Kaum liegt die Hafenmauer dann aber im Kielwasser, fallen zahlreiche Sorgen ab. Dann ist voraus der Horizont zu sehen. Neue Erlebnisse, Abenteuer warten auf einen.
Der Zeitraum vom ersten Aufblitzen des Traums bis zur Realisierung kann allerdings bei manchen Menschen sehr hart und lang sein. Vor allem, wenn kein fester Plan existiert. Und bei mir noch zusätzlich erschwerend: keine Perspektive. Denn ich wusste, ich würde in absehbarer Zeit weder über die nötigen Reichtümer verfügen, um ein gutes Boot zu kaufen und eine Reisekasse anzuhäufen, noch über die nötige Zeit.
Dabei habe ich den Entschluss, noch eine große Reise machen zu wollen, schon damals gefasst, als ich 2006 meine kleine MAVERICK in Charleston verkauft und den Heimweg per Flieger angetreten habe. Damals waren für mich der Kurs und der Zeitplan klar: Jetzt schnell das Studium hinter mich bringen, etwas Geld verdienen, ein Schiff selbst bauen, Reisekasse verdienen und dann wieder los. Doch letztlich lagen zwischen dem Entschluss und der Abfahrt acht lange, entbehrungsreiche Jahre.
Anfangs lief alles nach Plan. Einen Monat nach dem Ende meiner Reise mit meiner Fellowship 27 fand ich mich in einem Hörsaal in Kiel wieder, zwischen 300 anderen Studenten, von denen immerhin gut 40 ebenfalls den Studiengang Schiffbau belegt hatten. Die Wahl des Studienfachs war für mich klar. Ich hatte schon als kleiner Junge Modellboote konstruiert und gebaut und konnte mir nichts Schöneres vorstellen, als meine Bootsideen aus Holz und GFK an mir vorbeischwimmen zu sehen.
Doch das Grundstudium war dröge und zäh. Viel Mathematik, mit der ordentlich gesiebt wurde. Mathe lag mir nie sonderlich. Dafür technisches Zeichnen und CAD. Und dann war da immer noch der Ozean, der mich nicht losließ. Und verlockende Angebote. So sollte ich zum Beispiel zu einem Segelverein nach Bünde kommen und einen Vortrag halten. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Vor allem, weil es dafür auch noch 300 € geben sollte. Also erstellte ich an den Abenden in meinem WG-Zimmer eine Präsentation, schnitt Videos mit Musik, verlud meinen PC und meine Stereoanlage ins Auto und machte mich auf den Weg nach Bünde in Ostwestfalen.
Dort kam ich mit eineinhalb Stunden Puffer an, ging ins Wirtshaus und sagte dem Wirt, dass ich für einen Vortrag hier sei. »Der geht erst um sieben los, da ist noch keiner da.« Also saß ich im Auto und wartete. Als ich nach einer halben Stunde wieder ins Wirtshaus kam, sagte mir der Wirt nur: »Immer noch zu früh.« Zurück ins Auto. Eine halbe Stunde vor Beginn des Vortrags wagte ich einen letzten Versuch. Der Wirt fing gleich an: »Ich hab dir doch gesagt, dass es erst um sieben losgeht …« »Ja, ja, aber ich muss ja noch aufbauen«, erwiderte ich. »Ach, DU bist der Vortragende? Mensch, wir dachten schon, du kommst gar nicht mehr!«
Meinen allerersten Vortrag hielt ich also vor etwa 70 Mitgliedern der Hochseesegler-Gemeinschaft Bünde. Ein lustiger, sehr angenehmer Abend. Es machte mir riesig Spaß, die Leute mit auf mein Abenteuer zu nehmen. Doch geriet der Vortrag viel länger als gedacht, da ich ihn nie vor Publikum geübt hatte. Ich klickte fleißig 350 Bilder durch und erzählte zweieinhalb Stunden lang Geschichten und Anekdoten. Trotzdem schien keiner gelangweilt. Deshalb habe ich den Vortrag über die Jahre in der Form fast genauso beibehalten, jedoch auf gut eineinhalb Stunden gekürzt.
Schon in der Karibik hatte mich der Delius Klasing Verlag gefragt, ob ich nicht ein Buch über meine Reise verfassen könnte. »Was für eine Ehre«, dachte ich damals, denn ich hatte schon immer gehofft, irgendwann mal ein Buch veröffentlichen zu können. Doch jetzt, zurück in Deutschland, hatten die Verantwortlichen mein Abschlussinterview in der Yacht gelesen. Und da stand dick und fett: »In vier Jahren möchte ich wieder los. Und dann ganz um die Welt.« Daher zogen sie das Angebot wieder zurück, denn sie wollten lieber gleich das Buch über die Weltumsegelung. Dabei war ja gar nicht klar, ob diese überhaupt stattfinden würde. Plötzlich musste ich also dafür kämpfen, dass nun doch ein Buch über meine erste Reise entstehen sollte. »Der jüngste deutsche Einhand-Atlantikübersegler« war mein Argument. Ich sollte Probekapitel liefern und bekam dann doch die Zusage. Allerdings sollte das Buch in sechs Wochen fertig sein. Ich fing an zu tippen. Aber neben dem Studium war nur jeden Abend etwas zu schaffen. Denn gerade im ersten Semester musste ich viel Arbeit ins Studium stecken.
Während ich in Sachen Segelei also einen kleinen Höhenflug erlebte, sackte ich im Studium immer mehr ein. Ich musste mich entscheiden: Lasse ich das Studium sausen oder das Buch? Schnell hatte ich eine Lösung: Die Semester könnte ich immer noch nachholen, aber die Kuh »Segelei« musste gemolken werden, solange sie Milch gab. Also setzte ich alles daran, ein gutes Buch abzuliefern. Zum Glück bekam ich auch noch einen Aufschub für die Abgabe und konnte die ganzen ersten Semesterferien von morgens bis abends daran arbeiten.
Doch die Kuh gab immer mehr Milch. Und ich molk. Nahm jede Einladung an. Zigmal flog und fuhr ich sogar in die Schweiz und hielt meine Vorträge. Doch ein guter Geschäftsmann war ich nie. Für Jugendgruppen und Kirchen fuhr ich oft nur gegen Spritgeld quer durch Deutschland. Abzüglich der Spritkosten blieben aber auch bei bezahlten Vorträgen manchmal nur 50 € Gewinn übrig. Doch das »Tourleben« gefiel mir. Um die Vorträge halten zu können, nahm ich mir jeweils einen Tag von der Uni frei. Dass ich dabei neben meinen Nebenjobs zu viel Stoff sausen ließ, merkte ich erst, als ich eines Morgens mit den Worten »Moin, Herr Erdmann. Schön, dass Sie’s einrichten konnten« begrüßt wurde.
Nach drei Semestern zog ich 2009 dann den Schlussstrich. Mein Plan war, ab Herbst entweder Internationale Fachkommunikation in Flensburg oder Journalismus in Berlin zu studieren. Um die Zeit bis dahin zu überbrücken und schon mal ein wenig Erfahrung zu sammeln, vermittelte mir Wilfried Erdmann ein Praktikum bei der Yacht in Hamburg. Und ein neuer Lebensabschnitt begann.
Jeden Morgen pendelte ich ab März von Kiel nach Hamburg und begann, erste Kurzmeldungen und Online-Artikel zu schreiben. Schon nach knapp zwei Wochen sollte ich eine Seite mit Hintergrundinformationen für einen Historienartikel von Arved Fuchs abliefern. Vor dem Artikel stand dann »Verfasst von Arved Fuchs in Zusammenarbeit mit Johannes Erdmann«. Als ob wir zusammen an dem Text gesessen hätten. Ich bekam immer größere Aufgaben und war zugleich sehr überrascht, was für ein Vertrauen die Abteilung und vor allem mein Chef in mich legten.
Nach drei Monaten bot man mir dann sogar ab September ein Volontariat an, das die meisten Journalisten erst nach einem abgeschlossenen Studium bekommen. Parallel dazu sollte ich an der Akademie für Publizistik mein Handwerkszeug lernen: schreiben, fotografieren, filmen und schneiden. Ein sehr verlockendes Angebot. Doch bis dahin hatte ich noch zwei Monate Zeit, mich zu entscheiden. Und zum Nachdenken hatte ich den besten Ort der Welt – den Atlantischen Ozean.
Auf einer »Hanseboot« hatte ich den Bootsbauer und Knotenspezialisten Egmont Friedl kennengelernt, der sich gerade in den USA ein Schiff gekauft hatte. Nach einem Sommer in der Chesapeake Bay überlegte er nun, das Schiff nach Europa zu segeln, und suchte noch einen Mitsegler. Klar, dass ich da nicht lange überlegen musste. Also flogen wir Anfang Juni 2009 in die USA und übernahmen das Schiff in Deltaville, Virginia. Wir rüsteten die GAVDOS x aus, verproviantierten uns und machten dann noch einen Abstecher nach New York, um ein letztes amerikanisches Steak zu essen.
Der Weg über den Nordatlantik hatte es dann in sich. Wir segelten, wie laut Handbuch empfohlen, auf 40° Nord, waren aber immer zu weit nördlich und bekamen auf der nördlichen Seite der Tiefs immer Gegenwinde ab. Zwei Stürme wetterten wir mit dem schweren und breiten, aber nur 32 Fuß langen Colin-Archer-Nachbau ab. In einem Sturm drehten wir einen Tag lang bei und erlebten einen Knock-down in einer großen Welle. Der Mast lag flach auf dem Wasser und es ging viel kaputt. Doch nach drei Wochen erreichten wir die Azoren bei herrlichem Wetter.
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