Insgesamt blieb ich drei Wochen in der Klinik. Man inhalierte mit mir, ich bekam Infusionen und diverse Untersuchungen. Nach zwei Wochen ging es mir eigentlich wieder ganz gut und ich wollte nach Hause. Die Ärzte entschieden jedoch, mich zur Beobachtung noch weiter dazubehalten. Zum Glück durfte meine Mutter von Anfang an mit in meinem Krankenzimmer übernachten. Es gab kein Bett für sie, aber das war ihr egal. Sie legte sich einfach zu mir und wich mir nicht von der Seite.
Als ich nach drei Wochen entlassen wurde, war ich das glücklichste Kind der Welt. Ich hätte anschließend noch eine Kur machen sollen, das kam aber nicht infrage. Ich wollte nur noch nach Hause – zu meinen Eltern, zu meinen Geschwistern, in mein eigenes Bett. Rückblickend gesehen wäre es vielleicht schlauer gewesen, weniger stur zu sein. Man hätte mir vielleicht geholfen, besser mit der Angst vor einem erneuten Asthmaanfall umzugehen. Genau das nämlich wurde zu meinem eigentlichen Problem. Das Asthma selbst war in den Griff zu bekommen, aber einige Zeit später wurde bei mir ein sogenanntes »psychogenes Asthma« diagnostiziert. Atemstörungen, ausgelöst in Belastungssituationen, durch Stress und Ängste. Ich hatte zum Beispiel schon Angst, wenn ich mal woanders war als in der mir vertrauten Umgebung. Zuhause fühlte ich mich safe, da waren mein Inhalator und das Asthmaspray immer griffbereit, auch Familienurlaube waren unproblematisch. Aber allein, wenn es darum ging, bei einer Freundin zu übernachten, wurde es für mich problematisch.
Dann kam die Klassenfahrt in der Vierten. Für fünf Tage sollten wir alle in ein Schullandheim in die Alpen fahren. Eine Woche voller Aktivitäten, Ausflüge, Zeit und Spaß mit den Freunden und – das Wichtigste – kein Unterricht, keine Eltern. Eigentlich genau das, worauf sich jedes Kind freut. Bei mir war es genau umgekehrt. In meinem Kopf entstanden die wildesten Szenarien: Ich bin irgendwo in der Fremde, kenne niemanden und plötzlich kann ich nicht mehr atmen und niemand ist da, der mir helfen kann.
Schon Tage vor der Klassenfahrt hatte ich eine panische Angst vor den fünf Tagen. Meine Mutter wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Einerseits nahm sie mich ernst, andererseits wollte sie aber auch, dass ich an den Aktivitäten teilnahm. Sie fand eine Lösung, indem sie mit meinen Lehrern sprach, die sich bereiterklärten, die medizinischen Geräte für mich mitzunehmen, um im Notfall entsprechend reagieren zu können. Ich trat die Reise an und telefonierte täglich mit meiner Mutter. Ihre Entscheidung war goldrichtig. Und natürlich passierte auf der Klassenfahrt nichts von dem, was ich mir ausgemalt hatte. Ich musste lernen, meine Ängste in den Griff zu bekommen und erkennen, dass ich woanders sein konnte und mir trotzdem nichts passierte.
Meine Eltern belastete das alles natürlich sehr. Sie überlegten hin und her, wie sie mir am besten helfen könnten. War der Druck in der Schule vielleicht zu groß? War ich überfordert? Sollten sie mich lieber auf eine Montessori-Schule schicken? Ich hatte dazu eine klare Meinung: Auf keinen Fall würde ich die Schule wechseln, ich wollte nicht weg von meinen Freunden. Zu Hause hatten wir heftige Diskussionen darüber, wie es weitergehen sollte. Ich blieb stur, und am Ende setzte ich mich durch. Auch ohne Schulwechsel änderte sich einiges in meinem Alltag. Wegen des Asthmas durfte ich zum Beispiel keine Süßigkeiten mehr essen. Zucker war tabu. Das war als Kind hart. Heute lebe ich gut ohne Zucker, aber früher, wenn ich bei Freundinnen zu Besuch war, stürzte ich mich auf alles, was nach Schokolade und Gummibärchen aussah. Meine Mutter konnte die Uhr danach stellen, wann sie wieder den Anruf einer irritierten Mutter bekam. »Also, hören Sie mal, liebe Frau Fischer, die Cathy hat wirklich alle Süßigkeiten fast allein aufgegessen. So schnell hat man gar nicht schauen können. Ich hoffe, ihr wird nicht schlecht …« Das wurde es manchmal, war mir aber wurscht. Ich nahm, was ich kriegen konnte.
Und dann, wie gesagt, die Allergien. Die Frage lautete nicht, wogegen war ich allergisch? Sondern: Wogegen war ich nicht allergisch? Sobald es irgendwo nicht zu hundert Prozent sauber war, nur ein bisserl Staub und ich bekam Probleme. In die Nähe von Haustieren durfte ich schon gar nicht kommen. Bei Freundinnen übernachten bedurfte jedes Mal einer guten Vorbereitung. War alles eingepackt, was ich nachts gegebenenfalls brauchen würde? Klar war, vor dem Einschlafen musste ich immer ewig inhalieren. Der Inhalator wurde mein treuester Gefährte. Trotzdem blieb die permanente Sorge, beim nächsten Asthmaanfall zu ersticken.
Bis zu dem Tag, an dem ich endlich asthmafrei war. Das war dann aber auch erst zehn Jahre später. Durch eine konsequente Ernährungsumstellung hatte ich es geschafft, mich selbst zu sensibilisieren. Und die Angst ließ irgendwann nach, vielleicht allein aus dem Grund, dass mein Kopf nicht mehr so viel darüber nachdachte. Damit war der erste Schritt getan, und viele weitere folgten. Bis heute habe ich das Asthma und die Allergien im Griff. Diese Freiheit weiß ich zu schätzen, weil ich weiß, wie es sich anfühlt, diese Unbeschwertheit nicht zu haben.
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