„Ach, Kerlchen hat ein ganz schönes Temperament. Das hast du ja neulich gemerkt, als wir ihn einspannten.“
Sie liefen miteinander hinter die Halle, holten die Rutsche und trugen sie zum Reiterstübel. Toni, die Wirtin, war schon da; sie polierte gerade ihre Theke und sah etwas verwundert drein, als Petra und Anja mit dem Blechding ankamen.
„Was, um Himmels willen, wollt ihr denn damit?“
„Pscht, Geheimnis!“ sagte Petra. Sie richteten die Rutsche auf – und wirklich, sie paßte auf die Treppe. Petra hatte bereits für Stricke gesorgt, um sie festzumachen. Toni stand dabei und schüttelte den Kopf, war aber gutmütig genug, mit anzufassen. Mit ihrer Hilfe wurde alles ordentlich und so, daß man sich keine Sorgen machen mußte.
„Nun rutschen wir erst mal Probe“, befahl Petra und tat es. Ssssst – war sie unten. Toni lachte.
„Ob Frau Taube auch so runtersausen will?“ fragte sie zweifelnd. Petra bohrte den Zeigefinger in die Schläfe. „Natürlich nicht. Wir halten sie und lassen sie langsam runterfahren.“
„Na schön, ich helfe.“
Zu dritt erschienen sie in Frau Taubes Reich, klopften, hörten „Herein!“ und waren schon mitten im Erklären und Beschreiben ihrer herrlichen Idee. Frau Taube war ganz gerührt. Sie ließ sich von ihnen bis zur Treppe führen.
„Und wie komm’ ich wieder rauf?“ fragte sie zwar noch, aber Petra tat das ab.
„Das findet sich! Erst mal runter, und dann setzen wir Sie ins Reiterstübel ans Fenster, und Sie übersehen die ganze Halle. Das wird herrlich.“
Ja, das verlockte Frau Taube natürlich. Und man merkte ihr an, daß sie Reiterin gewesen war und sicherlich nicht so leicht ein Risiko gescheut hatte, früher, als sie noch Remonten zuritt. Sie setzte sich, ohne sich zu sperren, auf die Rutsche und ließ sich, von Petra und Anja rechts und links gehalten, hinuntergleiten, während Toni unten stand und sie auffing. Denn sehr langsam ging es trotz aller Bremserei nicht. Aber es ging! Unten angekommen, stand sie auf und wanderte an Tonis Arm bis zum ersten Tisch im Reiterstübel, wo sie sich aufatmend niederließ.
„Kinder, ist das schön! Mal wieder woanders sein! Mal wieder in der Reithalle!“ Sie strahlte. Die Mädchen strahlten auch. Toni, die noch nichts zu tun hatte, setzte sich zu Frau Taube.
„Wir müssen jetzt zu unseren Pferden“, sagte Petra. „Aber wir kommen wieder. Und hinauf kriegen wir Sie auch wieder, irgendwie geht das schon.“ Sie stoben ab.
Im Stall war jetzt schon viel los. Die meisten Reitvereinsmitglieder waren schon in Kostümen gekommen, weil sie sich hier nicht umziehen wollten. Sie boten einen bunten Anblick. Da putzte ein Bäckerlehrling mit einer großen Brezel auf dem Rücken sein Pferd, dort kratzte ein Königssohn Hufe aus, und Gero, der winzige, hatte sich tatsächlich als Gartenzwerg verkleidet. Er sollte heute den Freiherrn reiten, ein besonders hohes Pferd, auf dem er sicherlich noch kleiner aussehen würde, als er schon war. Petra platzte fast vor Lachen, als sie Gero da oben hocken sah. Er war probeweise aufgestiegen. Cornelia war noch nicht da. Auf sie waren die Mädchen besonders gespannt.
Der Reitlehrer schien heute besserer Laune zu sein als sonst bei solchen Veranstaltungen. Er trug eine Husarenuniform, die ihm sehr gut stand.
Inzwischen fanden sich immer mehr Schaulustige ein und füllten das Reiterstübel, so daß man dort kaum mehr einen Stehplatz ergattern konnte. Petra sollte heute Desirée haben, hatte sie geputzt und dann Anja zum Halten übergeben, um noch schnell Cornelias Creon fertigzumachen. Cornelia kam und kam aber nicht.
„Sie ist doch sonst so pünktlich“, jammerte Anja, aber Petra sagte sorgenvoll: „Ihr Beruf geht vor. Wenn nun gerade ein Kind auf den Kopf gefallen ist und genäht werden muß …“
„Ausgerechnet heute“, seufzte Anja. Der Reitlehrer kommandierte schon, daß der Zug sich ordnen solle. Da kam Cornelia endlich um die Ecke gesaust, einen Mantel über ihrem Faschingskostüm.
„Petra, du bist ein Engel, daß du mir Creon fertiggemacht hast! Ich konnte nicht eher.“ Sie japste. Petra übergab ihr den Zügel und ordnete sich mit ihrer Desirée ein. Die ersten Pferde des Zuges setzten sich schon in Bewegung, es war wirklich allerhöchste Zeit.
Weil es bergab ging, führten die Reiter bis zur Halle und saßen erst dort auf. Anja hatte schreckliches Lampenfieber, ob sie auch auf Kerlchen hinaufkommen würde. Es mußte an der Tür der Halle schnell gehen, und sie hatte keine Zeit mehr gehabt, den linken Bügel länger zu schnallen. Petras Pferd machte Schwierigkeiten, trat hin und her und riß am Zügel. Beide konnten sich nicht mehr nach Cornelia umdrehen.
Am Eingang der Halle stand zum großen Glück Herr Anders. Er lächelte Anja ermutigend zu und legte seine Hand unter ihr gewinkeltes linkes Bein. Hopp, war sie oben, auch ohne Bügel. Er half ihr noch hinein. Petra war schon aufgesprungen, sie kam auch ohne Bügel auf ziemlich hohe Pferde. Sie ritten in die Halle ein.
Und jetzt, als der Zug rundum ging, konnten sie auch Cornelia bewundern. Wirklich bewundern – sie sah entzükkend aus. Zu einem weißseidenen Anzug trug sie eine weiße Perücke und in der einen Hand eine silberne Rose. Später erfuhren die Mädchen, daß sie den Oktavian aus dem „Rosenkavalier“ darstellte. Sie war bestimmt die Schönste der ganzen Runde.
Alles ging glatt. Anja wagte es ein einziges Mal, zu Frau Taube hinaufzublinzeln, die mit einem entzückten Ausdruck zu ihr heruntersah. Ihre Eltern erblickte sie nicht, auch nicht Onkel Kurt, der natürlich versprochen hatte zu kommen. Die Musik setzte ein, es war über die Maßen schön und prächtig. Der Zug ging dreimal um die ganze Halle, also konnte man jeden einzelnen Reiter und sein Kostüm genau betrachten.
„Wer ist denn das?“ fragte Petra einmal halblaut, als sie in der Ecke wendeten. Hinter Cornelia ritt ein schwarzer Ritter, ganz in Eisen – es war sicherlich eine Papprüstung, aber es sah aus wie Eisen –, das Visier des Helmes heruntergeklappt. Er hatte ein schwarzes Pferd, das sie nicht kannte.
„Keine Ahnung. Wenn du es nicht weißt.“
Die Pferde waren von der Musik etwas nervös, sogar Kerlchen fing ein paarmal an zu tänzeln. So war Anja froh, als der erste Reiter zur Halle hinauslenkte. Nun war ihr eigener Auftritt zu Ende, und sie konnte mit Petra den Vorführungen, die noch kamen, in Ruhe zusehen, nachdem sie ihre Pferde versorgt hatten. Sie atmete auf, als sie sich vor der Halle von Kerlchen gleiten ließ.
„Guter, Lieber. Hast es brav gemacht. Ich hab’ auch ein paar schöne knackige Mohrrüben für dich. Die bekommst du jetzt.“ Sie zog ihn mit sich, die Steigung hinauf. Eben verschwand Petra mit ihrem Pferd im Stall.
„Du, Vater, kannst du mal einen Augenblick mitkommen?“ fragte Petra. Sie hatte sich durch die Menge der Feiernden hindurchgedrängt und endlich ihre Eltern gefunden. Sie saßen in der Baracke, in der man sich sonst umzog, Reitkarten kaufte und abgab und Trensen wusch, die aber heute mit Tischen und Stühlen ausgestattet als Festlokal diente.
„Ja, was gibt’s?“ fragte Herr Hartwig.
„Wir brauchen dich. Wir brauchen einen starken Mann oder zwei.“
Petra war, für ihre Verhältnisse jedenfalls, bemerkenswert schüchtern. Herr Hartwig wunderte sich, stand aber dann doch auf und folgte ihr. Sie gingen zum Reiterstübel.
„Das ist Frau Taube, die Mutter von unserem Reitlehrer, und das ist mein Vater“, stellte Petra hastig vor, als sie angekommen waren. Frau Taube saß noch am Tisch, Toni stand daneben. „Wir haben Frau Taube aus ihrem Stübchen im oberen Stock heruntergeholt, damit sie den Faschingszug sehen kann, und nun möchte sie wieder hinauf.“
„Ja, und?“ fragte Petras Vater verständnislos, aber freundlich.
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