Das muss stutzig machen. Nein, nicht dass Djeparov diesen Strafstoß für Usbekistan ausführte, wo doch anscheinend Kasimov der „Spezialist für Standardsituationen“ war. Sondern dass der Referee, Herr Toshimitsu Yoshida, den Elfmeter nicht wiederholen ließ und stattdessen dem Gegner einen Freistoß zusprach. Das ist ein eindeutiger Verstoß gegen die Regeln. Usbekistans Kapitän wies den Schiedsrichter auch sogleich darauf hin und protestierte gegen die Entscheidung. Der Japaner zeigte sich jedoch unbeeindruckt und beharrte auf dem Freistoß für Bahrain.
Nun muss man zur Ehrenrettung des Unparteiischen anführen, dass er nur ganz knapp danebenlag. Wäre der Schuss zum Beispiel abgewehrt worden, dann hätte das Spiel tatsächlich mit einem indirekten Freistoß für Bahrain fortgesetzt werden müssen (Regel 14.4), weil diese Mannschaft ja unschuldig daran war, dass ein Usbeke zu früh in den Strafraum rannte. Aber Djeparov hatte eben getroffen, somit musste es zwingend eine Wiederholung geben.
Wie das Toshimitsu Yoshida entfallen konnte, ist unerklärlich. Der 42-Jährige pfiff seit 1993 Spiele der J-League in Japan, hatte schon einige andere Partien der WM-Qualifikation geleitet und amtierte sogar beim Weltpokalfinale 2004 zwischen dem FC Porto und Once Caldas als vierter Offizieller.
Zu allem Überfluss stellte sein Black-out alle Beteiligten vor knifflige Probleme. Normalerweise führt ein Regelverstoß des Referees zur Annullierung der Partie, wenn Protest eingelegt wird. Die Spieler aus Bahrain, die Verlierer, konnten sich aber nicht wirklich beschweren, schließlich hatte ihnen Toshimitsu Yoshida ein fast sicheres Gegentor erspart. Die Usbeken hingegen waren zwar benachteiligt worden, hatten eben aber auch gewonnen. Mit anderen Worten: Niemand konnte schon vor dem Rückspiel wissen, was ein 1:0 wert wäre, trotzdem musste schnell gehandelt werden.
Schließlich fiel den Usbeken eine Lösung ein: Sie legten schriftlich Protest gegen die Wertung des Spiels ein – und forderten, das Resultat in ein 3:0 zu verwandeln! Das ging der FIFA dann aber doch zu weit. Sie entschied nach kurzer Beratung, die Partie am 8. Oktober wiederholen zu lassen. Der Leser ahnt sicher schon, was passierte … Genau: Diesmal kamen die Usbeken nicht über ein 1:1 hinaus. Vier Tage später endete das Rückspiel in Bahrain mit dem unter den geschilderten Umständen geradezu unvermeidlichen 0:0, dem schlimmstmöglichen Resultat aus Sicht der Usbeken, die jetzt wegen der Auswärtstoreregel ausgeschieden waren. Hätten sie keinen Protest gegen die Wertung der ersten Partie eingelegt, wären sie als Sieger aus dem Duell hervorgegangen und nur 180 Minuten von der WM entfernt gewesen. (Bahrain unterlag nur ganz knapp gegen Trinidad und Tobago, das nach Deutschland reisen durfte.)
Über ein Jahrlang, zwischen Dezember 2001 und März 2003, konnte kein Elfmeter gegen 1860 Münchens Torwart Simon Jentzsch verwandelt werden. Insgesamt versuchten sich neun verschiedene Schützen in der Meisterschaft, dem DFB-Pokal und dem UI-Cup, aber keiner brachte den Ball regulär ins Tor. So imposant Jentzschs Serie auch ist, sie ist nicht wirklich einzigartig.
In der Saison 1979/80 gelang Thomas Zander etwas Ähnliches, und auch er hütete das Tor der Löwen! 1860, damals Aufsteiger, spielte am ersten Spieltag beim 1. FC Köln. Die Münchener verloren zwar 2:1, aber Zander parierte zwei Elfmeter innerhalb von nur zwanzig Minuten (gegen Herbert Zimmermann und Harald Konopka). Das war der Auftakt zu einer beeindruckenden Saison, in deren Verlauf die Schiedsrichter sieben Elfmeter gegen die Löwen verhängten, die alle nicht (direkt) zu Toren führten. Zander hielt Schüsse von Horst Hrubesch, Wilfried Hannes, Werner Lorant und Paul Breitner; Hans-Günter Neues traf den Pfosten. So ganz lupenrein war Zanders Rekord jedoch nicht, weil er den sechsten dieser Strafstöße (den von Breitner) zwar abwehrte, der Nachschuss jedoch den Weg ins Netz fand. Der TSV 1860 selbst bekam in dieser Spielzeit fünf Strafstöße zugesprochen und vergab zwei von ihnen. Mit anderen Worten: 1979/80 pfiffen die Referees in Partien mit Beteiligung der Löwen 12 Elfmeter, von denen aber nur vier verwandelt werden konnten – wie gesagt, einer davon erst im Nachschuss.
Im Oktober 2002kam es bei einem Erstligaspiel in Madagaskar zu einem folgen- und torreichen Streit zwischen dem Schiedsrichter und dem Trainer des Teams Stade Olympique l’Emyrne. Aus Protest gegen den Referee begannen die Spieler von Stade Olympique Eigentore in Serie zu fabrizieren, und die Partie endete mit 149:0 für den Gastgeber AS Adema. Diese Anekdote machte auch in deutschen Zeitungen die Runde, obwohl ihr Wahrheitsgehalt nicht abschließend geklärt werden konnte. Gesichert sind jedoch zwei andere Fälle, in denen Teams absichtlich Eigentore erzielten – wenn auch das zweite dieser Spiele noch unglaublicher wirken mag als ein 149:0 …
Zunächst aber zum Spiel zwischen Thailand und Indonesien beim sogenannten „Tiger Cup“ aus dem Jahre 1998. Der Sieger der Partie sollte in der nächsten Runde auf den hohen Favoriten Vietnam treffen, deshalb strengte sich keine der beiden Mannschaften besonders an. Wenige Minuten vor dem Ende (es stand 2:2), entschieden sich die Indonesier, das Ganze durch ein Eigentor zu entscheiden. Die Spieler aus Thailand bekamen diesen Plan jedoch mit und eilten geschlossen nach vorne, um das indonesische Tor zu verteidigen! Das gelang ihnen auch bis zur Nachspielzeit: Da konnte Indonesiens Torwart Mursyid Effendi endlich den Ball in seinen Besitz bringen, woraufhin er sich umdrehte und das Spielgerät ins eigene Netz pfefferte. Der ungewollte Sieger Thailand verlor das Halbfinale gegen Vietnam, aber der frohe Verlierer Indonesien unterlag ebenfalls (gegen Singapur). Beide Mannschaften erhielten eine Geldstrafe, und Effendi wurde lebenslänglich gesperrt.
Aber es geschehen noch seltsamere Dinge. Im Jahre 1994 galten für die Meisterschaft der Karibik (damals „Shell Cup“ genannt) einige ungewöhnliche Regeln, die unter anderem daher rührten, dass die FIFA mit dem „Golden Goal“ experimentierte. So wurden bei Unentschieden auch die Gruppenspiele verlängert und im „Sudden Death“ entschieden. Nun ergibt sich bei dieser Praxis natürlich die Frage nach dem Torverhältnis, denn es kann ja für ein Team von Nachteil sein, dass es in der Verlängerung nicht mehr als nur einen Treffer erzielen kann. Um einen solchen Fall auszuschließen, wurde festgelegt, dass ein „Golden Goal“ doppelt zählen würde. Und das führte prompt zum vielleicht witzigsten Spiel der Fußballgeschichte.
In der Vorrundengruppe A spielten Barbados, Grenada und Puerto Rico. Am 23. Januar gewannen die Puerto Ricaner mit 1:0 gegen Barbados. Zwei Tage später unterlagen sie Grenada mit 0:1. Schon hier kommen die eigenwilligen Regeln des Wettbewerbs ins Spiel, denn dieses Tor fiel in der Verlängerung, zählte also doppelt – womit Puerto Rico ein Torverhältnis von 1:2, Grenada eines von 2:0 aufwies.
Am 27. Januar trafen nun Barbados und Grenada im abschließenden Spiel aufeinander. Barbados konnte noch Erster werden, wenn die Mannschaft mit zwei Toren Unterschied siegte; Grenada reichte eine knappe Niederlage zum Weiterkommen. Barbados ging rasch 2:0 in Führung, aber sieben Minuten vor dem Ende gelang Grenada das wichtige Anschlusstor. In den Reihen der Akteure aus Barbados machte sich nun nicht nur Verzweiflung breit – sondern vor allem große Verwirrung. Würde man in nur sieben Minuten noch das 3:1 schaffen? Oder … Oder wäre es nicht besser, per Eigentor das 2:2 zu schießen, das Spiel in eine 30-minütige Verlängerung zu schicken und auf ein „Golden Goal“ zu hoffen, das dann ja praktisch einen Endstand von 4:2 bedeuten würde?
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