Tess lächelte unverbindlich. Whitney hatte ihr grobe Umrisse derjenigen vermittelt, die sie heute treffen würde, aber sie hatte keinen Grund, das preiszugeben. »Baltimore ist nicht unbedingt die Stadt, in der es besonders schmissig zugeht. Wenn Sie nicht aufpassen, dann haben Sie beim Sprechen bald auch ein R in Worten wie Wasser und waschen .«
Jack Sterling beugte sich zu ihr hin. Seine Augen waren noch blauer als die Streifen auf seinem Hemd. »Wie geht es in Baltimore denn zu?«
Bevor ihr eine kluge Antwort einfiel, kamen die anderen Chefs in den Saal. Ein bisschen schuldbewusst, als wäre er dabei erwischt worden, sich mit dem Feind zu solidarisieren, nahm Sterling zwischen ihnen Platz.
Die vier sahen einander ähnlicher, als sie wussten. Alle weiß. Keiner jünger als 35 oder älter als 60. Zwei Anzüge – graue Nadelstreifen an dem kleinsten Mann, offenbar dem Herausgeber Randall Pfieffer IV., und ein grelles Türkis an der einzigen Frau, Managing Editor Colleen Reganhart, die über jene Kombination aus dunklem Haar, heller Haut und wässrigen Augen verfügte, die man auf der Monaghan-Seite von Tess’ Familie schwärzestes Irisch nannte.
Der letzte Mann war ebenso angezogen wie Sterling, aber sein blau gestreiftes Hemd war ein wenig besser gearbeitet, sein roter Schlips schwerer und seidiger.
»Lionel C. Mabry«, sagte er, und er streckte Tess eine schlaffe Hand hin. Natürlich, die Haare. Wie hatte sie die Haare übersehen können? Die Haare waren dünner, als Tess sich vorgestellt hatte, und Whitney war ungewöhnlich taktvoll gewesen, sie als blond zu beschreiben, aber es war tatsächlich eine Mähne. Mabrys Haar war grau-gelb, wie verdünnte Pisse. Davon abgesehen hielt er sich gut, er hatte etwas Patrizierhaftes an sich. Aber alles an ihm war irgendwie ein wenig mürbe – er murmelte, seine braunen Augen wirkten abwesend, sein Händedruck war schlapp.
»Setz dich, Lionel«, befahl Colleen Reganhart. Sie verlieh seinem Namen eine Extrasilbe und damit etwas Feminines. Li-o-nelle . Er lächelte sie an, als wäre er dankbar für die Anweisung, und dann glitt er in einen der großen Lederstühle am Tisch. Colleen saß links von ihm, Jack rechts. Tess und der Herausgeber saßen jeweils an einer Stirnseite, eine merkwürdige Anordnung.
Pfieffers Stuhl, das fiel ihr auf, war ein wenig höher, vielleicht, um ihm einen Vorteil zu verleihen, den er an Land nicht hatte, denn er war keine 1,60 cm groß. Deshalb wurde Randall Pfieffer IV. von den Angestellten hinter seinem Rücken Eins-Sechzig genannt. Der Spitzname war nicht liebevoll gemeint, aber doch großzügig, immerhin gestand er dem Herausgeber ein paar Zentimeter mehr zu, als die Natur es getan hatte. Aber sein thronartiger Stuhl war eine Fehlkalkulation: Seine Füße erreichten den Boden nicht, sodass erst recht auffiel, wie klein er war. Glücklicherweise hatte er kein Problem, mit seiner hohen heiseren Stimme den Saal zu füllen. Glaubte man Whitney, so war er Cheerleader in Dartmouth gewesen (»Wenn es zur Sprache kommt, sag ›Brüller‹«).
Er eröffnete das Meeting. »Miss Monaghan, wir haben Sie heute hergebeten, weil wir eine Aufgabe zu vergeben haben, für die Diskretion, Takt und gewisse Kenntnisse über unser Geschäft vonnöten sind. Man hat uns versichert, dass sie über all diese Qualitäten verfügen.«
Whitney hatte also richtig dick aufgetragen. »Das hoffe ich, Mr. Pfieffer.«
»Ich möchte Ihnen gegenüber betonen, dass, soweit es uns betrifft, kein Verbrechen begangen wurde, es sind auch keine Fehlinformationen weitergegeben worden. Wir sorgen uns nur, weil wir die Wynkowski-Story am Sonntag veröffentlichen wollten. Die – ungeplante – Veröffentlichung hat uns dazu gezwungen, für den Sonntag nach einer weiteren Seite-eins-Story Ausschau zu halten. Es stört uns, dass unsere Producer … umgangen wurden, was zu diesem Dilemma führte.«
Dreißig Sekunden Gespräch, schon lag die erste Lüge auf dem Tisch. »Selbstverständlich«, stimmte Tess zu, und aus reiner perverser Fröhlichkeit setzte sie hinzu: »Ist Computerbetrug nicht ein Bundesvergehen? Wenn Sie wirklich herausfinden wollen, wer dahintersteckt, ist das FBI doch wahrscheinlich viel besser ausgerüstet, Ihr Rätsel zu lösen.«
Die Redakteure sahen einander an. Jack Sterling begann zu sprechen, wurde aber von Reganhart unterbrochen.
»Wie Randy schon sagte, stehen wir zu der Story, obwohl es uns nicht überraschen würde, wenn dieses Arschloch Wynkowski uns verklagt. Ich möchte noch einmal betonen, dass er keinerlei Gründe für eine Klage hätte. Bisher hat man uns noch auf keinerlei Irrtümer hingewiesen, und ich denke, er muss sich als Person der Zeitgeschichte ansehen lassen. Also müsste er einen echten Fehler nachweisen. Aber wir würden es bevorzugen, wenn die Öffentlichkeit nicht erfährt, dass die Story eigentlich nicht … eigentlich später veröffentlicht werden sollte. Das könnte das Vertrauen unserer Leser in unser Produkt erschüttern.«
Produkt. Colleen Reganhart hatte definitiv die Seiten gewechselt. Wenn man Reporter war, dann war es eine Story, ein Artikel, dein eigen Blut auf der Seite. Je höher man in der Struktur wanderte, desto eher könnte es sich auch um Dosenschinken handeln.
»Sicher, wenn Sie das FBI oder auch nur die Polizei Baltimores um Hilfe bitten, könnten Sie nicht kontrollieren, was mit den Informationen geschieht, die Sie aufdecken«, sagte Tess unschuldig, als dächte sie laut nach. »Wenn sich herumspräche, dass die Story aus Versehen – Entschuldigung, dass sie zu früh – veröffentlicht wurde und dass es Ungenauigkeiten darin gäbe, könnte Wink Wynkowski vielleicht tatsächlich Unachtsamkeit nachweisen, was notwendig ist, damit eine Person des Zeitgeschehens Klage erheben kann. Auf jeden Fall wäre das ein interessantes Verfahren, wahrscheinlich das erste seiner Art.«
Reganhart zog die Augenbrauen hoch; dunkle gerade Linien, die sie aussehen ließen, als würde sie die ganze Zeit missbilligend schauen. »Vielleicht. Unsere Anwälte sagen, dass er Nachlässigkeit beim Umgang mit unseren Sicherheitssystemen nachweisen könnte. Aber das ist alles. Wir stehen zu unserer Story. Wir sind sogar durchaus stolz, diesen elenden Scharlatan vorgeführt zu haben.« Mit ihrem rabenschwarzen Haar, dem knallblauen Anzug und dem frechen Mundwerk erinnerte sie an den elenden Myna-Vogel, den man aus dem Zoo Baltimores hatte entfernen müssen, weil er Besucher beschimpfte.
»Aber wieso haben Sie so eine heiße Story nicht publizieren wollen?«, fragte Tess. »Mir ist schon klar, dass es keinen echten Wettbewerber gibt, aber Sie würden doch eine solche Geschichte bringen wollen, bevor Wynkowski seinen Letter of Intent mit der außerstädtischen Basketballmannschaft unterzeichnet. Es wäre doch schrecklich, erst zu berichten, dass die Stadt eine Mannschaft bekommt, und dann nachzuschieben, dass der Besitzer niemals den Prüfungen der NBA standhalten würde. Und was wäre, wenn die Stadt schon begonnen hätte, in die neue Sporthalle zu investieren, nur um dann festzustellen, dass Wink schon Angebote für seine Mannschaft einholte?«
Mabry schien sich für eine Sekunde zu konzentrieren, wie ein autistisches Kind, das einen Moment lang klar denken kann. »Nachrichten auszuwählen ist keine Wissenschaft, Miss Monaghan. Man muss Interessen abwägen. Männer können ihre Vergangenheit auch hinter sich lassen. Es ist nicht unsere Aufgabe zu beurteilen, ob Mr. Wynkowski als NBA-Eigentümer geeignet ist oder nicht. Oder die Entscheidungen vorwegzunehmen, die die Liga treffen wird. Wir wollen in diesem Sinne keine ›Mitspieler‹ sein. Wir mussten uns fragen, was relevant ist. Was ist fair? Ist es wirklich notwendig, Mr. Wynkowskis unangenehme, aber letztlich irrelevante Vergangenheit zu enthüllen? Und wenn wir das tun, sollte er dann nicht das Recht haben zu erfahren, wer ihm die Vorwürfe macht? Das vor allem war das Problem hier. Es ist immer noch das Problem, das mich beschäftigt.«
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