»Dein Vater hatte an ein paar Projekten gearbeitet, die mit Nanotechnologie zu tun hatten, aber besonderes Interesse hatte er an Erbkrankheiten. Ich war sehr bestürzt, von seinem Tod zu hören. Wir alle waren es.«
Del zuckte.
Er lebt aber noch!
»Warst du hier, als in das Labor eingebrochen wurde?«, fragte sie.
»Ja, aber ich war in einem anderen Teil des Gebäudes beschäftigt. Es war schon spät, vielleicht kurz vor dreiundzwanzig Uhr. Ich begreife immer noch nicht, wie es jemand schaffen konnte, an der Security vorbeizukommen. Alle Türen sind über Nacht abgeschlossen und mit einem Code gesichert.«
»Also sind die Einzigen, die hineingelangen können, diejenigen mit den Codes?«
»Oder einem ID-Pass.«
Jake hielt eine kleine Karte hoch, identisch mit der, die auch Moran benutzt hatte.
»Hat die Security denn gar nichts gesehen?«
»Doch … einen Geist.«
Erschrocken fuhr ihr Kopf hoch.
»War nur Spaß«, lachte er. »Nein. Es gab einen Fehler im Computersystem. Es zeigte an, dass Neil Parnitski sich eingeloggt hätte.«
»Parnitski? Aber das kann nicht sein. Man hat seine Leiche gefunden, als mein Vater verschwand.«
»Jemand könnte seine Passkarte an sich genommen haben … falls er sie damals bei sich hatte. Allerdings sind unsere Karten nicht gekennzeichnet. Es steht nicht einmal Bio-Tec darauf. Ein Fremder in den Wäldern hätte nicht die leiseste Ahnung, was diese Passkarte entsperren könnte.«
Del biss sich auf die Lippe.
Aber jemand, der mit Parnitski unterwegs war, schon.
Dieser Gedanke beunruhigte sie. Sollte ihr Vater wirklich am Leben sein, warum sollte er in das Labor einbrechen und seine eigenen Daten stehlen? Und warum würde er dann zum Nahanni zurückkehren und sein Leben in Gefahr bringen? Nichts ergab hier einen Sinn.
»Der Computer sollte nun fertig sein«, bemerkte Jake gelassen. »Sehen wir mal, was er so zu sagen hat.«
Nachdem sie ihm wieder zurück ins Labor gefolgt war, las sie die Meldung auf dem Bildschirm.
Keine Dateien gefunden!
Sie hätte losheulen können. Der leere Ordner mit dem Namen ihres Vaters war der einzige Beweis dafür, dass er überhaupt einmal für Bio-Tec gearbeitet hatte. Es war fast, als hätte man ihn … ausgelöscht.
Jake presste die Lippen zusammen.
»Tut mir leid, Del.«
»Ich war mir so sicher, dass ich hier irgendetwas finde. Arnold Schroeder hat es zumindest behauptet.«
»Was genau hat er dir denn erzählt?«
»Er hat irgendetwas über Bio-Tec daher gebrabbelt. Über … ich weiß nicht.«
Frustriert griff sie nach ihrer Handtasche und zog ihren Notizblock heraus. Sie blätterte, bis sie zu ihrer Notiz von Schroeders Anruf kam, und zeigte sie Jake.
»Du musst … Ker … Bio-Tec«, las er vor. »Gehe zurück. Nimm Ker … gan.«
Del schlug sich an die Stirn.
Natürlich, ich Dummkopf! Nimm Kerrigan!
Ihr Kopf schnappte in Jakes Richtung. Sein feines, doch markantes Gesicht hatte einen konfusen Ausdruck angenommen.
»Jake, Schroeder behauptet, mein Dad sei immer noch am Leben – irgendwo am Nahanni River.«
»Nach all der Zeit?«
»Ich weiß, das klingt unmöglich, aber ich glaube ihm. Hat Schroeder denn überhaupt nichts zu dir gesagt, als du im Krankenhaus bei ihm warst?«
»Nicht ein Wort, Del. Als ich seine Krankenakte zu Ende gelesen hatte und in sein Zimmer ging, hatte er bereits seinen Herzstillstand erlitten. Als ich ihn wieder verließ, war er ohne Bewusstsein. Sein Blutbild habe ich von hier ausgewertet.«
»Wie nah hast du meinem Dad gestanden? Ich meine, es muss doch irgendeinen Grund geben, weshalb Schroeder denkt, ich solle dich nehmen.«
Er blinzelte nervös. »Mich wohin nehmen?«
»Zum Nahanni River. Meinen Dad finden. Schroeder denkt, du solltest mit mir kommen. Vermutlich, weil mein Dad dir vertraut hat.«
Sie hielt einen Moment inne.
Vielleicht lag sie ja falsch.
»Er hat dir doch vertraut, oder nicht?«
Jakes Miene entgleiste völlig. »Das kann nicht dein Ernst sein, Del! Wie zum Teufel gedenkst du, ihn nach all diesen Jahren zu finden? Sofern er tatsächlich überhaupt noch am Leben ist.«
»Ich weiß, er ist es! Ich kann es nicht erklären, aber ich weiß es einfach. Ich habe es immer irgendwie gewusst. Als meine Mutter und ich ihn begraben mussten, da wusste ich, dass der Sarg nicht umsonst leer war. Nicht, weil sie seine Leiche nicht gefunden hatten, sondern weil mir klar war, dass es keine Leiche gab .«
»Moment! Ich verstehe nicht ganz, weshalb du mich brauchst. Ich weiß überhaupt nichts über das Verschwinden deines Vaters.«
»Das vielleicht nicht, aber du kanntest meinen Dad, wusstest, wie er denkt.«
Anspannung lag in der Luft, während Del auf seine Antwort wartete.
»Es tut mir leid«, sagte er leise. »Ich kann im Moment unmöglich gehen. Schon gar nicht auf irgendeine sinnlose Unternehmung irgendwo im Norden. Ich befinde mich mitten in einem Mammutprojekt …«
»Vergiss es!«
Sie riss ihm das Notizbuch aus der Hand und rannte zum Ausgang.
Als sich die Türen öffneten, warf sie ihm einen vernichtenden Blick zu. »Bevor er zum Nahanni aufbrach, war der Professor in bester gesundheitlicher Verfassung.«
Als sie keine Reaktion bekam, schnaubte sie verbittert. »Macht es dich denn nicht im Geringsten neugierig, wie er Progeria überhaupt bekommen konnte?«
Sie stapfte aus dem Labor.
Arschloch!
Zwei Wochen später konnte es Del kaum noch erwarten, zum Nahanni River aufzubrechen, doch die rapide Verschlechterung von Arnold Schroeders Zustand verfolgen zu müssen, ließ Zweifel in ihr aufkommen. Was, wenn er tatsächlich nur halluziniert hatte? Wenn er einfach nur von den anderen Männern getrennt wurde?
Was wenn …?
»Morgen, Del«, grüßte TJ.
Es gefiel ihr ganz und gar nicht zu sehen, wie er so völlig nonchalant einfach in ihr Haus spazierte.
»Schon mal was von Anklopfen gehört, TJ?«
Ohne sie zu beachten, wanderte TJs Blick durchs Wohnzimmer. Seiner gekränkten Miene nach zu urteilen, hatte er das leere Tischchen am Fenster bemerkt – die Stelle, an der früher sein Bild gestanden hatte. Sie hatte definitiv nicht vor, ihm mitzuteilen, dass das Foto in Dutzende kleine Schnipselchen zerschreddert worden war. Oder, dass sie damit das Katzenklo ausgelegt hatte.
»Vertragt euch«, flüsterte ihr Lisa ins Ohr.
TJ ließ seinen langbeinigen Körper auf einen Küchenstuhl gleiten. »Wir treffen die anderen am Flughafen. Bist du startklar?«
Del nickte mit dem Kopf auf einen großen Rucksack, der neben der Tür lehnte. Ihre Taschen waren gepackt, seit Stunden zum Aufbruch bereit.
»Auf geht’s.«
Sie hievte das schwere Gepäck über ihre Schulter und deutete in Richtung Tür. TJ und Lisa folgten ihr nach draußen zum Taxi, das bereits in der Einfahrt wartete.
»Gab es irgendwelche Probleme, einen Charter zu bekommen?«, fragte sie und stopfte ihr Gepäck in den Kofferraum.
»Nope«, sagte TJ. »Hab uns ’nen Zwölfsitzer besorgt. Wir fliegen mit WestJet von hier nach Edmonton, nehmen von dort aus den Charter nach Yellowknife und Fort Simpson, dann ein Seeflugzeug nach Rabbitkettle Lake. Hab uns auch ’nen Reiseführer besorgt.«
Das musste Del ihm lassen. Er hatte definitiv seine Hausaufgaben gemacht.
Sie fing Lisa in eine schnelle Umarmung ein. »Vielen, vielen Dank, dass du dich um Kayber kümmerst, Lisa. Pass auf, dass er dir nicht die Haare vom Kopf frisst, und lass auch nicht deinen Kaffee auf dem Tisch stehen. Der Gierschlund wird ihn komplett vernichten. Er ist der reinste Kaffeesüchtling.«
Sie wischte sich ein paar Tränen weg, die ohne ihre Erlaubnis ausgebüxt waren, und setzte sich auf den Rücksitz des Taxis. TJ quetschte sich neben sie, wobei er mit den Knien unbequem gegen die Rückenlehne des Beifahrersitzes drückte.
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