Der Schiedsrichter Wieder einmal saßen mein Vater und ich auf dem Sofa und sahen ein Fußballspiel. Mein Vater hatte eine Trillerpfeife in der Hand, mit der er lautstark piff, wenn er ein Foul gesehen hatte. »Hast du gesehen«, rief er aus, »wie der Tormann frech geschaut hat? Noch dazu im Strafraum!« »Wo denn sonst?«, sagte ich. »Dafür gibt es Elfmeter!«, rief mein Vater und ein lauter Pfiff ertönte. Dass sich niemand auf dem Bildschirm um seine Pfiffe kümmerte, störte ihn nicht. »Die Wappler wissen es eben nicht besser!«, sagte er. »Außerdem scheinen sie schwerhörig zu sein! Warum tun wir uns das an?« Als meine Mutter von der Arbeit nach Hause gekommen war, setzte sie sich zu uns aufs Sofa. Es war gerade Halbzeitpause. Mein Vater sagte zu ihr: »Sei darauf gefasst, heute bin ich der Schiedsrichter!« »Bitte nicht!«, rief meine Mutter, hielt sich die Hände an die Ohren und schüttelte den Kopf. Ich sagte: »Wenn Pfeifen pfeifen …« Vater hob die Augenbrauen, griff in die hintere Hosentasche und holte zu unserer Überraschung eine gelbe und eine rote Karte heraus. »Passt auf, was ihr sagt!«, meinte er. »Sonst müsst ihr das Spielfeld verlassen und dürft nicht mehr mitspielen.«
Der neue Fernseher Der neue Fernseher Als wir den neuen Fernseher bekamen, einen Flachbildschirm, schrieb mein Vater die vielen neuen Programme untereinander auf ein Blatt Papier. Darüber stand groß in seiner Handschrift: Die Programme Zu viel TV macht müde, lustlos, fad , grantig, öd, dumpf , überdrüssig, krank und tot . Und blöd natürlich auch . So schaut’s aus! Der Zettel lag ewig auf dem Tischchen vor dem Sofa. Die Schrift war zum Schluss schon ganz verschwommen, auf dem Papier waren Kaffeeflecken, Ränder von Rotweingläsern und andere Flecken. Heute wundert es mich, dass meine Mutter den Zettel so lange nicht weggeworfen hat. Es passte viel eher zu meinem Vater, etwas nicht wegzuwerfen.
Stadionbad Stadionbad Zum ersten Mal in diesem Sommer besuchten wir das Stadionbad ganz in unserer Nähe. Meine Mutter ging zu Fuß, mein Vater und ich fuhren mit dem Fahrrad. »Immer lasst ihr mich allein«, sagte meine Mutter und tat so, als sei sie unglaublich traurig. »Frag’ dich, warum das so ist«, sagte mein Vater. »Warum ist das so?« »Denk’ nach, dann weißt du es!« – Das sagte mein Vater oft zu ihr. Ebenso wie: »Das musst du wissen!« Es war nicht immer ganz klar, was er meinte.
Kuh spielen Kuh spielen Im Schwimmbad trafen wir Freunde von mir, die sich zu uns setzten. »Wer spielt mit mir Kuh?«, fragte mein Vater plötzlich in die Runde. Meine Mutter und ich sahen uns an. »Wie geht das?«, fragte einer meiner Freunde und mein Vater antwortete: »Auf allen vieren durch die Wiese gehen, immer wieder laut muhen, mit dem Mund Gras zupfen, blöd in die Luft schauen …«, und nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: »und mit dem Schwanz die Fliegen vertreiben!« Daraufhin musste er selbst am meisten lachen.
Spätstück Spätstück Einmal, als ich schon größer war und nicht zur Schule musste, weil Ferien waren, weckte er mich gegen Mittag, um mir zu sagen, dass er fort müsse. Dabei sah er, dass meine Unter- und Oberarme mit Kugelschreiber vollgekritzelt waren. Eine Freundin hatte mir diese »Tätowierungen« verpasst. Später fand ich in der Küche einen Teller voller Essen und daneben einen Zettel: EIN AUFBAUENDES FRÜH SPÄTSTÜCK FÜR DEN TÄTOWIERTEN Von dem großen weißen Teller lachte ein Gesicht: Der Mund war eine Banane, die Nase eine abgeschnittene Karotte, die auf dem Teller stand – lang wie eine Pinocchio-Nase ragte sie in die Höhe. Die Augenbrauen bestanden aus zwei schmalen Apfelschnitzen, die Augen darunter aus zwei Trauben.
Der Selbstmörder-Baum Der Selbstmörder-Baum Wieder einmal fuhren wir mit den Fahrrädern zum Stadionbad, die Strecke führte durch den Wald. Mitten am Weg stand ein einzelner Baum, an dem man links oder rechts vorbeifuhr. Heute gibt es auf diesem Weg ein Fahrverbot für Fahrräder, das gab es damals noch nicht. Vater sagte mir, dass man den einzelnen Baum, der da so frech im Weg stand, gut für einen Selbstmord verwenden könnte: »Man fährt mit dem Fahrrad Richtung Baum, beschleunigt, fährt so schnell man nur kann auf den Baum zu, dann knapp daran vorbei, wobei man den Kopf seitlich wegstreckt, damit er voll in den Baum kracht! – Aus die Maus.« Ich weiß nicht, wie oft ich in meiner Kindheit und Jugend zu ihm gesagt habe, er sei verrückt. Daraufhin lachte er gern ein Lachen, das wie von einem Verrückten klang: hoch, laut und irr.
Mich oder dich Mich oder dich Manchmal frage ich mich, ob ich damals zu meinem Vater, als er den Vogel auf dem Baum spielte, wirklich gesagt habe: »Wenn du noch einmal lustig bist, dann bringe ich mich um«, oder ob ich nicht vielleicht gesagt habe: »Dann bringe ich dich um«? Ich weiß es nicht. Mein Vater hat immer behauptet, ich hätte gesagt: »Dann bringe ich mich um.« Er wird schon recht gehabt haben. Und sonst wäre es nicht das erste Mal, dass er unrecht gehabt hätte.
Nacktbaden in der Lobau Nacktbaden in der Lobau Meine Mutter badete gern nackt in der Donau. Vater ging um nichts in der Welt nackt »ins Wasser dieses wilden Stromes, der voller wilder Tiere ist«, wie er einmal sagte. Er hatte Angst davor, dass ihm ein wilder Fisch was abbeißt. Mutter nannte diese Angst lächerlich. »Wer weiß schon«, sagte mein Vater, »was den Fischen einfällt, wenn ihnen fad ist. Wer weiß schon, was denen im Fischkopf herumgeht, wenn sie so herumschwimmen. Außerdem gibt es bestimmt auch sehschwache Fische, die mein Zumpferl mit einem Wurm verwechseln …«
Faultiere Faultiere An einem Morgen sagte mein Vater zu meiner Mutter, die gerade auf dem Sprung zur Arbeit war, sein neues Vorbild sei das Faultier. Schon am Vortag hatte er von einem Forscher erzählt, der jahrelang Faultiere erforscht hatte und darüber ein Buch schreiben wollte. Als der Forscher von seiner monatelangen Forschungsreise nach Hause zurückgekehrt war, hängte er eine Hängematte in seinem Arbeitszimmer auf. In der verbrachte er nun die meiste Zeit. Das Buch, das er schreiben wollte, sollte den Titel haben: Faszination Faultier. Faultiere verstehen . Seine Frau beschwerte sich über ihn, weil er keinen Finger mehr krumm machte, sondern fast nur noch in der Hängematte lag und Däumchen drehte. Meine Mutter meinte dazu: »Schönes Vorbild, ich muss schon sagen.« »Du verstehst Faultiere eben nicht.« »Ich verstehe«, sagte meine Mutter und seufzte. Mein Vater zeigte mit dem rechten Zeigefinger zur Zimmerdecke und legte los: »Die chinesischen Weisen haben auch alle das Nichtstun als höchste Form des menschlichen Daseins gepriesen, überhaupt alle Weisen des Morgen- und des Abendlandes und auch die des Mittags- und des Nachmittagslandes …« »Schluss jetzt!«, unterbrach ihn meine Mutter. Da zeigte er mit dem linken Zeigefinger auf den ausgestreckten rechten Zeigefinger, der sich jetzt langsam krümmte. »Da siehst du«, sagte er vorwurfsvoll, »was du angerichtet hast!«
Die bissige Banane Die bissige Banane Einmal waren zwei Freunde von mir zu Besuch, die auch mit uns zu Abend aßen. Es gab Würstel mit Senf und Ketchup. Nach dem Essen gingen meine Freunde und ich ins Wohnzimmer, um dort fernzusehen. Plötzlich stürmte mein Vater mit einer geschälten Banane in der Hand ins Zimmer und rief: »Hilfe, die Banane hat mich gebissen! Au weh, au weh, tut das weh!« In ein Ende der geschälten Banane hatte er einen geöffneten Mund, das heißt, ein aufgerissenes Maul hineingeschnitten, an dem sich etwas Ketchup befand. Und auch auf dem linken Unterarm, in den ihn die Banane gebissen hatte, war Ketchup. Mein Vater zeigte auf die Wunde an seinem linken Unterarm und wiederholte mit schmerzverzerrtem Gesicht: »Die Banane hat mich gebissen! Böse Banane! Ganz ganz bö-se Ba-na-ne!« Später im Bett soll ich zu ihm gesagt haben, er sei »deppert, ultradeppert und sogar ultraschalldeppert«.
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