Samstags wache ich grundsätzlich früher auf als sonst. Es ist diese Aufgeregtheit wie vor einer Reise. Kurz vor Abfahrt oder Abflug male ich mir aus, was es am Ziel alles zu entdecken gibt. Worauf ich mich freue, weil ich es längst eingeplant, einen Tisch reserviert, ein Buch darüber gelesen habe. Dazu kommt die Vorfreude auf all das, was die Reise an Überraschungen bereithalten wird. Es ist eine immer schon sehr ausgeprägte Neugier, die mich an beinahe jedem Samstag seit bald 30 Jahren so aufwachen lässt, obwohl ich nur auf den Markt gehen werde. Denn dort erwarten mich nicht nur jene Lebensmittel, die ich auf der Einkaufsliste abhaken werde, sondern auch die, mit denen ich gar nicht gerechnet habe. Und vor allem jene Ideen, die beim Marktbesuch und im Gespräch mit den Bäuerinnen und Bauern garantiert immer kommen. Was ich womit kombinieren könnte. Worauf ich schon lange wieder einmal Lust habe. Was zusammenpassen könnte, weil es zugleich Saison hat.
Meine Küche basiert auf Gemüse, weil mich seine unendliche Vielfalt an Arten, Sorten, Konsistenzen, Farben und natürlich Geschmäckern fasziniert. Gemüse schmeckt aber nur dann, wenn es auf der Höhe seiner Reife ist. Saisonalität ist daher die Basis für jede Mahlzeit. Ebenso wenig verhandelbar ist für mich der Fokus auf Geschmack. Die besten Zutaten helfen nichts, wenn sie nicht sorgfältig in köstliche Gerichte verwandelt werden. Dafür sorgen gute Rezepte und Übung im Kochen.
Obwohl ich bei meinen Marktbesuchen (und in unserem Ernteanteil, s. auch S. 13) überwiegend Gemüse, Salate, Kräuter, Früchte und immer auch Blumen der Saison kaufe, nehme ich manchmal auch ein Stück Bio-Rohmilch-Sennereibutter oder luftgetrockneten Bauchspeck vom Bio-Freilandschwein mit. Ich bin weder Veganerin noch Vegetarierin. Aber ich bin überzeugt davon, dass jede Mahlzeit ohne Tier eine sinnvolle ist, vorausgesetzt, sie schmeckt richtig gut. Und ich empfinde die reiche kulinarische Tradition der Kultur, in der ich aufgewachsen bin, als Geschenk. Wozu haben wir unsere Sinne, wenn nicht dafür, dass sie uns zeigen, was uns gut schmeckt und in Folge hoffentlich gut tut?
Zugleich haben wir ein Hirn, Wissen und Erkenntnisse, die uns nahelegen, dass unsere Ernährung bald nicht mehr so funktionieren wird wie bisher: wegen der Erderwärmung, wegen der Weltbevölkerung, wegen der Gesundheit, wegen des Tierleids. Dabei wäre die Lösung einfach: weniger Tier, mehr Pflanze essen. Ich verstehe, dass das im Alltag – auch für mich – oft nicht so einfach umzusetzen ist, vor allem weil wir es nicht gewöhnt sind. Darum schreibe ich Kochbücher wie dieses: um zu zeigen, was alles möglich ist. Immer wieder mal rein pflanzlich zu essen ist für die meisten von uns Neuland, wie eine exotische Küche. Das Ausprobieren macht Spaß, erweitert den Horizont, schmeckt – und ist nebenbei gut für Klima, Umwelt, Tier und Mensch.
In diesem Buch habe ich ausnahmslos Gerichte versammelt, die immer schon rein pflanzlich waren. Sie wurden nur nie als „vegan“ bezeichnet, weil das Wort erst einige Jahrzehnte alt ist: 1962 wurde es erstmals im Oxford English Dictionary genannt. Die hier (und in meinem Bestseller „Immer schon vegan“) vorgestellten Speisen sind oft viel älter. Sie stammen aus rund 30 Ländern der Welt und sie enthalten kein einziges Ersatzprodukt. Wozu auch? Echte Lebensmittel sind möglichst naturbelassen. So können wir in der Küche entscheiden, wie wir sie unserem Geschmack entsprechend bestmöglich einsetzen. Ich halte Ersatzprodukte – wie alle industriell hoch verarbeiteten Nahrungsmittel – für keine gute Idee, weil sie uns mit zugesetzten Aromen, Geschmacksverstärkern, Konservierungsmitteln und anderen Zusatzstoffen unsere Ernährungssouveränität ein Stück weit nehmen. Und weil sie immer gleich schmecken. Wie langweilig! Das Schöne am Umgang mit echten, frischen Lebensmitteln ist ja, wie unterschiedlich sie von Stück zu Stück, von Sorte zu Sorte, von Woche zu Woche aussehen und schmecken.
Die Rezepte in diesem Buch sind nach Saison geordnet. Bei nur einige Wochen oder wenige Monate im Jahr verfügbaren Gemüsen oder Früchten ist das leicht nachvollziehbar, bei anderen Zutaten nicht immer. Für mich sind auch Zubereitungsarten, Würzung und Konsistenz bzw. Charakter einer Speise ausschlaggebend für die Zuordnung zu einer Jahreszeit. Jede Saison enthält Frühstücksideen, kalte, warme und süße Speisen. Frühstück ist für mich eine genauso wichtige Mahlzeit wie die anderen, Abwechslung muss bei allen sein. Die Speisen sind von den Mengen her so gedacht, dass die kalten und warmen (also salzigen) Rezepte satt machen, sie sind nicht als Teil eines Menüs gedacht. Denn so sehr ich gern viel Zeit in der Küche verbringe, so klar ist mir auch, dass im Alltag meist nur Zeit für eine Speise ist. (Frische Früchte S. 33oder Kompott S. 115als Nachspeise gehen aber immer.)
Wenn Sie Zubereitungen für Ihre gerade verfügbaren Lieblings-Zutaten suchen, finden Sie im Register ab S. 180alle passenden Rezepte. Sehen Sie dieses Buch als Reiseführer ins Pflanzenreich, markieren Sie jene Orte/Rezepte, die Sie erkunden möchten und machen Sie sich vorfreudig auf den Weg. Die wichtigsten Reisetipps stehen auf den nächsten Seiten (Die pflanzliche Speisekammer S. 10– 33) und in den Hinweisen zu den Rezepten S. 177.
Neugier haben Sie schon bewiesen, sonst hätten Sie nicht bis hierher gelesen. Richtig spannend wird es im Rezeptteil ab S. 34.
Viel Vergnügen auf der Reise
durch die Pflanzen-Welt!
Katharina Seiser
DIE PFLANZLICHE SPEISEKAMMER
Es gibt ca. 400.000 Pflanzenarten auf der Welt. Nur vier davon decken die Hälfte des Kalorienbedarfs weltweit: Weizen, Mais, Reis und Kartoffeln. Und auch wenn „nur“ knapp ein Viertel aller bekannten Pflanzenarten essbar ist, übersteigt die Anzahl möglicher pflanzlicher Zutaten und Rezepte wahrscheinlich nicht nur mein Vorstellungsvermögen.
Ich lade Sie daher ein, mit mir auf den nächsten Seiten durch die pflanzliche Speisekammer zu spazieren und sich nach Lust, Saison und Verfügbarkeit zu bedienen. Ich möchte Ihnen anhand von Beispielen eine Orientierung in der Vielfalt und den Möglichkeiten geben. Sortiert habe ich die einzelnen „Regale“ der Speisekammer nach ihrer kulinarischen Verwendung, nicht jede Zuordnung ist daher wissenschaftlich oder botanisch korrekt. Manche Zutat ist Neuland, andere kennen wir zwar, haben sie aber noch nie zubereitet. Sie finden für jede Warengruppe Hinweise zum Einkauf und zur Lagerung, aber auch, was man damit machen kann, ob es etwas Besonderes zu beachten und sinnvolles Küchenwerkzeug dafür gibt.
Ich verteufle prinzipiell kein Lebensmittel, verherrliche aber auch keines als Superfood. Wenn Produkt- und Prozessqualität – also die Art und Weise der Herstellung – stimmen, hat jede Zutat ihren Platz in meiner Speisekammer.
Von unserem Food Guide, der uns drei Tage die malaysische Insel Penang mit dem Weltkulturerbe George Town gezeigt hat, haben wir gelernt, wie man auf einem Markt richtig einkauft: First we take a look, then we discuss, and then we decide. Schauen Sie sich die Vielfalt an, hinterfragen und vergleichen Sie kritisch, nützen Sie sie!
GEMÜSE
immer saisonal
Fruchtgemüse, Kohlgewächse, Blatt- und Stängelgemüse, Wurzelgemüse, Lauchgewächse, Solitäre
für: Farbe, Form, Konsistenz, Geschmack, Länderküchen
KARTOFFELN & CO.
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