Cornelia ritt heute Moni, einen etwas nervösen, hochbeinigen Schimmel, der viel Araberblut haben mußte. Petra hatte ihn schon ein- oder zweimal gehabt und war nur mühsam mit ihm zurechtgekommen. Außer ihnen ritt noch die kleine Bettine auf dem Pferd ihres Vaters, dem Jagdprinz, mit. Bettine war jünger als Anja, aber schon ein paar Jahre im Reitverein. Anja hatte einen heillosen Respekt vor ihr.
Sie selbst hatte immer wildes Herzklopfen, wenn sie aufsitzen sollte, so wie schon bei Dagmar, wo die Pferde doch wirklich gutmütig und leicht zu reiten gewesen waren. Jetzt und hier aber war ihr direkt schwindlig vor Lampenfieber.
„Wart nur, wenn du erst oben bist, wird es besser“, tröstete Cornelia sie in diesem Augenblick halblaut. „Ich kann mir gut vorstellen, wie dir zumute ist. Wenn ich auf ein Pferd steige, das ich noch nicht kenne“, sie klopfte sich mit der Faust auf die Brust, „da randaliert es hier immer.“
„Bei Ihnen auch?“ Anja staunte.
„Bei mir auch. Und das wird wohl so bleiben, bis ich am Stock gehe. Weißt du, wenn es da drin nicht mehr bummert, ist das Beste sowieso vorbei.“ Sie lachte, wie nur Cornelia lachen konnte. Anja seufzte tief auf und zog den Sattelgurt noch ein Loch enger.
Dann war es wirklich so. Kaum hatte sie sich, den linken Fuß im Bügel – wie hoch so ein Pferd war! – und beide Hände am Sattel, hochgezogen und das andere Bein hinübergeschwungen, da war ihr bereits besser. Sie probierte die Bügellänge, legte die Knie an und drückte, wie Petra es ihr gesagt hatte, die Absätze nach unten. Dann nahm sie die Zügel auf. Wisky stand, ohne Zicken zu machen, und wartete darauf, daß das Kommando kam. Die andern waren auch aufgesessen, und jetzt schob der Reitlehrer die Tür auf.
Er ging von einem Pferd zum andern, prüfte Kopfstück und Enge des Gurtes, sagte hier halblaut „Zügel verdreht“ oder „Noch ein Loch nachgurten“ oder „Warum keine Gerte?“ und ging dann auf seinen Platz mitten in der Bahn. Von hier aus hieß es: „Im Schritt anreiten, auf die linke Hand gehen“, und Anja war endlich dort, wohin sie sich so lange Zeit gewünscht hatte: im Reitverein, in der Abteilung.
Die Pferde gingen lautlos in der Lohe, sie hatten sich nach Anordnung des Reitlehrers eingeordnet. Vorn – man sagt: „an der Tete“ – Moni mit Cornelia, dann Petra auf Flieder, dann Bettine mit Jagdprinz und als Schlußlicht Anja auf ihrem Wisky.
„Flotten Schritt reiten, eins, zwei, eins, zwei“, sagte der Reitlehrer, und so ging es ringsum. Anja fühlte, wie ihr Herzklopfen etwas nachließ. So viele lernten reiten, warum sollte sie es nicht lernen? Es war doch keine Hexerei, und wenn man sich alle Mühe gab, mußte es doch möglich sein.
Freilich, die Selbstverständlichkeit, mit der Bettines kleine Hände in den Reithandschuhen – echten Reithandschuhen aus Leder mit ausgespartem Rücken! – die Zügel hielten und wie sie mit den Hacken in die Seiten des Pferdes puffte, war bewundernswert, und sie zu erlangen dauerte sicherlich ein paar Jahre. Und ein sehr, sehr häufiges Reiten. Bettine ritt sicherlich jeden Tag hier, jedenfalls hatte Anja sie immer getroffen, an welchem Wochentag sie auch herkam.
„Und nun: im Arbeitstempo Terrab! Leicht traben!“ rief der Reitlehrer. Wisky, der die Kommandos natürlich seit Jahr und Tag kannte, setzte sich gehorsam in Trab, und Anja merkte jetzt den Unterschied zwischen den Pferden, die sie bisher geritten hatte, und diesem genau. Ein großes Pferd hat meist viel weitere Gänge, andererseits aber trabt es auch weicher. Anja bemühte sich, in den leichten Trab hineinzufinden, sich bei jedem zweiten Schritt emporheben zu lassen und beim nächsten niederzusitzen. Es ging erstaunlich leicht. Sie hatte durch Zufall den richtigen Fuß gefunden; man trabt auf dem inneren Fuß. Im Gelände wechselt man, trabt mal auf dem rechten, mal auf dem linken; in der Halle aber, wo es rundum geht, ist es ein schwerer Fehler, auf dem falschen Fuß zu traben.
Petra mußte das heute passiert sein, denn der Reitlehrer schnaubte sie sogleich an: „Kannst du noch nicht einmal das? Wie lange reitest du denn eigentlich?“
Petra sagte nichts, sie sah nur geradeaus. Vom Pferd aus antworten durfte man nicht, nie – es sei denn, der Reitlehrer stellte direkte Fragen. Dann mußte man genau, klar und laut antworten, nicht etwa herumstottern. Anja hatte viele Reitstunden als Zuschauer miterlebt und wußte daher einiges.
„Auf welchem Fuß trabt man, Petra?“
Das war eine exakte Frage.
„Auf dem inneren Hinterfuß.“ Petras Antwort kam sofort.
„Und das heißt?“ fragte der Reitlehrer weiter.
„Man hebt sich in dem Augenblick, in dem das Pferd das äußere Bein vornimmt.“
„Hm. Scherrit.“
Anja atmete unhörbar auf. Sie rückte sich im Sattel zurecht, drückte die Fersen von neuem nach unten und bemühte sich, kein Hohlkreuz zu machen.
Jetzt ließ der Reitlehrer Cornelia allein angaloppieren. „Hoffentlich muß ich das nachher nicht auch“, dachte Anja und folgte ihr mit den Blicken. Moni sprang in der Ecke gehorsam in den Galopp an, dann aber schien es mit ihrem Gehorsam zu Ende zu sein. Sie kürzte die nächste Ecke ab, legte sich auf das Gebiß und ging mit ihrer Reiterin davon wie das Donnerwetter. Cornelia saß tief im Sattel und versuchte, das Pferd mit dem Gewicht zu lenken. An der nächsten schmalen Seite der Halle hatte sie ihre Moni wieder in der Hand.
„Gut so, richtig, nichts durchgehen lassen“, sagte Herr Taube befriedigt. „Die Abteilung überholen, ja, so. Und noch einmal, dann auf den Zirkel gehen.“
Während Cornelia ihre Lektion ritt, gingen die anderen weiter im Schritt rundum. Endlich hieß es: „Hinten anschließen. Die nächste.“
Das war Petra. Sie hatte natürlich schon darauf gelauert. Ihr Flieder ging sofort in einen verhaltenen, gut kontrollierten Galopp; man sah die Hilfen nicht, die die Reiterin gab. Unerregt und gleichmäßig wie ein Uhrwerk absolvierte Flieder seine Aufgabe. Dann kam die Reihe an Bettine.
„Und ich? Muß ich auch – alleine –“, dachte Anja und preßte die Fäuste um die Zügel. Aber siehe da, der Reitlehrer hatte ein Einsehen.
„Jetzt der Wisky. Terrab!“ kommandierte er, und Trab war Anja schon geläufig. Sie ließ Wisky eine Runde gehen und schloß sich hinten wieder an. Herr Taube lobte sie.
„Gut so. Ganze Abteilung haalt!“
Wie die Stunde verging, wußte Anja später nicht. Gegen Ende schielte sie häufig zu der großen Uhr rüber, die neben dem Spiegel hing, erst nur prüfend, allmählich sehnsüchtig. Der Zeiger kroch – waren es immer noch zehn Minuten, die man aushalten mußte? Endlich, endlich das Kommando: „Rechts dreht, links marschiert auf.“
Nun standen die Pferde nebeneinander, die Köpfe zum Reitlehrer gewandt, und es hieß: „Absitzen.“ Anja erinnerte sich noch daran, daß Petra ihr gesagt hatte: „Nimm ja beide Füße aus den Bügeln, ehe du abspringst!“ und tat es. Lieber Himmel, wie hoch war Wisky, sie hatte das Gefühl, eine wahre Luftreise zu machen, ehe sie in der Lohe landete. Und da passierte es ihr: Sie landete zwar auf den Füßen, setzte sich dann prompt auf den Hosenboden. Alle lachten. Nein, das war kein „Verbrechen“, sondern nur ein kleines Pech. Gott sei Lob und Dank, es war alles gutgegangen!
„Na? Hast dich brav gehalten“, lobte Cornelia, als sie in die Stallgasse neben Anja trat. „Die erste Stunde, das ist immer so eine Sache. Nun hast du es hinter dir, alles ging gut. Gratuliere!“
„Danke!“
Anja war erschöpft und verschwitzt, sie fühlte die Schultern feuern und die Knie zittern, aber sie ließ sich nichts anmerken. Als sie ihr Pferd, genau wie die anderen, nach Vorschrift versorgt hatte, setzte sie sich einen Augenblick auf die Futterkiste.
„Für heute langt’s mir. Aber schön war’s doch“, sagte sie, als Petra sich mit einem „Na?“ daneben hockte. Sie sagte es mit einem seligen Gesicht. Nicht ausgestiegen, nicht einmal angeschnauzt worden – war es nicht herrlich auf der Welt?
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