1 ...8 9 10 12 13 14 ...27 Tak . . . tak . . . der Motor surrte . . . tat unermüdlich seine Pflicht. . . Draussen glitten im Mondschein die Schatten von Bäumen vorbei . . . auffallend langsam . . . Es ging steil die Strasse aufwärts . . . immer noch langsamer . . . aber da war schon, nach drei, vier Metern, die Steigung überwunden. Der Wagen hatte sie gerade noch ohne Zurückschaltung auf langsamere Gangart gemacht — das war ein bekannter Trick guter Chauffeure, den Schwung des Anlaufs auszunutzen. Nun holte die Limousine oben förmlich Atem, lief auf dem ebenen Boden los, vergrösserte reissend ihre Schnelligkeit, stürmte wie ein durchgehender Gaul mit der vierten Geschwindigkeit und Vollgas hinaus in die Nacht.
Hoffentlich in der gehörigen Richtung, bei dem wahnsinnigen, immer noch wachsenden Tempo . . . Er spähte durch die Stirnscheibe nach vorn. Schnurgerade, von Bäumen eingefasst, dehnte sich im grellen Mondschein die Landstrasse. Sie schien dem Auto entgegenzuschiessen in der wilden Jagd. Es war der richtige Weg. Gut so, dass der Kerl am Steuer die Karre auf Tod und Leben laufen liess . . . . .
Ja, wo war er denn?
Der innen im Wagen fuhr sich mit der Hand an die Stirne: Er sah ganz deutlich durch die Scheibe draussen das freie Lenkrad. Keine Hand an seinen Speichen. Kein dunkler Rücken eines Fahrers zwischen dem Steuer und dem Innern des Wagens. Der Platz des Chauffeurs war leer. Die Limousine raste führerlos hinaus in die Nacht.
Ein Blitz durch das Hirn des aufspringenden Mannes . . . Ein Gedanke: Der Kerl hat in vierter Geschwindigkeit die Steigung genommen, ist oben, zwei Schritt vor der Höhe, wo es ganz langsam ging, abgesprungen und hat die vierzig Pferdekräfte allein weiterrennen lassen . . .
Die Wagentür auf . . . Heulend umpfiffen ihn die Luftwirbel der rasenden Fahrt . . . Hinaus . . . den Fuss auf das Spritzlech . . . über den Werkzeugkasten weg . . . die Hand nach der Messingstange der Windscheibe vorn . . . Sie fasst . . . der Körper schwingt sich hinterher . . . Kinder — das habt ihr fein gemacht . . . Nur an eins habt ihr nicht gedacht: An das Entschlusstempo eines Kampffliegers, der Dutzende von Malen sein Leben nach Bruchteilen von Sekunden gerechnet hat . . .
Die Landstrasse . . . Noch immer streckte sie sich als breites, gerades Band . . . Aber wie lange noch? Das Auto frass sie in sich hinein. Jede Krümmung war der Tod . . . .
Seine Füsse erreichten den Boden des Führersitzes. Vorsicht: Nicht auf die Bremse treten! Sonst überschlagen wir uns dreimal in der Luft — der Wagen und ich . . . Er schob die Schultern nach — schaute nach vorn . . . da tauchte es plötzlich aus der Nacht . . . rechts . . . links am Weg . . . Nun wusste er, warum der Mann am Steuer diese Stelle zum Absprung gewählt: Grell leuchteten auf grossen Tafeln, im Mondschein weithin sichtbar, die Gefahrwarnungen auf — die blitzartige Zickzacklinie: ‚Achtung: Kurve!’ . . . Drei, vier grosse Aufschriften: Alle Automobilverbände von Deutschland warnten: ‚Achtung! Kurve!’ Es musste eine der gefährlichsten Stellen in deutschen Landen sein, auf die das Auto atemlos Sturm lief.
Die weissen Flecken der Warnungstafeln waren im Hui in der Nacht zurückgeblieben. Da vorn, im Schwarzen, Unbekannten, war der Tod. Zwei Füsse hat der Mensch. . . zwei Hände! . . . Zwei Hände und zwei Füsse griffen blitzschnell, meisternd, in die durchgehende Maschine. Die Kuppelung ausgetreten — die Hand am Schalthebel . . . . det Motor gedrosselt . . . Da: Zum zweitenmal am Weg aus der Mondnacht wachsend die Warnungstafeln: Achtung! Kurve! . . . Nun bremsen . . . vorsichtig . . . vorsichtig . . . der nächste Augenblick hiess Gefahr. Da schwenkte schon die Landstrasse ganz plötzlich, jäh, in scharfer Krümmung steil abwärts. Er konnte eben noch den immer noch rasenden Wagen hart an den Geländerbalken fangen und herumwerfen, die unter dem Anprall wie Streichhölzer geknickt worden wären. Während er das Lenkrad drehte, sah er zwischen seinem erhobenen rechten Ellenbogen und seinem Körper tief da unten ein einsames Licht vor einem Wächterhaus in dem Steinbruch, der da zwei Zoll neben ihm sich senkrecht in den Abgrund klüftete.
Immer neue scharfe Kurven. Die Strasse senkte sich, seitlings von dem Steinbruch, in vielen steilen, kurzen Schlangenwindungen zu Tal. Jede einzelne hiess für einen führerlosen Wagen das Ende seiner Fahrt. Aber die Maschine war gebändigt, gebremst, gedrosselt. Sie trudelte gehorsam ihres Wegs. Rannte flink unten im Wiesengrund durch schlafende Dörfer, verträumte Felder, mondhelle Wälder weiter. Der sie lenkte, hatte keine Zeit nachzudenken. Nach München . . . nach München . . .
War er schon in Bayern? Er fuhr durch einen Hohlweg. An der roten Sandsteinwand prangte schwarz aufgemalt der Sowjetstern. Mit Teerpinsel darunter: „Hoch Moskau!“. Er wusste, dass er sich noch in Thüringen befand. Weiter! . . . weiter . . . Die Nacht nutzen . . . Der helle Tag heisst neue Gefahr . . .
Zuweilen übermannte ihn die Müdigkeit. Er fiel am Steuer in sich zusammen. Der Kopf sank ihm auf die Brust. Er riss sich, mit hartem Gesicht, hoch. Er befahl sich: Du bleibst wach! Du bleibst stark! Du musst!
Und wieder schaute er aufmerksam vor sich in die Nacht. Lenkte mit klarem Kopf den Wagen. Es tat not. Die Strasse war hier schwierig, im Gebirge. Er sehnte sich nach den blau-weissen Grenzpfählen. Oder war er schon, gespannt mit Weg und Wagen beschäftigt, unversehens daran vorbeigefahren? Da tauchten die ersten Hakenkreuze auf . . . an den Hauswänden, an den Mauern, an den Prellsteinen, an den Bäumen. Er war in Bayern . . .
Er atmete tief auf. Er fuhr weiter, immer weiter, halb wie im Traum, und doch in dem zähen, belebenden Willen: Nach München! Der Wille sass neben ihm und lenkte das Rad. Der Wille rief ihm ins Ohr: Nach München! — und scheuchte Hunger und Durst. Der Wille gab ihm von Zeit zu Zeit einen Rippenstoss: Schlaf nicht! Nach München! Der Manneswille hielt ihn wach. Stund’ um Stunde durch dämmerndes Land. Schon schwindet das Holzfachwerk der fränkischen Bauernhäuser und macht den langen, flachen Dächern der weissen, altbayerischen Höfe Platz. Der Himmel wird fahl. Die Hähne krähen. Hütet euch vor dem gallischen Hahn, ihr Freunde in München — ihr Blutbrüder des grossen Kriegs . . . Ich komme . . . ich komme . . . . . .
Wenn nur das Benzin reicht! . . . Er opferte eine Minute . . . Schaute nach . . . Der Lebensstoff stand nur noch einige Zoll hoch im Tank. Er presste die Lippen zusammen. Fuhr weiter. Es muss langen . . . bis München . . . .
Heller, grauer Herbsttag. Kalt die Luft hier oben auf der bayerischen Hochebene. Noch schlummert die Welt. Kein störendes, verschlafen auf falscher Seite trottendes Bauernfuhrwerk auf der Strasse. Er horchte im Fahren, ob es im Motor knallte — ob die Zündung aussetzte. Noch war Benzin da. Er pumpte Druckluft nach. Weiter. Weiter.
Die ersten Leute am Weg. Viehhändler. Ein Bulle zwischen ihnen, mit verbundenen Augen. Schaut, wie ihr mit dem Biest fertig werdet! Ich habe keine Zeit, zu stoppen! Ich muss nach München. Ein Gendarm. Er geht im Dienst über Land. Er blickt gleichmütig dem Auto nach. Gott sei Dank! . . . Herrgott im Himmel — wenn du endlich mal wieder was für Deutschland übrig hast, dann lasse mir ein paar Tropfen Benzin im Tank . . . Die Benzintropfen, die hier fehlen, die fliessen als Blutiropfen überm Rhein . . . .
Noch immer läuft der Wagen . . . läuft . . . läuft . . . läuft . . . Lauf’, lieber Wagen: Du hast Deutschlands Todfeinden, seinen unterirdischen Maulwürfen und giftigen Nattern, gedient. Jetzt bist du. Deutschlands glüchaft Schiff! Trägst Leben und Freiheit deutscher Männer!
Er hätte auf die heisse Haube des Motors klopfen mögen wie der Reiter auf die Mähne des treuen Rosses: Halte nur aus — halte nur aus — dass dir nicht im letzten Augenblick die Lebenskraft versiegt . . . Himmel — hilf — hilf einem guten Deutschen . . . Hier ist das Land des frommen Glaubens . . . Überall hier am Weg hängt der Heiland am Kreuz, lächelt im Opferschrein das Bild unserer lieben Frau . . . Tu’ ein Wunder . . . Lasse den Tank nicht leer werden — bis München . . .
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