»Warum setzt du dich nicht vorne rein?«
»Nee, alles cool«, meinte er.
Sie schloss die Augen und lehnte sich zurück, dankbar, dass TJ sich um alles gekümmert hatte. Sie hätte nicht einmal gewusst, wo sie hätte anfangen sollen.
»Ist ein Zwölfsitzer nicht etwas zu groß für vier Leute, TJ?«
»Sechs.«
Sie machte große Augen vor Überraschung. »Wen hast du denn noch alles eingeladen?«
TJ sah sie verwirrt an. »Nicht ich – du !«
»Ich habe sonst niemanden gefragt.«
»Oh doch, hast du. Den Doc von Bio-Tec?«
»Jake Kerrigan?«
Sie war geplättet.
Warum hat er seine Meinung geändert?
TJ sah sie verwundert an. »Er hat bei dir angerufen, als du nicht zu Hause warst. Lisa ist ran. Hat sie’s dir nicht erzählt?«
»Nein, aber wie es aussieht, unternimmt Lisa in letzter Zeit so einiges hinter meinem Rücken. Was hat sie ihm gesagt?«
»Er solle mich anrufen. Als ich ihm die Details erklärte, meinte er, er wäre mit dabei. Er bringt auch noch Verstärkung mit.«
»Wen?«
»Seinen Forschungsassistenten.«
***
Als sie am Vancouver International Airport ankam, entdeckte sie Peter Cavanaugh, der ein T-Shirt der Edmonton Oilers trug. Er stand am Gepäckschalter von WestJet und neben ihm ein junges japanisches Mädchen.
»Peter, bist du sicher, dass du das tun möchtest?«, fragte Del ihn nervös.
Der junge Mann straffte seine Schultern. »Ja, ich bin sicher, Professor.«
»Nenn mich Del. Bitte. Wir duzen uns hier alle.«
Sie lächelte und bemerkte die leichte Röte, die auf die Wangen des jungen Mannes trat. Dann wandte sie sich an das Mädchen zu seiner Seite.
»Und du bist …?«
»Miki Tanaka«, erwiderte das Mädchen mit sanftem Akzent.
Miki war jung – sehr jung. Sie war nicht einmal eins-sechzig groß und hatte glänzendes schwarzes Haar, das glatt über ihre Schultern hing. Ihr Gesichtsausdruck war ernst und in ihren dunklen Augen lag nicht die Spur eines Lächelns.
Del fluchte leise. Auf die zusätzliche Last, sich auf ihrer Reise auch noch um ein Kind kümmern zu müssen, konnte sie getrost verzichten. Sie musste schon mit genug fertig werden.
Was dachte sich Peter nur dabei?
Sie packte ihn am Arm und bugsierte ihn ein paar Meter von Miki weg.
»Deine Freundin sieht aus, als wäre sie gerade erst aus der Highschool raus, Peter.«
»Miki macht gerade ihren Studienabschluss in Mathematik und, äh, Botanik.«
Sie warf einen flüchtigen Blick hinüber zu Miki, die eher den Eindruck machte, als würde allein ein Nieser sie schon in zwei Hälften zerteilen.
»Es werden ein paar Wochen voller Strapazen sein, Peter. Wir brauchen Leute, die auch mithalten können.«
»Sie ist härter im Nehmen, als sie aussieht, glaub mir. Außerdem sagtest du, du bräuchtest jemanden, um dieses Buch zu entschlüsseln. Sie macht nicht nur einfach ihren Abschluss in Mathematik – sie ist ein wahres Mathe-Genie.«
Del musterte das Mädchen erneut prüfend.
Ein Mathe-Ass, das möglicherweise Schroeders Code lösen kann? Nun, das rückt die Sache in ein völlig anderes Licht.
»Okay, aber du bist dafür verantwortlich, ein Auge auf sie zu behalten.«
TJ zupfte sie am Ärmel.
»Hey, ist das nicht dein Doktorenfreund?«
Als sich Del umdrehte, erschrak sie. Jake Kerrigans Blick traf ihren, und sie merkte, wie er beklommen ausatmete.
»Wir müssen aufhören, uns auf diese Weise zu treffen«, sagte er.
Sie starrte auf seine Lippen, die sich langsam zu einem Lächeln verzogen. Abrupt ließ sie den Blick sinken und betete, dass er nicht bemerkte, wie sehr sie sich freute, ihn wiederzusehen. Dieser Mann löste die seltsamsten Dinge in ihr aus. Sie konnte es vom Kribbeln in ihrem Bauch bis hinunter zum Prickeln in ihren Zehen spüren.
Besitzergreifend legte TJ einen Arm um ihre Schultern.
»Willst du uns einander nicht vorstellen, Del?«
»Dr. Jake Kerrigan, das ist Tyrone Jackson. Mein … Freund .«
Ihr Ex bedachte sie mit einem säuerlichen Blick. »Also eigentlich, Jake, nennen mich alle TJ.«
Die beiden Männer gaben sich kurz die Hand, dann machte Del sie mit Peter und Miki bekannt. Sie war gerade dabei, sich nach Jakes Assistenz zu erkundigen, als sie TJ laut pfeifen hörte.
Vier Köpfe drehten sich synchron um.
Da kam eine atemberaubende Schönheit auf sie zu, mit langen rotbraunen Haaren, die bei jedem Schritt mitwippten. Sie sah aus, als käme sie geradewegs von einer Eveline-Charles-Schönheitsfarm … oder einem Fotoshooting. Selbst ihre Haut war makellos. Zum Teufel, jede Zelle ihres Körpers war makellos.
»Ich danke dir, Gott!« TJ grinste breit und rieb sich die Hände, als die Frau näherkam. »Bitte nimm den gleichen Flug!«
»Francesca Baroni«, merkte Jake trocken an. »Meine Assistentin.«
Jakes Assistentin war alles andere, als für eine Abenteuerreise im wilden Norden gekleidet. Die Frau trug eng anliegende Designerjeans und eine schwarze, bauchfreie Spitzenbluse. Eine Kristallkette spielte in ihrem tiefen Dekolleté Versteck, und Del ertappte TJ dabei, wie er sich um einen Blick bemühte, als die Frau ihre Handtasche richtete. Und es war nicht die Kette, die er unbedingt sehen wollte.
Francesca schien es eilig zu haben, die Vorstellung hinter sich zu bringen. Sie nahm kaum Notiz von Del oder dem Rest der Gruppe. Sie hatte nur Augen für eine Person – Jake Kerrigan.
Jake beugte sich nach unten und hob Francescas Tasche hoch. Er warf sie auf den Schalter, als wäre sie federleicht, aber Del vermutete, dass die Frau genug eingepackt hatte, um einen zweimonatigen Luxusurlaub bestreiten zu können. Ihr Verdacht wurde bestätigt, als ein Flughafenmitarbeiter hinter ihnen mit einem Wagen angerollt kam und eine zweite Tasche ablud.
Jake flüsterte Francesca etwas ins Ohr und die Frau gab ihm einen scherzhaften Klaps. Del fielen die frisch gemachten Gelnägel auf.
Eine wartungsintensive Tussi! , wie Lisa sie bezeichnen würde.
Was in Gottes Namen will sie hier?
Del wollte Jake gerade in der Luft zerreißen, als er sie beiseite nahm.
»Hör zu, lass es mich erklären. Francesca bestand darauf, mitzukommen, damit wir unsere Aufzeichnungen in den freien Minuten fertigstellen können, aber du sollst wissen, dass es für mich oberste Priorität hat, dich bei der Suche nach deinem Vater zu unterstützen.«
»Wieso hast du deine Meinung doch noch geändert?«
»Je mehr ich darüber nachgedacht habe, desto größer wurde meine Neugier. Über Schroeders Progeria. Mir wurde auch klar, dass ich das deinem Vater schuldig bin. Er war ein guter Mann, Del.«
»Ist«, korrigierte sie ihn ruhig.
Jake nickte.
»Ich habe an deinem Freund Schroeder noch ein paar weitere Untersuchungen durchgeführt. Es gibt keine Erklärung, keinen genetisch bedingten Grund für seinen Zustand.«
»Aber was ist es dann, das ihn umbringt?«
»Ich weiß es ehrlich nicht.«
Del auch nicht. Schroeder musste ohne Nahrung und Wasser in den Wäldern herumgeirrt sein. Wie hatte er nur überleben können?
»Könnte es mit etwas zu tun haben, das er gegessen hat?«, überlegte sie.
»Normalerweise würde ich sagen, das ist unmöglich. Er altert rapide, seine Organe versagen zunehmend und wir finden einfach die Ursache nicht. Geschweige denn ein Heilmittel.«
Del blinzelte die Tränen zurück, die ihr zu entwischen drohten.
»Vielleicht, wenn wir zurückkommen?«
Jake trat voll Unbehagen von einem Fuß auf den anderen. »Er ist vielleicht nicht mehr am Leben, wenn wir zurückkommen. Alles, was wir im Moment tun können, ist, es Schroeder so angenehm wie möglich zu machen, Del.«
Und darauf zu warten, dass er stirbt , beendete sie den Satz im Gedanken.
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