Derweil führten Heubels Reisen immer weiter hinaus in die Welt – erst nach Nordafrika, und auch von dort brachte er seine Einkäufe immer gleich im Mercedes und dem Pferdeanhänger mit. Und schließlich ließ er das Auto zu Hause und flog nach Schwarzafrika, wo er Unmengen von alten und neuen Masken und Figuren einkaufte, säckeweise Amethystdrusen in den herrlichsten Farben und Formen, Fruchtbarkeits- und Regengötter, sowie Jutesäcke voller großer Stränge von bunten Ketten aus Glasperlen. Irgendwann zog es ihn dann in eine andere Gegend dieser Welt – und es folgten die ersten Einkaufsreisen nach Indien, Pakistan, nach Afghanistan, Thailand, nach Tibet und nach Indonesien. Mittlerweile zählen die meisten dieser Länder – wenn man einmal von Pakistan und Afghanistan absieht – zu den beliebtesten Reisezielen, und es ist jedem heutzutage ohne weiteres möglich, eine Reise dorthin zu unternehmen. Das war damals allerdings sehr viel abenteuerlicher. Es gab noch keine Direktflüge, man musste immer mindestens zwei Flug - Unterbrechungen in Kauf nehmen, und in diesen Ländern konnte man auch gar nicht so ohne weiteres einkaufen, weil es diese Art von Export dort gar nicht gab. Und Heubel kaufte einfach alles, was ihm in die Quere kam – und das in unglaublichen Stückzahlen: alte Steinschlossflinten und Perkussionsgewehre aus Afghanistan - mit vielen dieser Waffen hatten die Engländer mit ihrer East India Company im 18. und 19. Jahrhundert ihre Feldzüge unternommen. Die Schlossplatten trugen noch den Stempel des schreitenden Löwen dieser ostindischen Kompanie. Einmal kam im Lager in Köln ein Lastwagen an mit zahllosen enorm schweren Holzkisten, die hoch auf der Ladefläche aufgetürmt waren und die dann von Hand abgeladen werden mussten. Sie enthielten mehr als tausend Gewehre – alles alte Originale mit kunstvoll gearbeiteten und intarsierten Schäften und mit herrlichen Läufen aus feinstem Damast-Stahl.
Alles, was er von dort mitbrachte, bzw. schicken ließ, wurde Heubel in Köln aus der Hand gerissen. Die Kunden lauerten immer schon auf die neu ankommende Ware, und das Geschäft blühte nicht nur - es explodierte geradezu. Heubel, der mittlerweile einen florierenden Handel führte und mehrere Mitarbeiter eingestellt hatte, war für diese ein sehr angenehmer Chef – er hatte immer einen Witz parat, verstand es, Menschen für sich einzunehmen und sie zu motivieren – allerdings auch zu manipulieren. Doch diese und viele andere Seiten sollte ich erst im Laufe der folgenden Jahre kennenlernen. Für mich blieb er erst einmal so etwas wie ein Idol – ich verehrte ihn und war stolz darauf, zum „inneren Kreis“ zu gehören. Denn ich war ja tatsächlich – wenn auch durch Zufall – von der ersten Stunde an mit dabei gewesen. Heubel bot mir auch immer wieder einen Job an – für die Zeit nach meinem Abitur. Er meinte, Studieren sei reine Zeitverschwendung. Er selbst war Bergbauingenieur mit abgeschlossenem Studium, hatte diesen Beruf aber nie ausgeübt. Und er führte sich selbst immer als bestes Beispiel an, wenn er mir erzählte, dass es besser sei, im Leben Gelegenheiten zu ergreifen, sie wahrzunehmen, anstatt Jahre in den Hörsälen der Universitäten zu verbringen. Langsam, aber sicher übernahm ich diese Positionen. Heubel meinte, für mich gebe es immer Platz in seiner Firma, und er könne mir garantieren, dass es kein Land auf der Welt geben werde, das ich nicht in seinem Auftrag bereisen würde. Das war genau das, was ich mir gewünscht hatte – meine Träume schienen in den Gesprächen mit ihm ständig wahr zu werden. Ich sah mich auf dem richtigen Weg – dem für mich richtigen Weg. Allerdings hatte ich in der Firma bisher nur Handlangertätigkeiten ausgeübt, und da war eigentlich nichts, das meinen Talenten oder auch Fähigkeiten auch nur halbwegs entsprochen hätte oder auch intellektuell gepasst hätte – für alles, was ich machte, war ich eigentlich falsch oder überqualifiziert. Das sahen auch meine Eltern so, und sie hingen mir ständig in den Ohren, dass ich etwas „Vernünftiges“ machen solle - etwas, das Hand und Fuß habe und dass ich nicht einem so windigen Menschen wie Heubel auf den Leim gehen dürfe. Nicht nur meine Eltern sahen Heubel als eher unseriös oder windig an. Er kam durch seinen Antiquitätenhandel, der so anders war, als das Bild, das man sich von dieser Branche machte mit ihren Gemälden und antiken Möbeln, mit Statuen und alten Teppichen - offenbar sehr schnell an ziemlich viel Geld, was ja an sich nichts Verwerfliches ist. Aber irgendwie traute man ihm nicht so richtig über den Weg. Er wurde auch mir gegenüber nie konkret, was das Jobangebot anging. Und „immer Platz zu haben in der Firma“ war ja nun eine mehr als vage Jobausschreibung!
Nach dem Abitur hatte ich eine kurze Verschnaufpause, bevor ich am 1. Oktober 1969 zur Bundeswehr musste. Diese Pause hatte ich für eine zweimonatige Reise kreuz und quer durch die USA genutzt; mit Greyhound Bussen war ich von Küste zu Küste gereist, hatte Verwandte in Kanada und in Oklahoma besucht und gesehen, was ich mir hatte ansehen wollen. Doch dann begann – wie meine Mutter mir ja immer prophezeit hatte - der Ernst des Lebens….
Ich habe ja bereits erzählt, dass ich meine Probleme hatte mit Geschwindigkeit beim Essen und dass ich als Kind ziemlich herumgetrielt hatte. Das sollte sich beim Bund sehr schnell ändern. Gleich bei meiner Ankunft erlebte ich den Wechsel von 2 Monaten Freiheit in den USA zum Schützen Arsch – einen Wechsel von heiß auf kalt – sehr kalt! Da ich am allerersten Tag einem Unteroffizier meinen Namen nicht laut genug sagte, musste ich etwa 50 Meter weit bis ans Ende eines Flurs rennen („Laufschritt, Mann!“) und ihm von dort meinen Namen herüberschreien - na, das fing ja toll an!
Die Grundausbildung bei der Bundeswehr – 1969 dauerte sie noch 3 Monate – verbrachte ich in Goslar im Harz. Natürlich lebte ein kleines Stück der Erinnerungen an die Warnung, bzw. die Drohungen meiner Eltern in mir weiter („warte nur, bis du zum Militär kommst…“). Dort war ich aber auch nur einer von vielen – und die hatten fast alle ähnliche Anfangsprobleme mit dem Drill und dem strammen Ton, der dort herrschte. Doch auch, wenn man vieles in der Vergangenheit Erlebte oft und gern idealisiert und in der Erinnerung schöner färbt, als es in Wirklichkeit war („damals war alles besser!“), behaupte ich doch, dass die 3 Monate der Grundausbildung zu den wichtigsten in meinem Leben gehören und auch zu denen, an die ich heute sehr gerne zurückdenke. Denn ich erlebte dort etwas, das ich bis dahin noch nie gekannt hatte: Kameradschaft – etwas anderes als Freundschaft. Man stand füreinander ein – unabhängig davon, ob man sich kannte oder gar mochte, trotz eigentlich unüberbrückbarer Unterschiede, was Bildung und Ausbildung sowie Intellekt anging, und man erlebte eine Gemeinsamkeit, aus der eine große Stärke wuchs. Ich weiß nicht, ob dies ein beabsichtigtes Element in der Ausbildung von Soldaten ist (ich kann es nur hoffen!), aber es stellt sich ganz einfach ein, wenn man eine Gruppe von jungen Männern einem gewissen Druck aussetzt, in dem sie sich zu behaupten lernen, in dem sie auch lernen, miteinander umzugehen und sich bei Laune zu halten. Ich wohnte in einer „Stube“ mit drei „Kameraden“ – alle vier entstammten wir aus völlig unterschiedlichen sozialen und intellektuellen Verhältnissen, aber gerade diese Verschiedenheit erforderte einerseits eine hohe Toleranz und andererseits ein Aufeinander - Zugehen. Ich war ja eigentlich ein verwöhntes Einzelkind – war meine Schwester doch fast 4 Jahre älter als ich. Verwöhnt von Mutter und Oma – bei jedem Wehwehchen war jemand dagewesen, der mich als Kind getröstet hatte, und die meisten Konfrontationen waren von mir ferngehalten worden. Doch hier in Goslar musste ich sehen, wie ich zurecht kam – hier war ich auf mich selbst gestellt – und das zum ersten Mal überhaupt, aber in einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten.
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