1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 »Immer noch stabil«, sagte eine fröhliche Krankenschwester, deren Onkel wahrscheinlich nicht im Koma lag.
» Immer noch stabil. Ist das nicht redundant?«, schnauzte Tess und knallte den Hörer wieder auf. Sie schüttete sich Kaffee in den Rachen, der heiß und kräftig genug war, ein ordentliches Brennen hinter dem Brustbein auszulösen, dann überflog sie die Titelseite. Nichts Interessantes über dem Bruch. Sie arbeitete sich zur unteren Hälfte der Seite, dem Teil, der normalerweise für Features und langweilige, aber aus irgendeinem Grunde notwendige Geschichten reserviert war. Feuchtgebiete, Abstimmungen, Sozialhilfereformen. »Pflichtficks«, wie einer ihrer ehemaligen Redakteure so schön gesagt hatte.
Aber Feeneys Autorenzeile zierte dieses spezielle Stück Text auf der Titelseite. Und außer der Headline war nichts Langweiliges daran.
QUELLEN DEUTEN AUF WYNKOWSKI-PROBLEME HIN
Von Rosita Ruiz und Kevin V. Feeney,
Beacon-Redakteure
Gerard S. »Wink« Wynkowski, jener Millionär aus eigener Kraft, der versprochen hat, seiner Heimatstadt eine professionelle Basketballmannschaft zu kaufen, kann seinen Traum vielleicht nie verwirklichen, wenn man bedenkt, wie es um seine Firmen steht und was es mit seiner bunt gescheckten Vergangenheit auf sich hat, in der unter anderem eheliche Gewalt und eine verheerende Spielsucht zu Problemen führten, erfuhr der »Beacon«.
»Bunt gescheckte Vergangenheit?«, fragte Tess laut, sodass der eilige Geschäftsmann sich lieber noch ein paar Sitze weiter von ihr wegsetzte. »Oh, Feeney, bitte sag mir, dass du das nicht geschrieben hast.«
Davon abgesehen war es Feeneys Story, genau wie er sie ihr geschildert hatte. Wie hatte er nicht wissen können, dass sie heute kam? War er so besoffen gewesen? Nein, selbst im Suff hätte er gewusst, dass seine Geschichte in der Zeitung stünde. Irgendjemand hatte gestern Abend die Chefredaktion umgestimmt. Vielleicht hatte einer der TV-Sender die Story auch in Planung, so unwahrscheinlich das auch sein mochte.
Wynkowskis Firmengruppe »Montrose Enterprises« ist nur noch ein Kartenhaus, in dem das Geld von einer Tochterfirma zur anderen wandert, um Engpässe zu vertuschen und für Cashflow zu sorgen. Seine Gläubiger reichen wortwörtlich von A bis Z – von »Ambulanter Notdienst« bis zu »Zippys Druckerei«, welche die Flyer für die Veranstaltung am Inner Harbor druckten.
Wynkowski hat es stets geschafft, seine größten Lieferanten zu bezahlen, aber kleinere Firmen sind oft gezwungen, ihn zu verklagen, um alte Schulden einzutreiben, was daran zweifeln lässt, ob Wynkowski über genügend Geld verfügt – benötigt werden geschätzt 95 Millionen Dollar –, um eine Mannschaft in die Stadt zu holen.
Selbst wenn Wynkowski den Deal finanziell stemmen sollte und sogar noch das Geld aufbringt, die monatlichen Kosten einer Mannschaft zu decken, würde eine Überprüfung seiner Person sicher zu einem Abbruch seiner Verhandlungen mit der NBA führen, wenn die Liga feststellt:
– Glaubt man Freunden und Bekannten, ist Wynkowski ein unverbesserlicher Spieler, der große Summen auf Sportereignisse setzt.
– Er führte eine dramatische erste Ehe, in der die Polizei des Öfteren wegen ehelicher Gewalt einschreiten musste, berichten Quellen, die dem Paar damals nahestanden. Er zahlt seiner ersten Frau großzügigen Unterhalt, denn der Schaden, den er ihr über die Jahre zugefügt hat, macht es ihr unmöglich, einer Arbeit nachzugehen.
– Winks Aufenthalt im Jugendgefängnis, den er gern harmlosen Streichen zuschreibt, war die Folge einiger bewaffneter Überfälle, die er beging, als er die Junior High School besuchte.
Damals landete Wynkowski in der Montrose School, einer bekannten und mittlerweile geschlossenen Jugendstrafanstalt, deren Namen er für seine Firmengruppe übernahm. Eine Quelle bestätigt, dass er drei Jahre dort blieb, was ungewöhnlich lang ist.
Aber in der Montrose entdeckte Wynkowski auch sein Talent für Basketball. Es gelang ihm aufgrund seiner Erfolge an der Southwestern High School, die Erinnerungen an seine unschöne Vergangenheit auszulöschen. Mittlerweile ist er ausgesprochen wohlhabend und spendet großzügig an lokale Wohltätigkeitsorganisationen. (Siehe Basketball, SA)
»Du hast es ja doch noch geschafft, Feeney.« Tess sagte das wieder laut. »Gute Arbeit.« Mit einem zufriedenen Seufzer las sie den Rest einer Story, die sich zweifelsohne als Grabrede für Baltimores Traum von einer Basketballmannschaft erweisen würde. Feeney hatte recht, da war alles drin – Verbrechen und Geld. Und als Bonus noch eine geschlagene Ehefrau! Feeney und Rosita hatten einen Dreiertreffer gelandet.
Baltimore teilte Tess’ Stolz über Feeneys Arbeit nicht unbedingt. Während sie den Rest ihrer bürokratischen Laufarbeiten absolvierte, war die Wink-Winkowsky-Geschichte in der Stadt in aller Munde. Der allgemeine Tenor war: Wegen der schlechten Nachrichten im Beacon würde die Stadt jetzt vielleicht keine Basketballmannschaft bekommen.
»Ich weiß nicht, warum die immer an allem meckern müssen«, hörte sie einen Mann im Sandwich-Laden Never on Sunday grummeln, während sie auf ihr extrascharfes Putensandwich mit Tomate und Salat wartete. »Aber es würde natürlich auch zur NBA passen, dem armen Kerl das erste bisschen schlechte Publicity vorzuwerfen.«
»Ja, die Schweine suchen ja bloß nach einem Grund, nicht zu unterschreiben«, stimmte der Mann am Tresen zu. »Sie hassen Baltimore.«
Darin waren sich alle in der Schlange einig, selbst die, die den Anfang des Gesprächs gar nicht mitbekommen hatten. Sie hassten Baltimore. Die NBA, Washington, D.C., die Vorstadtbewohner, die vor Jahren zusammen mit ihren Steuergeldern abgehauen waren. Die Ostküste, die Städte im Westen, die Gesetzgeber in Annapolis. New York, Hollywood, Großfirmen, kleinere Firmen, Gott, das Universum. Sie alle hatten sich einvernehmlich gegen das arme kleine Baltimore verbündet.
Eine schmerzhaft klare Frauenstimme durchschnitt das allgemeine Elend.
»Herrgott, Leute, erspart mir das Gejaule. Darauf habe ich nun gar keine Lust. Gleich sind wir wieder bei der weltumspannenden jüdischen Bankenverschwörung. Könnt ihr nicht mal einen Moment die Klappe halten, während ich auf mein Grilled Cheese Sandwich mit Bacon warte – ohne Tomaten, die schmecken um diese Jahreszeit wie tote Tennisbälle.«
Die Stimme war Tess bekannt, die Attitüde erst recht.
»Whitney Talbot«, sagte Tess und drehte sich um, sodass sie ihre alte Freundin betrachten konnte. »Was machst du denn in dieser Gegend?«
»Tess! Ich wollte dich schon ewig anrufen. Seit du dich mit diesem kleinen Jungen eingelassen hast, bleibt dir keine Zeit mehr für deine jungfräuliche alte Freundin.« Dieses Informationsbruchstück erweckte für einen Augenblick das Interesse der anderen Anwesenden an Tess, aber schnell wanderten die Blicke wieder hinüber zu Whitney. Tess war rot angelaufen und vom Winde zerzaust – und der hinreißenden Person, die aussah wie die Göttin des Rasenhockeys, keineswegs gewachsen.
Whitney Talbot war genauso groß wie Tess, 1,75 cm, aber dünner. Ihre dichten blonden Haare trug sie in einem sorglosen mädchenhaften Bob, und sie gab alle sechs Wochen sechzig Dollar aus, damit die Haare genau nur bis zum Kinn reichten, dem spitzesten Knochen in einem Körper voll langer spitzer Knochen. Das war ihr einziger Makel, falls Talbot überhaupt irgendwelche Makel hatte. Sie war reich und gut erzogen, da hatte man nun mal seine Macken. Tess kannte Whitneys Macken gut: Sie hatten sich im College ein Zimmer geteilt, hatten in einer Mannschaft gespielt, waren gegeneinander angetreten, sie wetteiferten insgeheim, wie es so viele Freundinnen tun.
Tess ging an der Schlange entlang zurück und umarmte ihre Freundin. Verwandelte sie sich wirklich in eine der Frauen, die ihre Freundinnen fallen ließen, sobald ein fester Freund auftauchte? Aber es war auch ein verdammt harter Winter gewesen, man wollte sich einkuscheln, nicht ausgehen.
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