Jerry Cotton
Privatdetektiv Joe Barry
Party für Tote
SAGA Egmont
Privatdetektiv Joe Barry - Party für Tote
Copyright © 1963, 2017 Joe Barry Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
All rights reserved
ISBN: 9788711669075
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
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Der Mann war mittelgroß und unscheinbar wie eine Broadwayfassade bei Stromsperre. Eigentlich war an ihm nichts Besonderes festzustellen. Jeder normale Mensch hat seine Eigenheiten, und seien sie noch so klein; dieser hier hatte sie nicht.
Das fing bei dem grauen Hut an, den Gimbell’s, das große Warenhaus, sicher in Millionen von Exemplaren verkauft hatte. Das ging bei dem Einheitseinreiher weiter der Einheitskrawatte, den Einheitsschuhen. Der Mann gehörte zu der Sorte, deren Anblick man sofort wieder vergißt, Drei Menschen waren eine genügend große Gruppe, in der er untertauchen konnte.
Es war schwer, festzustellen, ob dieseEigenart angeboren oder einstudiert war — eben deshalb, weil es keine Eigenart war. Fest stand, daß der Mann ein idealer Geheimagent gewesen wäre. Aber natürlich war er es nicht.
Es war überhaupt nicht möglich, seinen Beruf zu erraten. Man konnte sich nicht vorstellen, woher er kam und wohin er ging. Er war so unauffällig, daß der einzige, dem er wohl je auffallen konnte, er selbst war.
Er betrat an einem grauen, windigen Aprilmorgen ein graues, windiges Wohnhaus an der Ostseite von Manhattan und verschwand sofort in seinem Zimmer. Das Zimmer hatte er erst am Vortag gemietet. Der Wohnungsinhaberin hatte er einen Namen hingemurmelt; vermutlich hatte sie ihn schon wieder vergessen. Die Miete für einen Monat hatte er im voraus bezahlt. Für die Frau war der Fall erledigt.
Sorgfältig packte der Mann aus seiner leicht speckigen Aktentasche verschiedene Gegenstände aus. Da waren zwei dickleibige Telefonbücher, eines von Brooklyn und eines von Long. Island City, dazu ein Stapel mit gedruckten Karten, teures Büttenpapier, handgeschöpft, dazu passende Briefumschläge. Er schraubte seinen Federhalter auf, zog sich dünne Stoffhandschuhe an und versah jede Karte mit einer schnörkeligen Unterschrift.
Dann sah er auf die Uhr. Es war kurz vor zwölf. Wenn er sich beeilte, schaffte er noch die Mittagsleerung am Kasten.
Er legte sich den ersten Umschlag zurecht und versah ihn mit einem schönen, gezierten „Mister“, ausgeschrieben, wie es die alte Sitte verlangte, nicht einfach abgekürzt Mr. Dann blätterte er im Telefonbuch von Brooklyn nach.
„Mister Howard Dawson“, murmelte er angestrengt beim Schreiben. „Brooklyn Heights, 1088 Franklin Avenue!“
Wer in Brooklyn auf, den Heights wohnte, gehörte bestimmt nicht zu den Armen. Mister Howard Dawson hätte die Unterstellung, er sei nicht reich, als ehrenrührige Beleidigung empfunden. Die Dawsons saßen schon lange im Land Für sie waren die Pilgerväter der Mayflower eben noch neu eingewanderte Habenichtse.
Sorgfältig trocknete der unauffällige Gentleman die Tinte und legte sich den nächsten Umschlag zurecht. Er brauchte im Telefonbuch nur ein paar Seiten weiterzublättern.
„Mister Stearn Eliot Kearns“, in allen feudalen Spielklubs nur als Kearnie bekannt, wohnte ebenfalls auf den Heights. Sein Haus, White Chalet genannt, lag ganz oben. Die Kearns waren eine Eisenbahndynastie, und wenn bei ihnen etwas fraglich war, dann dies: ob die Dawsons mehr Geld hatten als die Kearns oder umgekehrt. Gemeinsam war beiden ein jahrelang trainierter Hochmut, über den es viele Witze gab. Sogar ein Gedicht, das mit den Worten „In Brooklyn on the heights“, begann und so endete: „… where the Dawsons speak only to the Kearns, and the Kearns speak only to God — wo die Dawsons nur mit den Kearns reden, und die Kearns nur noch mit Gott!“
Das waren die Briefpartner des unauffälligen Gentleman.
Für den nächsten Umschlag brauchte er das Telefonbuch von Long Island.
„Miß Judy Benjamin“ wohnte in Long Island City. Sie stammte aus keiner alten Familie. Ihre Eltern waren in Armut aus England eingewandert und ebenda — in Armut — gestorben. Sie selbst war jahrelang Howard Dawsons Sekretärin gewesen.
Vor ein paar Jahren war ihr der Sprung an die Börse geglückt. Wie sie es gemacht hatte, wußte keiner. Jedenfalls war ihr Bankkonto jetzt eine gesicherte Sache; sie galt als die eleganteste Frau der Stadt, und sie gab das nötige Kleingeld aus, um diesen verpflichtenden Ruf zu bewahren.
Die drei Umschläge waren jetzt geschrieben. Umständlich ordnete sie der unauffällige Gentleman. Pedantisch wie ein Buchhalter bei Durchsicht der Portokasse überprüfte er noch einmal alles, verbesserte gelegentlich auch den runden Schwung eines Buchstabens und schob dann in jeden Umschlag eine Karte.
Er stand auf, befeuchtete sich den Finger am Waschbecken und klebte die Umschläge zu. Dann frankierte er sie.
Übrig blieb ein Umschlag und eine Karte.
Die Adresse, die der Mann jetzt schreiben wollte, kannte er auswendig. Und mit seiner schwungvollen Schönschrift setzte er sie auf das Papier:
„Mister Joe Barry, Privatdetektiv, 234 Gun Hill Road, Bronx, New York City, N.Y.“ Mit dem Lineal zog er einen Strich unter das New York City. Dann frankierte und verklebte er auch diesen Umschlag.
Wieder sah er auf die Uhr. Rasch packte er alles zusammen, nahm seine Aktentasche und verließ den Raum. Er sah sich nicht um. Er würde nicht zurückkehren.
An der Ecke East 116. Straße — Park Avenue, warf er die Umschläge in einen Briefkasten.
Gleich darauf war der unauffällige Gentleman in der Menge verschwunden, die sich in Richtung Central Park bewegte, so unauffällig, wie ein Wasserfall im Regen.
Howard Dawson bekam den Brief am Nachmittag, als er gerade aus seinem Büro zurückkam. Der Brief lag unter einem ganzen Stapel Post, den der Geldmann flüchtig durchsah.
Dawson war ein gutaussehender Mann. Sein frisches Gesicht, das graue Haar und die ernsten blauen Augen erweckten den Eindruck absoluter Zuverlässigkeit. Und eben das war Dawsons beste Trumpfkarte in einem Handwerk, bei dem es nur eine einzige Zuverlässigkeit gab: Jeden bei jeder denkbaren Gelegenheit übers Ohr zu hauen. Dawson sah nicht danach aus, und das erleichterte ihm das Handwerk. Er war ein Halsabschneider im Maßanzug und mit Manieren.
Als er den Umschlag in die Hand nahm, suchte er gewohnheitsmäßig nach dem Absender. Ein Ausdruck des Zweifels ging über sein Gesicht, dann wurde er blaß.
Hastig riß er den Umschlag auf und holte die Karte heraus.
„Verdammt“, murmelte er tonlos. „Ein Witz, ein schlechter Witz!“
Ein paar. Minuten starrte er auf das Blatt, dann drückte er auf die Klingel. John, der Dienerchauffeur, erschien.
„John, wann ist das hier gekommen?“
„Vorhin, Sir, mit der Nachmittagspost.“
„Ja, natürlich. Sie können gehen.“
Ein Witz, dachte er nochmals. Aber er kannte keinen, der sich einen solchen schlechten Witz mit ihm erlauben würde. Es mußte etwas anderes dahinterstecken.
Eine Weile kramte er in seinem Schreibtisch, dann hatte er gefunden, was er suchte: ein dünnes Notizbuch. Das Buch war sein wichtigster Besitz, und deshalb bewahrte er es auch nicht im Safe auf, wo er nur Geld und wertlosen Kram hatte.
In dem Buch hatte er sich Notizen zu allen geschäftlichen Raubzügen gemacht. Wen er bestochen hatte, womit, die Adressen von Mitwissern, die Schwächen bekannter Zeitgenossen, belastendes Material, Telefonnummern und vor allem Adressen und Zahlen. Und jede Zahl bedeutete runde Dollars.
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