erschien es nicht logisch, dass man bei der Durchsuchung seiner Wohnung die Mütze, die Jacke und ein passendes Päckchen Kondome gefunden hatte. Normalerweise hätte er diese Gegenstände als Erstes verschwinden lassen, sodass die Polizei sie nicht auf Spuren untersuchen konnte, die sie mit der Vergewaltigung in Verbindung brachten.
Die Vermutung des Ermittlers basierte natürlich auf der Annahme, dass Marcel Lychau Hansen der Täter war, woran er und seine Kollegen in Anbetracht der Untersuchungsergebnisse des Labors für Forensik keinen Zweifel hatten.
Zum Zeitpunkt des Verhörs ging die Polizei davon aus, dass er die drei Verbrechen begangen hatte, in denen es übereinstimmende DNA-Spuren gab, und in diesen drei Fällen sollte er angeklagt werden.
Die weiteren Fälle, die Gegenstand polizeilicher Ermittlungen waren und von mehreren Kriminalassistenten aus anderen Dezernaten geprüft wurden, konnten zu einem späteren Zeitpunkt zur Anklage gebracht werden, sofern es Anlass dazu geben sollte.
Das erste Verhör von Marcel Lychau Hansen
Während der Fahrt vom Gerichtsmedizinischen Institut zum Polizeipräsidium hatte man Marcel Lychau Hansen Handschellen angelegt, die abgenommen wurden, nachdem man ihn in das Büro gebracht hatte, in dem das Verhör stattfinden sollte. Er verhielt sich vollkommen ruhig und kontrolliert und ließ auch das Prozedere mit den Handschellen unkommentiert. In seinem Verhalten deutete nichts darauf hin, dass er sich ungerecht behandelt fühlte, er schüttelte dem Ermittler sogar die Hand.
Trotz der sehr ernsten Beschuldigungen, denen er sich gegenüber sah, waren bei Marcel Lychau Hansen keinerlei Anzeichen von Angst oder Wut festzustellen.
Die Vermutung des Ermittlers, Marcel Lychau Hansen werde ein Geständnis ablegen, erwies sich als ganz und gar falsch. Der Beschuldigte gab an, sich nicht erinnern zu können, was er am 25. September 2010 gegen zirka 4:30 Uhr gemacht hatte, war sich aber sicher, niemanden vergewaltigt zu haben. Er sagte, er habe Bekannte in Dragør, aber der Weg von dort zu seiner Wohnung in Valby führe nicht durch den Kongelundsvej. Es könne also nicht sein, dass man dort ein Kondom mit seinem Sperma gefunden habe.
Im weiteren Verlauf des Verhörs erklärte er mit Blick auf die Vergewaltigung im Amager-Kollegiet, er sei noch nie dort gewesen.
Abschließend behauptete er, 1990 nicht im Fasanenwald gewesen zu sein und folglich dort auch keine Frau vergewaltigt und ermordet zu haben.
Ungeachtet der Schwere der Vorwürfe machte Marcel Lychau Hansen weiterhin nicht den Eindruck, als fühle er sich ungerecht behandelt oder als sei er wütend, weil er sich diesem Verhör stellen musste. Der Ermittler konfrontierte ihn mit seiner persönlichen Einschätzung und sagte, er sei sicher, dass Marcel Lychau Hansen in allen Punkten schuldig sei.
Der Ermittler ging davon aus, dass jemand, der unschuldig war, aber derart brutaler Verbrechen beschuldigt und mit deren ernsthaften Konsequenzen konfrontiert wurde, anders reagieren würde als mit der Ruhe, die bei Marcel Lychau Hansen zu beobachten war.
Tatsächlich reagierte der Beschuldigte entsprechend und schrie beinahe, das Ganze sei völlig verrückt – und weiter, dass er doch verdammt noch mal keine Frauen vergewaltige und umbringe. Er sagte, er sei erschüttert und sprachlos und schloss mit der Bemerkung, er sei tausendprozentig sicher, von allen Vorwürfen freigesprochen zu werden.
Das Verhör wurde beendet und Marcel Lychau Hansen ins Gefängnis Vestre Fængsel gefahren. Am nächsten Tag sollte er dem Amtsgericht Kopenhagen zwecks Haftprüfungstermin vorgeführt werden.
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