Sie hatten damals nur Spaß gemacht, doch insgeheim hatte sie der Gedanke nicht mehr losgelassen, den Hof eines Tages zu besitzen. Sie wusste, dass sie ihre Träume hier verwirklichen könnte.
Doch heute enthüllte das trübe Nachmittagslicht weniger ansprechende Seiten des Hauses, das abgenutzt und verkommen wirkte. Einem Großteil der Farbe hatten Wetter und Wind über Jahrzehnte den Garaus gemacht. Die Wände als rot zu bezeichnen erforderte schon viel guten Willen. An einigen Stellen waren sie bis zu einer Höhe von einem halben Meter vollkommen morsch. Hier und da türmten sich ramponierte Dachziegel und Eisenschrott zu kleinen Haufen, die in einem Matsch nasser, verwelkter Blätter lagen. Mit einem Gefühl, das zwischen Entzücken und Entsetzen schwankte, sah sie ein, dass es einer gigantischen Anstrengung bedurfte, um dies alles instand zu setzen.
»Pfui Teufel, wie sieht’s denn hier aus!«, rief Olle, als sie den Hofplatz erreichten. Doch betrachtete er den Verfall mit demselben Wohlwollen, mit dem er Kajsa betrachtete. Joakim brauchte nur eine Minute, um einen möglichen Dachsbau unter dem Stall aufzuspüren. Petrus lächelte unbestimmt und schwieg.
Sie ging davon aus, dass die Begegnung der beiden Männer gut verlaufen war. Es war bestimmt die richtige Strategie gewesen, zunächst allein hierher zu kommen. Olle hätte falsche Schlüsse ziehen können, hätte er sie bei seiner Ankunft zusammen mit Petrus gesehen. Sie musste heute behutsam vorgehen, ihre Zunge hüten und sich auf das Wesentliche konzentrieren: dass der Hof ihrer würde.
Gemeinsam drehten sie ein paar Runden, begnügten sich damit, sich umzusehen und mit den Händen zu ertasten, ob eine Heilung der Altersbeschwerden noch möglich war. Petrus war der Sachverständige unter ihnen, dessen Wort das größte Gewicht haben sollte. Doch seine Aufgabe war schwierig. Kajsa kannte seine Einstellung und wusste, dass er zwischen tiefem Misstrauen und dem Wunsch, ihr gefällig zu sein, hin und her gerissen war. So äußerte er sich maßvoll zu den Krankheitssymptomen und hob optimistisch alle Anzeichen für eine mögliche Genesung hervor. Sicher kam ihm seine politische Begabung zu Hilfe, vermutete sie, denn er klang gleichermaßen kompetent wie unparteiisch. Im Großen und Ganzen verlief die Besichtigung so, wie sie gehofft hatte. Sie blieben von unliebsamen Überraschungen verschont, und Olle sah nicht allzu widerwillig aus.
Doch die wirkliche Auseinandersetzung, die den ökonomischen Wert der gesamten Anlage betraf, sollte natürlich erst stattfinden, wenn Leif Rösling auf der Bildfläche erschien. Und das tat er zur verabredeten Zeit, mit an Arroganz grenzendem Selbstbewusstsein, als sei es das Unbedeutendste des gesamten Familienbesitzes, das er hier zum Verkauf anbot.
Kajsa hegte wenig Sympathie für den Mann, und dass er ein harter Verhandlungspartner war, wusste sie aufgrund ihrer bisherigen Bekanntschaft. Allerdings konnte sie sich nicht vorstellen, dass er unehrlich war. Er hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass er ein grober Klotz war. Seine Äußerungen ließen mitunter darauf schließen, dass er eine bornierte Intoleranz gegenüber allem besaß, was außerhalb seines Horizonts lag. Das war vielleicht nichts Ungewöhnliches, doch Leif Rösling strahlte einen gewissen Despotismus aus, der sie veranlasste, sich zu distanzieren. Dennoch hatte er etwas Unbeirrbares. Sie war sicher, dass er in einer langen Tradition rechtschaffener Bauern stand, die beharrlich ihrer Arbeit nachgingen und sich jede Einmischung von außen verbaten.
Er war ein wortkarger Mann, der sich nicht mit dem Austausch von Belanglosigkeiten abgab. Nach einem kurzen Nicken, das der ganzen Gesellschaft galt, sowie einem misstrauischen Seitenblick auf Petrus murmelte er: »Werd mal schauen, wo ich den richtigen Schlüssel hab.«
Er zog einen gewaltigen Schlüsselbund aus seiner Hosentasche, und nach langem Suchen und Probieren gelang es ihm schließlich, das Vorhängeschloss zu öffnen. Die Tür protestierte knarrend, als sie aufgestemmt wurde. Ein nasskalter Luftzug schlug ihnen entgegen, gemischt mit abgestandenen Gerüchen von Dingen, die einer vielfältigen Verwandlung unterworfen waren.
Der Eingangsbereich bestand fast nur aus Türen. Geradeaus führte eine Treppe zum Dachboden hinauf. Darunter befand sich die Tür zu einer Abstellkammer. Hinter der niedrigen, breiten Tür zur Rechten lag der Raum mit den vielen Tapetenschichten, das wusste sie, und dahinter waren zwei Giebelzimmer, die sie jetzt schon als ihre zukünftigen Schlafzimmer betrachtete. Die Tür zur Linken führte in die Küche. Die Männer mussten die Köpfe einziehen, wenn sie durch die niedrigen Türrahmen gingen.
Am Ende der Küche gab es zwei weitere Türen. Hinter der einen lag die geräumige Speisekammer, deren Hintertür wiederum zur Melkkammer führte, von der aus man in den Stall gelangte. Hinter der anderen Tür, auf der Giebelseite des Hauses, befand sich noch ein kleines Zimmer.
Da sie so tun mussten, als sähen sie alles zum ersten Mal, zeigte sich Kajsa äußerst überrascht über die Schrankbetten, die Einbausschränke und breiten Dielen. Joakim hatte sie eingeimpft, seine Zunge im Zaum zu halten. Olle bemühte sich um eine professionelle Miene, die ein wenig gelangweilt und äußerst skeptisch ausfiel.
Während sie schweigend den Raum in Augenschein nahmen, rasselte Leif mit dem Schlüsselbund, als sei er es leid, irgendwelchen Interessenten dieses pittoreske Kleinod anzubieten.
Nachdem sich alle am Wohnhaus satt gesehen hatten, kamen die anderen Gebäude an die Reihe. Der voll gestopfte Stall, der seine Geheimnisse bislang für sich behalten hatte, erwies sich als wahre Schatzkammer.
Sobald Leif das aufgetürmte Gerümpel ein wenig zur Seite geräumt hatte, sickerte ein trübes Licht durch die zugewachsenen Fenster. Kajsa warf nur einen flüchtigen Blick auf die Boxen für die Kühe. Ihre ganze Konzentration galt dem Gerümpel, das ihr nicht uninteressant erschien. Es dauerte nicht lange, da hatte sie bereits Kopf- und Fußteil eines verschnörkelten Eisenbetts entdeckt, die an der Wand lehnten, sowie eine hohe Kommode mit hübschen Beschlägen, auf der sich interessante Bilderrahmen stapelten. Sie sah ein Büfett, auf dessen glatter Oberfläche noch die Reste einer Bauernmalerei zu erkennen waren, einen abgeblätterten Küchenschrank sowie einige ramponierte Stühle, alles von ehrwürdigem Alter. Wunderbare Dinge, deren sie sich annehmen wollte. Als Leif im nächsten Augenblick hilfsbereit anmerkte, man könne den ganzen Schrott ja einfach rausschmeißen und abfackeln, hätte sie vor Schreck beinahe einen Schluckauf bekommen. Warte nur, bis der Vertrag unterschrieben ist, dachte sie empört, dann darfst du diese Dinge nicht mal mehr ansehen.
Nachdem auch Scheune, Schweine- und Hühnerstall sowie eine verwirrende Menge von Kammern, die sie nicht eindeutig zuordnen konnte, begutachtet worden waren und er all ihre Fragen knapp, aber höflich beantwortet hatte, waren ihre Nerven zum Zerreißen gespannt.
Olle hatte verlangt, dass er die Verhandlungen allein führte und sie sich in keiner Weise einmischte, doch sie bereute bereits, darauf eingegangen zu sein. Denn eines war sicher: Olle würde auf keinen Fall die geforderte Summe bezahlen wollen. Sie sah harten Verhandlungen entgegen.
Durch unangenehme Versicherungsstreitigkeiten gestählt und den Umgang mit durchtriebenen Kunden gewohnt, unterließ er es nicht, jeden Mangel, den er sah, einzeln zur Sprache zu bringen. Außerdem machte er hinreichend deutlich, dass er im Grunde gar kein Interesse an dem Hof habe. Und da auch Leif überhaupt kein Interesse an einem Verkauf zeigte und nicht einmal versuchte, die Qualität seiner Ware zu verteidigen, tat sie es an seiner Stelle, da sie fürchtete, Leif könne ansonsten die Geduld verlieren und sein Angebot zurückziehen. Dafür erntete sie einen tödlichen Blick von Olle, den sie wütend erwiderte. Petrus hielt sich demonstrativ zurück, während Joakim überall herumsprang, als gehöre der Hof bereits ihnen.
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