Das Mantra „Om“ steht für Brahman selbst. Wenn ich es intoniere, ist alles von Brahman erfüllt.
In früheren Kulturen und auch im Schamanismus in China war es üblich, Bai Hui, also die höchste Stelle des Schädeldaches, nach dem Tod der Person einzuschlagen, damit der Geist, falls er noch im Körper gefangen ist, leichter austreten kann.
Für all jene, die Prāṇa in der Todesstunde nicht im Herzen zentrieren und über die Sinnesöffnungen des Kopfes hinausleiten, spricht Kṛṣṇa wie folgt:
Aber jene, die es nicht fertigbringen, meine wahre Natur zu erkennen, müssen wiedergeboren werden. Jene, welche die Devas (wörtlich „Engelswesen“, „Götter“) verehren, werden zum Reich der Devas gehen; jene, die ihre Ahnen verehren, werden nach dem Tode mit ihnen vereinigt sein. Jene, die Phantome verehren, werden zu Phantomen werden; aber meine Devotees werden zu mir kommen.
(Kapitel 8, Vers 24-2.Teil, Vers 25)
In der Brihadaranyaka-Upanischad wird dies noch viel ausführlicher dargestellt:
Jene, die dies wissen, die mit Glauben über die Wahrheit meditieren, während sie im Wald leben, gehen zum Licht, vom Licht zum Tag, vom Tag zu den zwei Wochen der Mondzunahme, von den zunehmenden zwei Wochen zu den sechs Monaten der nördlichen Reise der Sonne, von jenen sechs Monaten zur Welt der Devas, von der Welt der Devas zur Sonne, von der Sonne zum Blitz. Dann nähert sich ihnen ein Geist und führt sie zur Welt von Brahman. In jener Welt leben sie ewige Zeitalter lang. Sie kehren nicht wieder zurück.
Aber jene, die Welten erobern durch Opferung, Mildtätigkeit und Askese, gehen in den Rauch ein, vom Rauch in die Nacht, von der Nacht in die zwei Wochen des abnehmenden Mondes, von den zwei Wochen des abnehmenden Mondes in die sechs Monate der südlichen Reise der Sonne, von dort in die Welt der Vorfahren, von der Welt der Vorfahren in den Mond, [...] und von dort zur Wiedergeburt.
(Brihadaranyaka-Upanischad 6, Vers 2.15–16)
Die nördliche Reise der Sonne bedeutet symbolisch, dass die Seele von Karma befreit ist und nun nicht mehr wiedergeboren wird. Die südliche Reise der Sonne führt die Seele durch neuerliche Geburt zurück in die Welt. Das gewählte Lebewesen passt dann zum eigenen Karma. Die Vorstellung der Wanderung der Seele dürfte noch viel älter sein, als es selbst die Upanischaden sind.
Kṛṣṇa spricht weiter (Übersetzung von Eknath Easwaran):
Große Seelen machen ihr Leben vollkommen und entdecken mich; sie werden von Sterblichkeit und dem Leid dieses gesonderten Daseins befreit. Alle Kreaturen im Universum sind der Wiedergeburt unterworfen, Arjuna, außer derjenigen, die mit mir vereinigt ist.
(Bhagavad Gita Kapitel 8, Vers 15–16)
Kṛṣṇa spricht von der bewussten Entscheidung. Wenn wir durch das irdische Leben gehen, ohne bewusst darüber nachzudenken, wer wir sind und wohin wir gehen, werden wir wiedergeboren. In Bezug auf Konflikte und Entscheidungen im diesseitigen Leben bedeutet das, dass wir die Konflikte nicht lösen, sondern immer und immer wieder wiederholen beziehungsweise die Entscheidungen aus unserem Ich, unserem Ego, falsch treffen und nicht zu Gott oder zu unserer wahren Natur, dem ewigen Selbst, finden. Diesseits und jenseits gibt es nur einen Ausweg, und der führt über das Bewusstsein in die Tiefe der eigenen Persönlichkeitsschichten und bewussten Wegkorrekturen. Der Yogi hat diese Entscheidungsmöglichkeit bis zu seiner letzten Sekunde auf Erden.
Jene, welche die kosmischen Gesetze verstehen, wissen, dass der Tag des Brahmā nach eintausend Yugas endet und die Nacht des Brahma nach eintausend Yugas endet. Wenn der Tag des Brahmā anbricht, werden Formen aus dem Unmanifestierten hervorgebracht; wenn die Nacht des Brahmā kommt, gehen diese Formen wieder im Formlosen auf. Diese Vielzahl von Wesen wird in den aufeinanderfolgenden Tagen und Nächten des Brahmā wieder und wieder erschaffen und zerstört. Aber jenseits dieses formlosen Zustands gibt es eine weitere, unmanifestierte Wirklichkeit, die ewig ist und bei der Zerstörung des Kosmos nicht aufgelöst wird. Jene, die das höchste Ziel des Lebens verwirklichen, wissen, dass ich unmanifestiert und unveränderlich bin. Nachdem sie zu mir heimgekommen sind, kehren sie nie zu gesondertem Dasein zurück.
(Kapitel 8, Vers 17–21)

Sie erinnern sich: Ein Universum lebt einen Brahmā-Tag lang, dann erlischt das Universum, der Kosmos, und existiert in einer nicht materialisierten Form eine Brahmā-Nacht lang. Und dann entsteht ein neues Universum und mit ihm neue Lebewesen. Und wieder geht es nach einem Brahmā-Tag zugrunde und ruht wieder für eine Brahmā-Nacht. Und so geht es immer weiter und weiter. Aus diesem Samsāra des Universums, dem Zyklus aus Leben, Sterben und Wiedergeburt, können einzelne Lebewesen aussteigen. Aber sie müssen sich bewusst dafür entscheiden! Dann gehen sie in jene „unmanifestierte Wirklichkeit“ ein, für welche jede Daseinsform und jedes Lebewesen sein eigenes Bild, seine eigene Vorstellung, seine eigene Verehrung hat. Kṛṣṇa als irdischer Repräsentant des einen Gottwesens schenkt uns diese Wahrheit: „Ganz egal, wie du mich siehst. Suche mich, erlebe mich und lebe danach. Denn ich bin du.“ Eine einfache Wahrheit, eine klare Botschaft. Und Yoga ist der Weg ...
In Kapitel 6 erklärt Kṛṣṇa die Meditationstechnik für Laien, viel einfacher, als es zum Beispiel Patañjali im Yogasūtra macht, ohne Heimlichtuerei, ohne Schnickschnack.
Das Kapitel zeigt, was Yoga ist. Yoga meint die „Integration der Seele“, das „Einswerden mit dem Selbst“. Oft wird Yoga mit „Rāja-Yoga“, der Meditationspraxis, gleichgesetzt, wie es Patañjali lehrt. Die Meditation ist das direkte Mittel, um diesen Einheitszustand mit seinem Selbst zu erlangen. Somit sind Yogi Spezialisten für Meditation.
Und das Kapitel erklärt, wer ein wahrer Yogi ist. Dabei geht es hier nicht um körperliche Kunststücke wie das Sitzen auf einem Nagelbrett oder stundenlanges Verharren in den unmöglichsten Körperverrenkungen, nicht einmal um einen Schwerpunkt in Körperübungen, den Āsanas (āsana, neutral, wörtlich „Sitz“, Körperübungen im Yoga, vor allem im Hatha-Yoga), wie wir das im Westen kennen. Yogi bedeutet wörtlich: „Jemand, der im Yoga vollendet ist.“ Hier wird erklärt, dass Yogi Menschen sind wie du und ich, die ihrer normalen Tätigkeit nachkommen, aber nicht anhaften am Resultat ihres Wirkens (Vers 2). Tu etwas, ohne etwas zu erwarten. Nur so bist du bei der Sache. Und egal, was rauskommt, warst du am Weg dorthin bei dir. Darum geht es. Erinnern Sie sich an den chinesischen Spruch: „Kümmere dich nicht um die Ernte, sondern um das sorgfältige Bestellen der Felder.“ Es bringt nichts, wenn der Bauer immer wieder zum Feld fährt und ständig an den Junghalmen zieht, damit der Weizen schneller wächst. Er reißt ihn höchstens aus. Es bringt nichts, wenn der Bauer ständig zum Himmel sieht, ob es eh bald regnet, ob es eh nicht hagelt, ob es eh keinen schlimmen Sturm gibt. Der Bauer wäre ständig in Angst und getrieben und hätte ein furchtbares Leben. Die Basis dafür, dass man arbeiten kann und sich dafür keinen Lohn erwartet, sich keinen Erfolg erhofft und keine lobenden Worte, keine Medaille, die einem am Ende des Tages umgehängt wird, keinen Blechpokal für das staubanziehende Wohnzimmerregal, die Basis dafür, dass man ohne Angst durch das Leben geht und dabei lächeln kann, weil man dieses Gehen genießt, ist Shraddha (śhraddhā, ṣraddhā, feminin), das Vertrauen.
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