1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 „Ich verschrieb mich schon früh dem Fußballspiel. Auf dem ‚Engländerle’ (Anm.: also der ‚Engländerplatz’ in Karlsruhe) verbrachte ich den ersten Teil meiner Jugend, trotz Schlägen und Strafen, die ich für meine abends so ‚sauberen’ Hosen und Strümpfe bekam. Man stellte anfangs den noch kleinen Knirps auf Linksaußen (also gewissermaßen kalt), und daraus entwickelte sich später der Linksaußen oder Linksinnen Deutschlands. Die Schule wurde natürlich durch diesen ‚Sport’ (man sagte das damals verächtlich) auch nicht gefördert, doch mein ‚Einjähriges’ brachte ich gut hinter mich und sagte dann der Schule ade.
Um diese Zeit spielte ich auch schon lang in der KFV-Jugend. Und dann kam meine Entdeckung. Bei einem Spiel gegen Freiburg fehlte der damals etwas schon alten Mannschaft des KFV ein Linksaußen gerade für einen Sonntag. Man kann es sich denken, ich hatte schon ein bisschen Herzklopfen, als ich zum erstenmal unter lauter so berühmten Namen spielte, aber bald spielte ich wie sonst und schoss auch ein Tor. Nach dem Spiel sagte der damalige Trainer Townley: ‚Dieser Linksaußen spielt jetzt immer!’, und trotz der Einwendungen der ‚Alten’ verjüngte er dann langsam den KFV.“
„Die Engländer-Spieler“ nannten sich die 1904 fotografi erten Karlsruher Buben nach dem „engländerplatz“, dem ersten Karlsruher Fußballplatz. Er war ursprünglich ein Feuerwehr-Übungsplatz und diente 1933-45 als „Skagerrakplatz“ für aufmärsche der Sa. Der heutige Bolzplatz nahe dem KSC-Fanprojekt-haus wurde um 90 Grad gedreht. Julius Hirsch sieht man auf der historischen Aufnahme sitzend als Zweiten von rechts.
Der Jugendabteilung des KFV gehörte julius Hirsch 1906 an. Als 1. Schriftführer unterschrieb Rudolf Hirsch, der Brudervon julius.
Das „Engländerplätzle“, wie es in den 1890er Jahren ausgesehen haben soll, malte Egon Itta zum 60. Geburtstag von Fußballpionier Walther Bensemann.
In der „Illustrierten Sportzeitung“ vom 6. März 1909 wird Hirsch nach dem 4:0 des KFV gegen den Deutschen Ex-Meister FC Freiburg – der Spieler ist 17 Jahre alt – „ein anerkennendes Lob“ zuteil. Als Torschütze aufgeführt ist er erstmals beim 4:0 gegen Alemannia Karlsruhe im Mai 1909.
Ein legendäres Stürmer-Trio
Hirsch und sein jüdischer Glaubensgenosse Fuchs wuchsen, wie in Kapitel 2 geschildert, in einen Verein hinein, der damals deutschen Spitzenfußball präsentierte. Die Reputation des KFV ging über Deutschland hinaus, so in der Spielzeit 1905/06 nach dem 7:0 über Union Sportive Parisienne: „Keine einzige französische Mannschaft wäre imstande, den Karlsruher Fußballverein zu schlagen. (…) Sie spielen eben für ihre Mannschaft und versuchen nie, wie in Frankreich, persönliche Heldentaten zu vollbringen.“ („Les Sports“, Nr. 506)
Und obwohl der KFV im Juni 1906 Slavia Prag 3:4 unterlegen war, hielt der Berichterstatter der „Deutschen Sport-Zeitung“ fest: „Ich habe mit noch vielen anderen den Eindruck mitgenommen, dass an diesem Tage der Fußballsport in Süddeutschland seine höchsten Triumphe gefeiert hat.“ Weitere sollten folgen, und Hirsch sollte daran entscheidenden Anteil haben.
„Wenn der Hirsch die Hos’ verliert, dann gibt’s ein Tor!“, sollen die Karlsruher Buben über den 1,68 Meter kleinen, schnellen und schwarzhaarigen Stürmer gesagt haben. Als „links wie rechts treffsicher“ galt der ursprüngliche Linksaußen, geistesgegenwärtig auf dem Spielfeld, trickreich, gewandt und torgefährlich. Später rückte er als Halblinker in den Innensturm, den er beim Karlsruher FV mit Förderer als Halbrechtem und dem Mittelstürmer Fuchs bildete – damals, vor dem Ersten Weltkrieg, eine Legende, und auch noch lange Zeit danach. Das Trio kombinierte auf engstem Raum und durfte sich auf präzise Flanken von Rechtsaußen Tscherter verlassen. „Lauter Intelligenzspieler, die ihre Kräfte rationell einzuteilen wussten und einen Stil prägten, der vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland unerreicht blieb“ (KFV-Chronik). In der Überlieferung der Familie Fuchs gilt der KFV-Innensturm fälschlicherweise als
„Judensturm“. Geoffrey Fuchs (geb. 1926 in Karlsruhe) in „Leben danach“, S. 567: „Drei der Stürmer der Nationalmannschaft waren jüdisch, deshalb galten sie als Judensturm.“
Julius Hirsch, lange der Jüngste beim KFV, wuchs zu einer fußballerischen Persönlichkeit heran. Mit zunehmendem Alter rückte er in die Position des Spielmachers und war in jeder Hinsicht ein Vorbild, weshalb er nach dem Wechsel zur SpVgg Fürth auch dort, trotz des „Platzhirsches“ Burger, umgehend zum Spielführer avancierte. War Not am Mann, sprang er als Mittelstürmer ein oder wechselte noch innerhalb der Partie aufgrund geänderter Taktik auf eine andere Position. Dass seine Spielweise gelegentlich als „scharf “, das meint heute: hart, kritisiert wurde, hatte wohl mit dem bedingungslosen Einsatz für sein jeweiliges Team zu tun.
Der junge Hirsch hatte nach seinem Debüt 1909 noch viel vor sich im Fußball. In der Nationalmannschaft, als Olympia-Teilnehmer, zweimaliger Deutscher Meister mit unterschiedlichen Vereinen, Kronprinzen-Pokal-Gewinner mit Süddeutschland – und als Titelträger im jüdischen Sport nach 1933.
KAPITEL 4
1910: Der KFV wird endlich Meister, mit „Junior“ Hirsch und „Bill“ Townley \\\ Viermal Karlsruhe gegen Karlsruhe \\\ In die USA, über den Atlantik?
Der 1891 entstandene Karlsruher FV gehörte zu den Mitgründern des 1897 in der Karlsruher Studentenkneipe „Zum Landsknecht“ (Kreuzung Zirkel/Herrenstr.) aus der Taufe gehobenen Verbands Süddeutscher Fußball-Vereine (VSFV), der mitgliederstärksten regionalen Organisation im DFB. Im Jahr 1909 zählt er 256 Vereine mit 18.527 Mitgliedern, gefolgt von Westdeutschland (206/13.819).
Wer damals Süddeutscher Meister wurde, durfte eigentlich auch die Teilnahme am Endspiel um die Deutsche Meisterschaft erwarten. Und vermutlich wäre der Karlsruher FV bereits bei der Premiere 1903 auf dem Altonaer Exerzierplatz dabei gewesen, hätte es nicht im Vorfeld eine ziemlich dubiose Geschichte gegeben. Ursprünglich sollte die Halbfinal-Begegnung mit dem Deutschen Fußball-Club Prag in München stattfinden, doch Prag beanspruchte das Heimrecht, weil es dadurch höhere Einnahmen erwartete. Der DFB bestimmte daraufhin als Austragungsort Leipzig. In einem gefälschten Telegramm wurde den Karlsruhern allerdings eine Absage des Spiels mitgeteilt: der erste deutsche Fußball-Skandal, der nie aufgeklärt werden konnte. Das Endspiel trug infolgedessen der DFC Prag gegen den VfB Leipzig aus und unterlag 2:7.
1904 musste der KFV entgegen dem DFB-Reglement in der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft auf einem nicht-neutralen Platz in Berlin-Friedenau gegen Britannia Berlin antreten. Er unterlag 1:6 und legte Protest ein, woraufhin der DFB den ganzen Wettbewerb ad acta legte. Der Grund, weshalb nie ein Endspiel um die Deutsche Meisterschaft in Kassel stattfand – vorgesehen war es für den 29. Mai 1904.
Im Jahr darauf, 1905, erreichten die Karlsruher endlich erstmals das Endspiel, doch gewann Union Berlin im Weidenpescher Park von Köln-Merheim mit 2:0. Mittelläufer beim KFV war der spätere Ägypten-Auswanderer und noch spätere FIFA-Generalsekretär Dr. Ivo Schricker, und Mittelstürmer war „Captain“ Rudolf Wetzler, dem die Mannschaft einige Spielkultur verdankte. Im erneuten Endspiel 1910 werden aus dieser Mannschaft noch Max Schwarze und Hans Ruzek dabei sein.
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