„So, und nun gehen wir noch einen Augenblick zu dir“, sagte Cornelia, zu den beiden tretend, „ich möchte deiner Mutter guten Tag sagen. Sie hat mich gebeten, die beiden Buben anzusehen.“ Anja hatte zwei kleine Brüder, Zwillinge, noch nicht ein Jahr alt. Anja und Petra sprangen von der Kiste.
Es war immer ein Fest, wenn Cornelia ein wenig Zeit für sie hatte. Sie war erwachsen und sprach mit den Mädchen, als wären die es auch. Vernünftig, lustig, ehrlich eigenen Schwächen gegenüber – so, wie es eigentlich Erwachsene sonst nie können. Die biederten sich entweder süßlich-kindlich an oder sahen erhaben auf einen herab. Seit Cornelia durch Anja und Petra auch noch Onkel Kurt, einen Studienkameraden von früher, wiedergetroffen hatte – er war der jüngere Bruder von Anjas Vater –, war die Freundschaft der drei besiegelt. Sie gingen zu Cornelias leicht mitgenommenem rotem VW und stiegen mit ihr ein.
Anjas Mutter freute sich sehr, als Cornelia kam.
„Wie schön! Volker hustet nämlich ein bißchen, und Reinhold –“ sie zog Cornelia ins Schlafzimmer, wo die Zwillinge zur Zeit stationiert waren. Anja und Petra verdrückten sich in die Küche. Sie hatten, wie immer nach dem Reiten, Durst, und suchten eifrig nach etwas Trinkbarem.
„Du möchtest sicherlich Sprudel“, sagte Anja etwas schüchtern. „Mein Vater mag nicht, daß ich welchen trinke. Entweder Milch oder Kräutertee mit Zitrone, sagt er. Die Sprudel sind heutzutage alle mit irgendwelcher Chemie versetzt.“
„Sagt meine Mutter auch. Ich krieg’ nie welchen“, sagte Petra gleichmütig und lachte. „Trinken wir halt Milch. Wenn sie nur kalt ist. Ich hab’ vielleicht geschwitzt auf dem ollen Flieder, den man nur mit aller Kraft vorwärts kriegt.“
Anja atmete insgeheim auf. Immer hatte sie Angst, Petra könnte es bei ihnen nicht schön finden, in der kleinen Wohnung mit den Zwillingen, die ewig umsorgt werden mußten. Petra hatte zwar auch Geschwister, aber größere. Und sie wohnte in einem schönen, großen Haus, das ihren Eltern gehörte. Ihr Vater war Architekt und hatte es selbst gebaut. Anja war manchmal dort.
„Bei euch ist es gemütlich“, sagte Petra in diesem Augenblick und setzte sich mit ihrem Glas Milch aufs Fensterbrett. „Hier kann man so richtig lümmeln. Ich will später auch mal eine Wohnküche haben, Holzwände, Balken an der Decke, schwarze, weißt du, richtig urige. Und einen Herd, in den man noch Holz stecken kann, Reisig, das so prasselt, wenn es richtig dürr ist. Nicht bloß so elektrische Sachen, an denen man knipst, und alles ist fertig.“
„Unser Herd ist aber auch elektrisch“, sagte Anja vorsichtig. Petra lachte.
„Ja, aber sonst ist es schön hier. Vor allem so nah bis zum Reitverein! Ich muß immer erst wer weiß wie weit radeln. Ich würde gern hier wohnen.“
Gerade kamen Mutter und Cornelia herein, jede trug einen der Zwillinge auf dem Arm. Petra sprang vom Fensterbrett und nahm der Mutter Volker ab.
„Welcher ist es denn? Max oder Moritz? Ich werde sie in alle Ewigkeit nicht unterscheiden können.“
„Sie heißen gar nicht –“
„Max und Moritz, weiß ich doch. Volker und Reinhold heißen sie. Aber mit den zweiten Namen hätte ich sie wenigstens Max und Moritz genannt. Ich wünsche mir später auch mal Zwillinge. Die nenn’ ich dann so.“
„Und wenn es Mädchen werden?“ fragte Cornelia amüsiert. Sie mochte Petras sprudelnde Lebhaftigkeit sehr.
„Dann heißen sie – herrjeh, jetzt fällt mir nichts ein! Oder doch, ja – die eine Cornelia, das steht fest. Und Sie müssen Pate sein. Und die andere – fix, sagt doch mal einen Namen, der dazu paßt!“
„Amalia“, schlug Mutter vor. Petra platzte fast vor Lachen.
„Amalia, die Kanallia, mit der engen Talia! Abgekürzt heißen sie dann Corni und Ami. Nein, dann lieber Max und Moritz. – Anja ist heute das erstemal in der Abteilung mitgeritten“, sagte sie dann.
Sie fand, Anjas Mutter müsse das wissen. Es war so wichtig.
„Und?“ fragte diese denn auch sofort gespannt.
„Sie hat es großartig gemacht, ganz toll. Keinen Schnitzer“, sagte Cornelia.
Anja wurde rot.
„Ich brauchte auch nicht zu galoppieren wie die anderen, allein an der Abteilung vorbei“, stammelte sie. Das mußte Mutter schließlich auch wissen.
Mutter sah sie an.
„Fein, Anja“, sagte sie herzlich. „Du, mein Kind, ich muß das unbedingt mal selber sehen. Darf man zusehen kommen? Wenn ich jemanden finde, der mir die beiden Kleinen solange versorgt, komm’ ich zur nächsten Reitstunde mit. Heute in acht Tagen, ja? Darf ich?“
Nun erst fand Anja, daß die erste Reitstunde im Reitverein wirklich schön gewesen war.
… und die erste Fahrstunde
„Was bringst du denn da angeschleppt?“ fragte Herr Anders, als er, um den Stall herumkommend, Petra begegnete. Er war in Hut und Mantel und sah sehr „städtisch“ aus; er hatte heute frei. Petra zog pustend und schnaufend einen merkwürdigen Wagen hinter sich her; zweirädrig, nicht mehr neu, aus Holz, mit Motorrad-Rädern und einer Scherendeichsel aus Leichtmetall.
Anja schob hinten. Beide waren ziemlich atemlos und blieben stehen, als Herr Anders, der Pferdepfleger, sie anredete.
„Einen Dogcart, geschenkt bekommen“, meldete Petra und wischte sich über das Gesicht. „Sogar mit Geschirr. Von Bekannten, die früher Pferde hatten. Schön, nicht wahr?“
„Sehr schön. Und den habt ihr durch die ganze Stadt geschleppt?“
„Nur durch die halbe. Gott sei Dank wohnen die Leute nicht am andern Ende. Trotzdem –“
„Trotzdem. Na, wir werden sehen, was damit zu machen ist“, meinte Herr Anders und ging weiter.
„Nun können wir den Wagen ausprobieren“, sagte Petra zu Anja, die wieder anschob, und nahm die Deichseln auf. „Beim erstenmal ist es vielleicht gut, wenn wir es ohne Erwachsene probieren. Die sehen ja überall nur Schwierigkeiten, wo keine sind.“
Anja schob schweigend weiter. Sie war immer einverstanden, wenn Petra etwas ausheckte; Petra war zwei Jahre älter als sie und seit eh und je im Reitverein. Wenn sie also sagte, sie wollten es ohne Erwachsene probieren, dann war es wohl das richtige. Obwohl – ein kleines Bedenken schlummerte in ihrem Herzen, aber sie drängte es tapfer beiseite. Aufatmend stellten sie den Wagen vor dem Stall ab.
„So, das wäre geschafft. Was wir alles für den Reitverein tun!“ sagte Petra. „Die wissen gar nicht, was sie an uns haben. Mal sehen, ob noch jemand da ist.“ Heute war Montag, Stehtag, wie in allen Reitvereinen. Da viele Leute nur sonntags zum Reiten kommen können, wird an diesem Tag oft von früh um sechs an geritten und auch nachmittags, je nachdem, wie viele Interessenten kommen. Dafür ist Montag Ruhetag für die Pferde. Wer gern ausgeruhte, muntere Reitpferde haben will, schreibt sich für die Stunden am Dienstag ein. Petra wußte das natürlich. Heute war deshalb kein Mensch zu sehen.
„Fein, paßt wunderbar“, sagte sie, „vor dem Abendfüttern ist Herr Anders nicht wieder hier. Komm, wir holen uns Kerlchen.“
„Warum gerade Kerlchen?“ fragte Anja.
„Na ja, ich möchte nicht gern ausgerechnet die Moni einspannen. Womöglich geht sie die ganze Zeit auf zwei Beinen. Ob sie jemals vorm Wagen gegangen ist, weiß ich nicht. Kerlchen aber –“
„Meinst du, Kerlchen war früher ein Wagenpferd?“
„Wenn nicht, wird er es jetzt. Ich bin entschlossen, mit ihm zu fahren. Brav und friedlich, wie er ist, wird er uns keine Schwierigkeiten machen.“
„Na schön.“ Anja war nicht ganz wohl zumute, als Petra den alten guten Kerlchen aus dem Stand holte, ihm das Kopfstück überstülpte und ihn dann vor den Dogcart führte. Aber Petra mußte es ja wissen.
Sie legten ihm den Kammdeckel auf und schnallten ihn unterm Bauch fest, streiften das Brustgeschirr über und schnallten an den Zugsträngen herum, bis sie die richtige Länge zu haben schienen. Das dauerte eine Weile. Sie probierten hin und her, und dann hing in der Mitte noch ein Stück Riemen herunter, mit dem sie nichts anzufangen wußten.
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