„Ich kann mir das nicht länger anhören, Flasch“, sagte Franziska endlich erschöpft, „von den Gefangenen und den Verkäufen der Ämter habe ich erfahren, wenn auch nicht durch meinen Gemahl … der sagt nie etwas davon und will auch nicht darüber ausgeforscht werden. Aber jetzt muß ich ihn direkt fragen, ohne Umschweife! Wie soll ich denn an so einen Hof gehen und einen Knicks machen, wenn ich das weiß?“
Flasch schwieg erschrocken. „Euer Gnaden“, flüsterte er sehr förmlich, „vergeben mir Euer Gnaden gütigst, aber der Herr Baron von Leutrum dürfen in keinem Fall auch nur einen Schimmer von dem erfahren, was ich – etwas übertrieben und ausgeschmückt – der gnädigen Frau erzählt habe. Der Herr Baron sind Hofbeamter und ich …“
„Ach, Flasch, das laß Er meine Sorge sein, er braucht ja nicht zu ahnen, wer mir’s gesagt hat.“ „Madame, er wird es bald genug herausbringen, wenn Sie auch nichts verraten …“ Flasch trat bedrückt beiseite. „Wenn mich die gnädige Frau je ein bißchen geschätzt haben, meine treuen Dienste, dann bitt ich flehendlich um Ihr Schweigen! Mir steht noch das verzweifelte Gesicht meines Coiffeurmeisters vor Augen, des Reich, den man ohne Verhör und Verhandlung im September 56 hat verschwinden lassen, zuerst auf den Hohentwiel und danach auf den Asperg; er ist seit ein paar Jahren frei; ich weiß aber nicht, ob er noch lebt.“
„Der Reich?“ fragte Franziska erschreckt, „und warum ist der verhaftet worden?“
„Ich darf nicht noch mehr sagen, Frau Baronin. Ich fürcht, ich hab mich so schon ins Unglück geredet, der Reich hat damals nichts anderes getan als ich eben.“
„Flasch“, sagte Franziska erschreckt, „ich versprech’ Ihm, daß ich nicht nachfragen werd’, ich versuch’ das alles zu vergessen, als wär’s nie gewesen .. so gut ich’s halt kann.“
Sie stand vom Putztisch auf und entließ den blassen Flasch mit einem beruhigenden Lächeln.
Der Sommer ging hin. „Hier in Pforzheim hab’ ich nicht viel von Blumen und Bäumen, auch wenn du mich ausfährst, Reinhard“, sagte Franziska traurig, „laß mich doch einmal heim nach Adelmannsfelden, ich hab’ dort viel zu bereden, meine Kleider möchte ich selber in Ordnung bringen, und erst kürzlich ist mein Vater krank gewesen – wer weiß, wie lang er’s noch macht.“
„Unsinn, Frau“, Leutrum sah kaum auf und duckte den großen Kopf hinter einem Nachrichtenblatt, „dort ist nichts für dich zu lernen, was einer Dame von Stand zukommt, zwischen den Kühen und Geißen und Hennen – was willst du bei denen?“
„Du hast mich da herausgeholt und hast gewußt, woher ich kam“, sagte sie vor sich hin; dann hob sie die Augen, als hoffte sie, doch noch verstanden zu werden. „Es sind ja die Eltern und es ist ein altes, gutes Geschlecht – nichts Unrechtes haben sie mir mitgegeben.“
Leutrum wurde das Thema langweilig. „Geh, wenn’s dir so viel gilt“, warf er hin, „aber bleib nicht zu lang – ich mag mich nicht anstieren lassen, nur weil meine Frau nicht hier ist.“
Sie schaute auf, spürte seinen unsicheren Blick und fürchtete, er nähme die Zusage zurück. „Danke – das ist eine gute Aussicht –“, sprach sie schnell in sein Gesicht hinein. „Der Herbst ist schön bei uns, ein paar Wochen beim Äpfelpflücken … und die große Stube ist warm und gemütlich.“
Leutrum sagte nichts mehr. Er rief den Hund, der in der Ecke schlief, und ging hinaus. Unter der Tür drehte er sich um. „Du dozierest heut wie ein Buch und gar nicht mehr so schwäbisch – ist das dem Heimfahren zulieb?“
Franziska mußte ihm innerlich recht geben. Unbewußt wurde ihre Sprache steifer und gemessener, wenn sie mit Leutrum zu tun hatte, weich und ohne Zwang fühlte sie sich nie bei ihm. Aufwachen und keine Angst haben, dachte sie sehnsüchtig, und sich nicht grausen vor dem, was am Abend war und wieder sein würde!
Ein paar Tage später kam er angetrunken heim – er sah häßlich aus, wenn er, verschwollen vom Wein, mit glitzernden kleinen Augen, in einer meckernden Angeregtheit hereintrat. Franziska kannte ihn so. Aber sie hatte in den Monaten, die sie mit ihm zusammenlebte, gelernt, ihm zu begegnen: mit freundlicher Aufgeräumtheit, damit er nicht spürte, wie sie sich zusammennahm. Ruhig, mit einer Handbewegung, lud sie ihn zu sich ans Tischchen, das ihr die Zofe gerade gedeckt hatte. Sie schenkte ihm Tee in ihre Tasse, noch ehe eine zweite gebracht wurde, lächelte und reichte ihm Konfekt. Dann erzählte sie beiläufig, der Medikus Raiser sei eben dagewesen, nur einer privaten Visite halber, ohne Anlaß. Und er habe sie gefragt, warum sie so durchscheinend blaß aussehe, und sie habe ihm gesagt, es sei leider nicht das, was sie gern als Grund gesehen hätte; er habe darauf gemeint, so möchte sie doch die Landluft suchen, ein paar Wochen, das helfe oft auch dazu.
Leutrum nickte verlegen und riet jetzt selber, aufs Land zu reisen. Sie werde glücklicher, robuster, lebhafter zurückkehren.
Schon zwei Tage später fuhr Franziska nach Adelmannsfelden. „Ich hab’ geschwindelt“, beichtete sie abends Louise, „denn es wär mir bang und angst, wenn ich Kinder haben sollt vom Leutrum; aber darauf hat er mich endlich reisen lassen.“
„Morgen kommt Besuch, oder eigentlich nur einer, der sich vorstellt“, berichtete die Schwester später, „ein junger Mann, der sich beworben hat, den Kleinen Unterricht zu geben. Der Dorfschullehrer ist ein Schafskopf, und den Weber hat ja der Vater verjagt – leider!“
Anderntags rückte in einem rumpeligen Postwagen ein Mann an, der sich erst von der Station zum Schloß durchgefragt hatte, ein rundlicher, rotbackiger Mensch, nicht allzu ordentlich angezogen, mit kleinen feurigen Augen und einer hohen Stirn. Er kam aus Geislingen, wo er Schullehrer war, und hieß Friedrich Christian Daniel Schubart. Franziska führte ihn zum Vater, und solange er auf den Freiherrn wartete, unterhielt sie ihn munter; seit sie wieder zu Hause war, schwatzte sie gern. Er stellte sich vor, mit einem ungewandten Bückling, bei dem ihm das Blut in die Stirn schoß. Der dunkelblaue Schoßrock stand hinten weit ab, die Gestalt wirkte im Aufrichten voll und gedrungen; das ließ ihn älter erscheinen als er war, achtundzwanzig Jahre …
Die flinken klugen Augen intensiv auf die junge Frau gerichtet, seufzte er: „Solche Mode und solche Haare und Hände gibt es freilich nicht zu Geislingen, und daß es sie zu Adelmannsfelden im Ellwängischen gäbe, hätt ich niemals gedacht!“ Franziska lachte ihn an. „Nein, bei meiner Ehr!“ schwärmte Schubart weiter, „da wird man zum Dichter, so man’s nicht eh schon ist! Der Lippen Purpur, ihre Wangen / Dran tausend Amoretten hangen … “
Sie lachte lauter. „Herr Schulmeister, das wär’ aber ein bißle schwer – da hätt’ ich demnächst die reinsten Hängebacken von Ihren tausend Amoretten!“ rief sie.
„Es kommt mir von selber, das Reimen“, entschuldigte er sich, „es fließt wie geschmiert, so das Fäßlein angestochen wird!“
„Ich hab’s aber nicht angestochen!“ Sie konnte vor Vergnügen kaum sprechen. „Und wenn der Herr Vater Sie so reden hört, Herr Schubart, stellt er Sie bestimmt nicht ein für die Juliane und die Eberhardine, das kann ich Voraussagen!“
Der junge Dichter setzte eben zu einer neuen Beteuerung an, als der Freiherr hereintrat. Eilig, sorgenvoll und kritisch beschaute er den Aspiranten, der hastig aufgesprungen war.
„Er kommt aus Geislingen und ist gebürtig aus Aalen?“ fragte Bernerdin streng.
„In Aalen aufgewachsen, aber geboren zu Sontheim.“
„So, so, evangelisch?“
Sein Vater sei Diakon zu Aalen, erwiderte Schubart.
„Gut.“
Und er sei jetzt in Geislingen Lehrer, aber wenig befriedigt – ein geringes Entgelt, obwohl er nicht anspruchsvoll sei, und in der Schule schmutzige Buben, ungebärdige und …
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