Utta Keppler - Charlotte von Schiller

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Charlotte von Schiller wurde bisher immer nur als Ehefrau des Dichters Friedrich von Schiller wahrgenommen, die domestiziert und gebildet ist, wie es die Gesellschaft ihrer Zeit verlangt hat. In diesem Buch wird ihre Persönlichkeit dem Leser mit einem klaren Blick auf Briefe und Aufzeichnungen Charlottes näher gebracht und versucht ihr Dasein und Wesen begreiflich zu machen.-

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Utta Keppler

Charlotte von Schille

Saga Egmont

Charlotte von Schiller

Copyright © 1986, 2017 Utta Keppler und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

All rights reserved

ISBN: 9788711708507

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.comund Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk– a part of Egmont www.egmont.com

Zum Gedächtnis des 20. Februar 1790

Lottes und Schillers Hochzeit

Als das Geschick dereinst zu süßem Lohne

Mir zu Begleitern Lieb und Treu gegeben,

Da deucht’ ich mir zum Himmel aufzuschweben,

Das Leben reichte seine Blütenkrone!

Nun faßt nur Sehnsucht jene hellen Sterne

Im Himmelsraum; die Zeit gebiert nur Schmerzen

Und Glaub’ und Wahrheit fliehen in die Ferne,

Nichts stillt die Wehmut im zerriss’nen Herzen.

Die Sorge naht im grauen Nebelschleier

Und will für die Geliebten, die mir blieben,

Kein freundlich Bild der Zukunft mehr enthüllen,

Nicht eilen wir zu Tagen froher Feier:

Das Schicksal will des Herzens Kräfte üben,

Und nicht auf Erden wird der Schmerz sich stillen.

Charlotte von Schiller, geb. v. Lengefeld

Vier Jahre nach Schillers Tod, 20. 2. 1809

1. Kapitel

Jugend in Rudolstadt

Die Magd vom Heisenhof rannte in den Stall und schrie: „Hannes! Hannes! Anschirren – den Doktor – der Herr …”

Die beiden Kinder liefen aus der Haustür, hinter ihnen Frau von Lengefeld. Sie stolperte an der Schwelle und fiel der Magd in die Arme.

Der Kutscher zerrte das Pferd aus dem Stall; es sträubte sich, weil es den Aufruhr spürte.

Droben am Fenster – ein Schattenriß vor dem erleuchteten Zimmer, schwankte eine dunkle Gestalt hin und her, geisterhaft, zuckend, unbeholfen; einen Arm als schwarzen Strang sahen sie von unten, die Hand ans Fensterkreuz geklammert, dann fiel die Erscheinung zusammen und verschwand.

Frau von Lengefeld hatte alles beobachtet, soweit sie dazu imstand gewesen war; sie rannte, wie gepeitscht vom Schrecken, zur Treppe und hinauf, die Magd ihr nach. Die Töchter am Eingang hörten die fliegenden Röcke rauschen.

Die Stimmen der Frauen klangen wie Schluchzen von oben, die Kinder liefen nach, Charlotte vorweg, die Neunjährige, hinter ihr die rasche rundliche Karoline; alle standen sie dann im Halblicht der Kerze, die die Magd – noch glostend – aufgehoben und hingestellt hatte: Auf das Bett gesunken hing der Freiherr, der Vater, Carl Christoph von Lengefeld, den Mund offen, die Augäpfel weiß: sie wußten gleich, daß er tot war.

Luise von Lengefeld, geborene von Wurmb, war nach einer fünfzehnjährigen Ehe Witwe, Mutter ihrer zwei kindlichen Töchter, und dabei Pachtherrin auf Roschwitz und Pippelsdorf, einem Steinschen Gut, das Heisenhof hieß und nicht viel mehr war als ein großer Bauernhof mit mäßiger Wirtschaft und einiger Schuldenlast.

Es gab Kühe und Pferde, auch die in bescheidener Zahl, nicht üppig gepflegt, und Wiesen und Felder, über die Luise kaum den rechten Überblick hatte.

Was sie kannte und wußte, war ihr von Kindheit an tief eingeprägt worden, als Verpflichtung, als Lebensgefühl: daß sie adlig sei und das darzustellen habe, was der Hof erwartete.

Der großherzoglich Schwarzburg-Rudolstädter Hof war von je das Maß aller Dinge für die kleinen Gutsbesitzer, den Landadel der Gegend, und Luise sah deshalb für sich und die Töchter, nachdem das bescheidene Vermögen verbraucht war, keine Zukunft außer einer Stellung bei der fürstlichen Familie.

Ihre Lage war ihr nicht gleich klar gewesen, als der Mann, befürchtet wohl, aber dann doch überraschend, gestorben war: Sie hatte den viel Älteren geheiratet, wie es ihr vorgeschrieben und angelegentlich geraten worden war. Und da sie als arme Adlige wenig Möglichkeiten hatte für eine eigene, vollends für eine Liebeswahl, hatte sie sich an den achtundzwanzig Jahre älteren Lengefeld gebunden, der ein rechtschaffener und zuverlässiger Charakter war und als Oberforstmeister des Fürsten eine sichere Stellung hatte; freilich gehörten zu seinem Amt Kontrollgänge und Überprüfungen der Förster, genaue Kenntnis der Waldbestände, des Bodens, der wirtschaftlichen Nutzung.

Aber eben auf diese umsichtige Geschäftigkeit kam es an, und Lengefeld, der Alternde, hatte mehr und mehr unter Schmerzen der Gelenke und einer zunehmenden Taubheit der Glieder gelitten, als der Arzt, den man endlich befragte, auch Augenschäden und unkontrollierte Bewegungen feststellte.

Das Übel, das der Freiherr mit unerbittlicher Beherrschung unterdrückt hatte, schließlich vortäuschend, was er nicht mehr leisten konnte, brach endlich – scheinbar plötzlich – über ihn herein: eine Lähmung, die ihn auf einer Seite bewegungsunfähig machte.

Er mußte dann in einem Wagen gefahren, auf einer Trage herumgeschleppt werden, mit Schmerzen und mühsam nur imstande, die unebenen Waldpfade zu bewältigen.

Wenn er zu Hause anlangte, brauchte er allerlei Pflege, Wärmung, Tränke und Einreibungen, und Luise wurde schließlich ganz zur Pflegerin, zu einer manchmal übermüdeten und gereizten Gehilfin, und gewöhnte sich an, vieles allein zu tun, um die Dienstboten über den wirklichen Zustand des Herrn zu täuschen.

Nach seinem Tod, der als drohender Schatten schon fast seit dem Beginn der Ehe über ihr gehangen hatte, wurde erst deutlich, daß auf eine ausreichende Versorgung, eine Pension für die Witwe kaum zu hoffen war. Es mußte etwas ganz anderes angefangen werden; ein Einschnitt, eine schmerzhafte Kerbe hatte da – plötzlich trotz aller Voraussicht – den gleichförmigen Trott und die einfarbige Behaglichkeit zerrissen.

Vielleicht empfand das Kind Charlotte das deutlicher als die in ihrer Konvention wie in einem nicht mehr gespürten Panzer gehaltene Mutter, und sogar stärker als Karoline, obwohl diese älter war.

Karoline hatte die glückliche oder gefährliche Anlage, alles farbiger, lauter, eindrucksamer zu erleben als Lotte. Sie verwandelte Äußerliches in Phantasiegebilde, in blumig-geschwungene schwebende Linien, in stilgemäße Ornamente, Formen, die ihrem Wesen entsprachen und die sie ertragen konnte oder sogar herbeiwünschte.

Als man dann den kleinen ländlichen Heisenhof und das eingeengte, aber überschaubare Leben aufgeben und der Sparsamkeit zuliebe nach Rudolstadt ziehen mußte, war es der Mutter um die Nähe des herzoglichen Hofes zu tun, dem man durch die Verbindung zu Lottes Patin, Frau von Stein, näher zu kommen hoffte.

Hatte der leidende Mann schon durch seine Schwerfälligkeit, die nicht nur körperlich war, das Eindringen in die elegante Gesellschaft erschwert, war sein Charakter und vielleicht auch seine ganze Einstellung dagegen gewesen, so suchte die chère mère , wie sie jetzt als Mitte der Familie zärtlich und ein bißchen ironisch genannt wurde, mit allerlei gesellschaftlichen Winkelzügen sich und die Kinder dem herausleuchtenden Zentrum des kleinen Fürstenhofes näherzubringen.

Es gab nichts Besseres, die Stufenleiter war vorgegeben, ihre Spitze blitzte als einzig mögliches Ziel. Denn Adel – komme er, woher er wolle – war die Auszeichnung und das Dekor der Erwählten in ihren Augen.

Karoline, die mit sprühendem Witz und gelegentlich scharfem Urteil die gezirkelten Tanzschritte solcher Lebenswege beobachtete, suchte da – wenigstens in ihren Gedanken – manchmal auszubrechen.

Lotte war noch zu sanft, zu angepaßt, zu naiv auch, um sich Kritik zu erlauben. Und gerade sie wurde deshalb von der Mutter dazu ausersehen, als Hofdame zu debütieren, da sie die hübschere, weiblich-sanftere von den beiden Töchtern war.

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