Ich scannte das Gebiet und stellte fest, dass das Waldstück scheinbar leer war, aber im Uferschlamm sah ich den Abdruck eines Stiefels. Es waren sehr große Stiefel.
Cassie legte die Hände auf meinen Rücken, während ich den Scan abschloss. Nichts, abgesehen von zwei standhaften Fischen, die am Wasserrand mit der Strömung kämpften, einer pelzigen Kreatur, die im nächsten Baum vergraben war und Vögeln, von denen die meisten noch in ihren Nestern schliefen. Wer hatte sie so erschreckt? Und warum hatten meine Scanner ihn nicht aufgespürt?
“Mit wem hast du da geredet?”
“Ich weiß nicht, wer das war. Ich habe ihn noch nie gesehen.” Sie klammerte sich an mein Hemd, also drehte ich mich um, zog ihren zitternden Körper an mich und schloss sie sicher an mein Herz, während ich meine Pistole wieder verstaute. Jemand hatte ihr Angst gemacht und das machte mich so langsam wütend.
“Was hat er gesagt? Was wollte er? Hat er dich bedroht?” Ich würde ihn aufspüren und ihn töten.
Sie schüttelte den Kopf, ihre langen Strähnen fielen lang über ihren Rücken hinunter und ich entspannte mich leicht. Bis ihre nächsten Worte einschlugen. “Nein. Er hat mir eine Nachricht gegeben.”
“Eine Nachricht?”
“Ja. Für dich.”
Kapitel Sechs
Maddox
Mit den Händen rubbelte ich ihren Rücken und gleichzeitig suchte ich die Umgebung nach einer Spur von meiner Beute ab, aber ich wusste bereits, dass es zu spät war. Mir war klar, wer sich an sie herangeschlichen hatte und ballte die Hände zu Fäusten. Neron. Er war längst wieder verschwunden. Er war auf Everis geboren und zum Jäger herangewachsen, genau wie ich. Die Tatsache, dass er meiner Partnerin so nahegekommen war, ließ mein Herz bis in meine Kehle schlagen, und zwar bis ich das Gefühl hatte, an dem verdammten Ding zu ersticken. Dieses Gefühl hatte ich noch nie erlebt und es kam äußerst ungelegen.
Angst. Seitdem Maddie verschwunden war, hatte ich sie nicht mehr gekostet und ihr bitterer Geschmack gefiel meiner Zunge ganz und gar nicht.
Was für eine Technologie hatte Neron angeschafft, um meinen Netzhautscanner zu blocken? Hatte er sich nach seiner Flucht aus dem Gefängnis eine Art Tarnanzug besorgt? Diese Anzüge waren sehr kostspielig und extrem selten, denn sie machten jeden, der sie überzog, fürs bloße Auge unsichtbar und auch für die meisten Scanner nicht nachweisbar. Sie waren Elitejägern vorbehalten, die im Auftrag der Sieben arbeiteten. Jeder andere, der mit diesen Dingern erwischt wurde, wurde mit einer Geldstrafe belegt und auf Bewährung verurteilt oder schlimmstenfalls in die Minen geschickt.
War das der Grund, warum er aus der Gefängnismine auf Incar entkommen konnte? Wie er mir die vergangen Tage über entwischt war? Und wenn er eine solch fortschrittliche Technologie besaß, wo hatte er sie her? Hatten die anderen Verbrecher auch solche Anzüge? Wenn ja, dann schwebten Thorn, Jace und Flynn in größter Gefahr.
Ganz genau wie meine Partnerin.
Mein Bestreben es meiner Partnerin recht zu machten, hatte mein Urteil getrübt. Ich hätte sie niemals aus den Augen lassen dürfen. Sie war völlig ohne Schutz gewesen. Verletzlich. Das Schlimmste war eingetreten. Neron war hier und wusste über sie Bescheid. Wut und Panik strömten durch meine Adern. Meine Markierung pulsierte wild, sie brannte mit einem neuen Gefühl.
Angst. Nicht um mich, sondern um sie . Meine Cassie.
“Was für eine Nachricht?” Ich versuchte so ruhig wie möglich zu bleiben. Zum Glück war sie Neron gegenüber ausreichend misstrauisch, um bei mir Schutz zu suchen. Ich wollte ihr nicht noch mehr Angst machen.
“Es sagte, ich soll meinem Partner sagen, dass Maddie erst der Anfang war.”
Glutheißer, fast unkontrollierbarer Zorn überkam mich und schnitt mir den Atem ab und ich legte meine Hände auf Cassies Schultern, damit ich ihr in meiner Wut nicht wehtat. “Hat er sonst noch etwas gesagt?”
Sie trat unbehaglich hin und her und ich blickte ihr ins Gesicht, umfasste ihren Kiefer und neigte ihren Kopf hoch, damit sie mich anblickte.
“Sag’s mir.”
Sie biss ihre Lippe und am liebsten wollte ich sie küssen, tat es aber nicht. Jeder meiner Sinne war aufs umliegende Gehölz gerichtet, um zu lauschen und die Geräusche der wilden Kreaturen hier zu erlernen, damit ich auch das leiseste Knacken eines Astes identifizieren und den abgehakten Atem eines Mannes heraushorchen konnte. Wenn ich mich nicht länger auf meine Scanner verlassen konnte, dann würde ich Neron eben auf die altmodische Art ausfindig machen müssen, mit Köpfchen, Stärke und Geduld.
“Sag es mir, Cassie. Bitte.”
Mit einem Seufzer senkte sie ihren Blick auf meine Lippen, dann wanderte er zurück zu meinen Augen. “Er hat—er hat gesagt, dass ich sehr hübsch bin und dass ich nach Rosen dufte. Und—”
Ich beugte mich vor und atmete ihren süßen Duft ein. Er war nah genug an ihr dran gewesen, um sie riechen zu können. Endlose Stunden der Jagd, des Trainings und der Disziplin ließen mich innehalten, als ich auf den Rest wartete. “Und?”
“Er hat gefragt, ob ich mit ihm mitkommen will.”
Die Vorstellung, Neron könnte meine Partnerin anrühren ließ tausend Sicherungen in meinem Kopf durchgehen, aber ich konnte mich nicht davon abhalten ihr die nächste Frage zu stellen, deren Antwort mich vernichten könnte.
“Und wolltest du das, Cassie? Wolltest du mit ihm mitgehen?”
Ich blickte ihr in die Augen und forderte sie auf, mir die Wahrheit zu sagen, meine Markierung zu verleugnen, die Verbindung zwischen markierten Partnern zu verleugnen.
“Nein. Er hat mir—”
“Was? Er hat dir—?”
Sie befeuchtete sich die Lippen und ihre Hände vergriffen sich in einer unbewussten Geste an meinem Hemd. “Angst gemacht. Er war nicht, hat nicht …” Sie seufzte und ihre Wangen nahmen einen entzückenden rosa Farbton an, den ich noch nie an ihr gesehen hatte. “Er war nicht so wie du.”
Ich konnte nicht anders, als mit der Hand über ihr weiches Haar zu streichen. Ich hoffte, dass die Geste sie beruhigte, denn in mir beruhigte sie etwas. “Und wie bin ich so? Hast du Angst vor mir?”
“Ja.”
Ich verkrampfte mich und sie musste meine Entrüstung gespürt haben, denn ihre Hände sprangen auf meine Schultern und ihre Finger packten energisch zu.
Sie riss die Augen auf und ich erblickte einen Anflug von Verwirrung und Verzweiflung. “Aber nicht so wie er. Das war nicht das Gleiche.”
Ich atmete tief durch. “Dann erkläre es mir. Ich möchte nicht, dass du Angst vor mir hast, Cassie. Du gehörst mir. Ich würde sterben, um dich zu beschützen. Deinetwegen würde ich töten.” Ich blickte in die Richtung, in die Neron geflohen war. “Dieser Mann ist gefährlich. Und das nächste Mal, wenn es um deine Sicherheit geht, wirst du mir gehorchen oder ich werde dir so lange den Arsch versohlen, bis du eine Woche nicht mehr sitzen kannst.”
“Was?”
“Du bist gewarnt worden.”
Sie stieß mich weg und trat zurück. “Das sehe ich nicht so.”
Neron konnte sich überall versteckt halten und ich hatte jetzt nicht die Geduld um mit ihr zu diskutieren. Also packte ich ihre Arme und zog sie so nahe an mich heran, dass unsere Lippen sich berührten. “Solltest du dich noch einmal weigern mir zu gehorchen, wenn dein Leben in Gefahr ist, dann werde ich dir den Arsch versohlen, Cassie. Solltest du mich anlügen, dann werde ich dich übers Knie legen und deinen süßen Arsch versohlen, bis er genauso rosa ist wie deine Lippen.”
Sie runzelte die Stirn, aber ihre Augen flackerten verräterisch auf. Jetzt war allerdings nicht der richtige Zeitpunkt, um darauf einzugehen. Aber das würde ich, und zwar schon bald. Ich würde ihre Handgelenke in Gold wickeln und sie erobern.
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